European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0130OS00060.21D.0714.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde Ahmet M***** des Vergehens des Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen nach § 92 Abs 1 StGB (I) und des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3a Z 1 erster Fall, Abs 4 zweiter Fall StGB (II) schuldig erkannt.
[2] Danach hat er in V***** und an anderen Orten
(I) vom Jänner 1993 bis zum 4. Jänner 2005 seinem am 4. Jänner 1987 geborenen Sohn Anel M*****, der seiner Fürsorge und Obhut unterstand und der das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, durch im Urteil näher beschriebene Handlungen in einer Vielzahl von zeitlich unregelmäßigen, jedenfalls wöchentlichen (US 5) Angriffen körperliche und seelische Qualen zugefügt sowie
(II) vom Jahr 2010 bis zum 18. August 2020 gegen seinen am 16. September 2005 geborenen Sohn Benjamin M***** durch im Urteil näher beschriebene Handlungen eine längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt ausgeübt, indem er ihn regelmäßig, teils mehrmals wöchentlich, am Körper misshandelte sowie vorsätzliche mit Strafe bedrohte Handlungen gegen Leib und Leben, nämlich Körperverletzungen (nach § 83 Abs 1 sowie einmal nach § 87 Abs 1 StGB), und in einem Fall gegen die Freiheit (nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 erster Fall StGB) beging, wobei er die Gewalt gegen eine unmündige Person länger als ein Jahr ausübte.
Rechtliche Beurteilung
[3] Gegen den Schuldspruch I richtet sich die aus Z 5 und 9 lit b des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
[4] Nach den Urteilskonstatierungen fanden vom Jänner 1993 bis zum Erreichen der Volljährigkeit des am 4. Jänner 1987 geborenen Anel M***** am 4. Jänner 2005 wiederholt, zeitlich unregelmäßig, aber jedenfalls wöchentlich, von einem Gesamtvorsatz getragene tatbildliche Angriffe des Angeklagten statt (US 5).
[5] Basierend darauf liegt eine tatbestandliche Handlungseinheit nach § 92 Abs 1 StGB vor (zu dieser Rechtsfigur 13 Os 1/07g [verst Senat], RIS‑Justiz RS0122006 und RS0127374, Ratz in WK 2 StGB Vor §§ 28–31 Rz 89 und 91, in Bezug auf § 92 StGB jüngst 11 Os 75/20v). Ausgehend davon beginnt die Verjährungsfrist erst mit dem der Beendigung der letzten Tathandlung folgenden Tag zu laufen ( Marek in WK 2 StGB § 57 Rz 5 und 11). Die geltende Fassung des § 92 Abs 1 StGB sieht – ebenso wie jene zur Tatzeit (BGBl 1988/599) – eine Strafdrohung von bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe vor. Demnach beträgt die Verjährungsfrist fünf Jahre (§ 57 Abs 3 StGB) und hätte mit Ablauf des 5. Jänner 2010 geendet. Damit kommt aber § 58 Abs 3 Z 3 StGB in der Fassung des 2. GeSchG BGBl I 2009/40, das am 1. Juni 2009 in Kraft trat, zur Anwendung (vgl die Übergangsregelung des Art XIV Abs 2 des 2. GeSchG), weshalb sich die Verjährungsfrist bis zum 5. Jänner 2020 verlängerte. Angesichts des zum Schuldspruch II konstatierten Zeitraums (ab dem Jahr 2010 bis zum 18. August 2020) der auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden Tatbegehungen liegt daher zum Schuldspruch I keine Verjährung der Strafbarkeit vor (vgl § 58 Abs 2 StGB).
[6] Feststellungen sind nur insoweit mit Mängelrüge anfechtbar, als sie (für die Schuld- oder die Subsumtionsfrage) entscheidend sind (RIS‑Justiz RS0117499).
[7] Einen solchen Aspekt spricht die Mängelrüge (Z 5), welche die Konstatierungen zum Ende des Tatzeitraums (erst) mit dem Eintritt der Volljährigkeit des Opfers am 4. Jänner 2005 (US 5) als unvollständig (Z 5 zweiter Fall) und offenbar unzureichend begründet (Z 5 vierter Fall) erachtet, mit Blick auf die obigen Darlegungen (vgl RIS‑Justiz RS0098557 [T10, T11, T14] zur ausnahmsweise rechtlichen Relevanz der Tatzeit [hier in Bezug auf die Verjährung]) deutlich genug an.
[8] Mit den als „widersprüchlich“ bezeichneten Angaben des Zeugen Anel M*****, wonach die Übergriffe des Angeklagten aufgehört hätten, als er „mit dem Alter ein bisschen stärker und größer geworden“ sei, es mit seinem Auszug mit 19 Jahren aufgehört habe (ON 24 S 5 iVm ON 52a S 32), haben sich die Tatrichter – der Beschwerde (Z 5 zweiter Fall) zuwider – sehr wohl auseinandergesetzt (US 16). Das relevierte Detail der (leugnenden) Verantwortung des Angeklagten, wonach die Übergriffe auf seinen Sohn Anel „20, 25 Jahre her“ wären (ON 52a S 3 f), bedurfte hingegen schon deshalb keiner gesonderten Erörterung, weil die Tatrichter der Einlassung des Angeklagten zum Schuldspruch I insgesamt nicht folgten (vgl US 9 f, RIS‑Justiz RS0098642 [T1]). Mit eigenständigen Erwägungen zu den angesprochenen Aussagen bekämpft die Rüge nur die tatrichterliche Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen (§ 283 Abs 1 StPO) Schuldberufung.
[9] Die vermisste Begründung (Z 5 vierter Fall) der bekämpften Feststellungen findet sich auf US 16. Die dabei erfolgte Ableitung der Konstatierungen aus den Angaben des Zeugen Anel M***** zur Beendigung der Angriffe des Angeklagten einerseits durch seinen Auszug von zu Hause und andererseits durch seine zunehmende körperliche Überlegenheit ist unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden.
[10] Die Rechtsrüge (Z 9 lit b) argumentiert mit dem Einwand der Verjährung der dem Schuldspruch I zugrunde liegenden Tat nicht auf der Basis der erstgerichtlichen Feststellungen (US 5, siehe aber RIS‑Justiz RS0099810).
[11] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
[12] Die Entscheidung über die Berufung kommt dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).
[13] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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