European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0130OS00061.21A.0714.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Gründe:
[1] Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 11. November 2020 (ON 78) wurde DI Manfred St***** mehrerer Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (D/I), eines Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB (D/II) und mehrerer Vergehen der Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1 und 15 StGB idF BGBl 1974/60 (E/I) und nach §§ 83 Abs 1 und 15 StGB „teils idF 1974/60“ (E/II) schuldig erkannt.
[2] Danach hat er in M***** und andernorts
(D) Anne-Sophie St***** gefährlich bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, und zwar
I) in den Jahren 1997 bis 2006 teils wöchentlich, teils alle zwei Wochen mit einer Verletzung am Körper sowie
II) im Jahr 2008 mit dem Tod, indem er sie mit einem Küchenmesser verfolgte und rief: „Ich stech dich ab“, weiters
(E) Nachgenannte vorsätzlich am Körper verletzt, wodurch sie Hämatome oder andere Verletzungen erlitten, oder zu verletzen versucht (§ 15 StGB), und zwar
I) „im Zeitraum von 1987 bis 1996“ Eva-Maria Sa***** annähernd wöchentlich durch Versetzen von Faustschlägen und Fußtritten oder indem er sie an den Haaren durch die Wohnung zerrte oder sie mit Gegenständen bewarf und
II) in den Jahren 1997 bis 2006 Anne‑Sophie St***** teils wöchentlich, teils alle zwei Wochen und in den Jahren 2007 bis 2013 zumindest alle zwei Monate durch Versetzen von Schlägen oder indem er sie würgte.
Rechtliche Beurteilung
[3] In ihrer gegen den Schuldspruch E erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes (§ 23 StPO) führt die Generalprokuratur aus:
„Zum Schuldspruch E./I./ stellte der Schöffensenat fest, dass der Angeklagte seine Tochter Eva‑Maria Sa***** ′in den Jahren von 1987 bis 1996′ durch eine Vielzahl von (annähernd wöchentlich gesetzten) – im Urteil ihrer Art nach näher umschriebenen – tätlichen Angriffen am Körper verletzte oder zu verletzen versuchte (US 3, 6).
In Ansehung der zum Nachteil des Opfers Anne‑Sophie St***** begangenen Körperverletzungen (E./II) und gefährlichen Drohungen (D./I./) nahm das Erstgericht wiederholte Tathandlungen ′in den Jahren 1997 bis 2013′ (E./II./) bzw ′in den Jahren 1997 bis 2006′ (D./I./) an (US 3, 6).
Gemäß § 57 Abs 3 letzter Fall StGB beträgt die Verjährungsfrist bei dem mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen bedrohten Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60 ein Jahr.
Da auf Basis der Urteilsannahmen – auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass das Erstgericht betreffend den Schuldspruch E./II./ ersichtlich von der Begehung (zumindest) einer Tat im Zeitraum 1. Jänner 1997 bis 28. Februar 1997 ausging (vgl die Subsumtion unter §§ 83 Abs 1, 15 StGB teils idF BGBl 1974/60 [US 3]; vgl auch US 11) – offen bleibt, ob zwischen der letzten ′1996′ zum Nachteil der Eva-Maria Sa***** und der ersten ′1997′ zum Nachteil der Anne-Sophie St***** gesetzten Tathandlung ein Zeitraum von weniger als einem Jahr lag (§ 58 Abs 2 StGB), demnach (tragfähige) Feststellungen zu einer Verlängerung der Verjährungsfrist dem Urteil nicht zu entnehmen sind, ist die (implizite) Nichtannahme der Verjährung der Strafbarkeit betreffend die vom Schuldspruch E./I./ erfassten Taten unschlüssig und das Urteil insofern mit einem Rechtsfehler mangels Feststellungen behaftet (RIS‑Justiz RS0122332 [insbesondere T11]).
Betreffend den Schuldspruch E./II./:
Nach § 58 Abs 3 Z 3 StGB wird die Zeit bis zur Vollendung des 28. Lebensjahres des Opfers einer strafbaren Handlung gegen (soweit hier relevant:) Leib und Leben in die Verjährungsfrist nicht eingerechnet, wenn das Opfer zur Zeit der Tatbegehung minderjährig war. Da sich die in dieser Bestimmung normierte Anlaufhemmung (vgl Marek in WK 2 StGB § 58 Rz 3) der Verjährungsfrist somit nicht auf jene Taten bezieht, die der Angeklagte zum Nachteil der – am 16. September 1992 geborenen (US 5) – Anne-Sophie St***** nach Vollendung deren 18. Lebensjahres (zur Zeitberechnung vgl Jerabek/Ropper in WK 2 StGB § 68 Rz 6), sohin im Zeitraum 17. September 2010 bis ′2013′ begangen hatte, ist bezüglich dieser Taten die – in Anbetracht der Strafdrohung des Vergehens der Körperverletzung (§ 83 Abs 1 StGB idgF [vgl RIS‑Justiz RS0131471]) von bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe oder einer Geldstrafe bis zu 720 Tagessätzen – dreijährige Verjährungsfrist nach § 57 Abs 3 vierter Fall StGB jedenfalls im Verlauf des Jahres 2016 abgelaufen (während hinsichtlich der bis 16. September 2010 begangenen Taten – mit Blick auf § 58 Abs 3 Z 3 StGB – keine Verjährung eingetreten ist).
Indem das Landesgericht für Strafsachen Wien zu allfälligen verjährungshemmenden Umständen in Betreff der im Zeitraum 17. September 2010 bis 2013 gesetzten Taten keine Feststellungen traf, ist auch der Schuldspruch E./II./ insoweit mit einem Rechtsfehler mangels Feststellungen behaftet (abermals RIS‑Justiz RS0122332).
Da diese Rechtsfehler dem Angeklagten DI St***** zum Nachteil gereichen, wäre die Feststellung der Gesetzesverletzungen mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO). In Bezug auf den Tatzeitraum 17. September 2010 bis 2013 im Schuldspruch E./II./ sind nach der Aktenlage Feststellungen betreffend eine Verlängerung der Verjährungsfrist iSd § 58 Abs 2 und Abs 3 StGB nicht zu erwarten (vgl die keine Verurteilung aufweisende Strafregisterauskunft [ON 71] und die erste staatsanwaltschaftliche Anordnung von Ermittlungsmaßnahmen im Jahr 2018 [ON 1 S 3]), sodass dieser Tatzeitraum – ohne formellen Freispruch (vgl RIS‑Justiz RS0115706) – ersatzlos zu entfallen hätte.“
[4] Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:
[5] 1. Nach den Feststellungen des Erstgerichts zu E I setzte der Angeklagte gegenüber seiner Tochter Eva‑Maria Sa***** „in den Jahren von 1987 bis 1996“ mit Verletzungsvorsatz körperliche Gewalt ein, indem er ihr „in diesen Jahren“ annähernd wöchentlich – somit auch im Jahr 1996 annähernd wöchentlich – Faustschläge und Fußtritte versetzte oder indem er sie an den Haaren durch die Wohnung zerrte oder mit Gegenständen bewarf. Nach den Feststellungen zu E II verletzte er seine am 16. September 1992 geborene Tochter Anne-Sophie St***** vorsätzlich, indem er ihr in den Jahren 1997 bis 2006 teils wöchentlich, teils alle zwei Wochen, danach bis zum Jahr 2013 zumindest alle zwei Monate Schläge gegen das Gesicht oder den Körper versetzte oder sie würgte. In den Jahren 1997 bis 2006 bedrohte der Angeklagte seine Tochter Anne‑Sophie St***** nach den Konstatierungen zu D I überdies in der zu E II festgestellten Frequenz gefährlich im Sinn des § 107 Abs 1 StGB (US 5 f iVm US 2 f).
[6] Gemäß § 57 Abs 3 letzter Fall StGB beträgt die Verjährungsfrist bei dem mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen bedrohten Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60 ein Jahr. Begeht der Täter – wie hier festgestellt – während der Verjährungsfrist neuerlich eine mit Strafe bedrohte Handlung, die auf der gleichen schädlichen Neigung beruht, so tritt die Verjährung nicht ein, bevor auch für diese Tat die Verjährungsfrist abgelaufen ist (§ 58 Abs 2 StGB). Ausgehend von den Feststellungen zur Einleitung des Strafverfahrens gegen DI Manfred St***** im August 2018 und zur Erhebung der Anklage im Februar 2020 (US 12) ist unter Berücksichtigung der Anlaufhemmung des § 58 Abs 3 Z 3 StGB bis zur Vollendung des 28. Lebensjahres, hier der am 16. September 1992 geborenen Anne‑Sophie St***** (US 5), die Nichtannahme der Verjährung der Strafbarkeit der vom Schuldspruch E I umfassten Taten nicht zu beanstanden.
[7] 2. Die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes (§ 23 StPO) dient dazu, gesetzwidrige Vorgänge eines Strafgerichts an den Obersten Gerichtshof heranzutragen ( Ratz , WK‑StPO § 292 Rz 1). Dabei drückt „Gesetzwidrigkeit“ eine Relation aus und bedeutet verfehlte Rechtsanwendung auf einen Lebenssachverhalt (13 Os 63/03, SSt 2003/43; RIS‑Justiz RS0117731; Ratz , WK‑StPO § 292 Rz 7). Fallbezogen reklamiert die Generalprokuratur (unter anderem) eine Gesetzesverletzung des Schuldspruchs E II, womit zu prüfen ist, ob der festgestellte Sachverhalt (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) diesen Schuldspruch (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) trägt. Dies ist zu bejahen, weil die Subsumtion als mehrere Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (in unterschiedlichen Gesetzesfassungen) durch die dargestellten Konstatierungen jedenfalls gedeckt ist. Auch unter dem Aspekt der Verjährung der Strafbarkeit (§ 57 StGB) haftet dem Schuldspruch E II kein Rechtsfehler an, weil die Urteilsfeststellungen die Taten insoweit – rechtlich zulässig (RIS-Justiz RS0119552) – nur pauschal individualisierten, womit ein auf einzelne dieser Taten bezogener Freispruch aus dem Strafaufhebungsgrund der Verjährung nicht in Betracht kommt (13 Os 164/02, SSt 2003/14; RIS‑Justiz RS0115706).
[8] Die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war somit zu verwerfen (§§ 288 Abs 1, 292 StPO).
[9] Über die Berufung der Staatsanwaltschaft (ON 80, 84 iVm ON 1 S 37) wird das Oberlandesgericht zu entscheiden haben (§ 280 zweiter Satz StPO; RIS‑Justiz RS0133326).
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)