OGH 10ObS97/21v

OGH10ObS97/21v22.6.2021

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Wiesinger (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Wolfgang Kozak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei F*****, vertreten durch Puttinger Vogl Rechtsanwälte OG in Ried im Innkreis, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Anton Ehm und Dr. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung von Schwerarbeitszeiten, über den Rekurs der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 12. Mai 2021, GZ 12 Rs 28/21f‑44, mit dem die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 27. Jänner 2021, GZ 3 Cgs 178/19h‑38, zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:010OBS00097.21V.0622.000

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

 

Begründung:

[1] Mit Bescheid vom 16. 4. 2019 stellte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt aufgrund des Antrags des (am 7. 12. 1960 geborenen) Klägers vom 21. 2. 2019 fest, dass der Kläger zum 1. 5. 2019 501 Beitragsmonate der Pflichtversicherung aufgrund einer Erwerbstätigkeit, vier Beitragsmonate der Pflichtversicherung aufgrund einer Teilversicherung und acht Ersatzmonate, insgesamt somit 513 Versicherungsmonate erworben hat. Die Anerkennung von Schwerarbeitszeiten in der Zeit von 1. 9. 2009 bis 31. 3. 2019 wurde abgelehnt.

[2] Der Kläger begehrt in seiner Klage die Feststellung von Schwerarbeitszeiten im Zeitraum von 1. 9. 2009 bis 31. 3. 2019.

[3] Das Erstgericht wies – soweit für das Rechtsmittelverfahren relevant – das Begehren auf Feststellung von Schwerarbeitszeiten zur Gänze ab (Spruchpunkt 2). Nach seinen Feststellungen leistete der am 7. 12. 1960 geborene Kläger in den (insgesamt 12) Monaten Mai und Juni 2014, Juni und Juli 2015, April und Juni 2016 sowie im Mai, Juni, August, Oktober und November 2017 Schwerarbeit, in den übrigen Monaten des Zeitraums von 1. 9. 2009 bis 31. 3. 2019 jedoch nicht. In der rechtlichen Beurteilung verneinte es das Interesse an der Feststellung von nur 12 Schwerarbeitsmonaten, weil der Kläger bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres nicht 120 Schwerarbeitsmonate erreichen könne.

[4] In seiner Berufung beantragte der Kläger die Abänderung des Ersturteils im Sinn einer Festellung der oben genannten 12 Monate Schwerarbeitszeit.

[5] Das Berufungsgericht wies die Berufung mangels Beschwer zurück. Zum für das Feststellungsinteresse maßgeblichen Zeitpunkt des Schlusses mündlicher Verhandlung in erster Instanz habe objektiv Ungewissheit über das festzustellende Recht bestanden, weil der Kläger sein Begehren auf Feststellung von Schwerarbeitszeiten zur Gänze aufrecht erhalten habe. Mit der in der Berufung begehrten Feststellung von insgesamt 12 Schwerarbeitsmonaten könne der Kläger sein Ziel, eine Schwerarbeitspension zu erlangen, nicht erreichen. Selbst bei Annahme von bisher 12 Schwerarbeitsmonaten sei die in § 607 Abs 14 ASVG und § 4 Abs 3 APG geforderte Erreichung von 120 Schwerarbeitsmonaten bis zum Regelpensionsalter nicht mehr denkbar. Dem Kläger fehle deshalb die materielle Beschwer.

Rechtliche Beurteilung

[6] Der – beantwortete – Rekurs des Klägers ist nach § 519 Abs 1 ZPO zulässig, er ist aber nicht berechtigt.

[7] In seinem Rekurs beantragt der Kläger, zwölf Monate aus dem Zeitraum von 2014 bis 2017 als Schwerarbeitsmonate festzustellen; hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

[8] Der Kläger bringt vor, dass nach dem eingeholten berufskundlichen Sachverständigengutachten die Feststellung von zwölf Schwerarbeitsmonaten gerechtfertigt sei. Dem Kläger habe es zum maßgeblichen Zeitpunkt der Einbringung der Klage nicht am Feststellungsinteresse gefehlt; der Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz sei insoweit irrelevant. Die Nichtfeststellung von Schwerarbeitszeiten beeinträchtige die rechtlich geschützten Interessen des Klägers, der im Zeitpunkt der Klageeinbringung darauf vertrauen habe können, dass eine Feststellung von Schwerarbeitszeiten erfolge, sofern sich im Verfahren herausstelle, dass er tatsächlich im maßgeblichen Zeitraum Schwerarbeit geleistet habe. Dem Gesetz sei nicht zu entnehmen, dass eine Feststellung von Schwerarbeitszeiten voraussetze, dass der Kläger bzw Antragsteller tatsächlich in Schwerarbeitspension gehen könne. Entscheidend sei, ob im Zeitpunkt der Antragstellung bzw Klageeinbringung angenommen werden könne, dass die Voraussetzungen für die Schwerarbeitspension erfüllt werden könnten. Da dies zweifelsfrei zu bejahen sei, habe der Kläger ein rechtliches Interesse an der Feststellung von Schwerarbeitszeiten.

[9] Im Rekurs wird nicht vorgebracht, dass bis zum Jahr 2009 weitere Zeiten aus dem Zeitraum nach Vollendung des 40. Lebensjahres (§ 607 Abs 14 ASVG) als Schwerarbeitszeiten in Betracht kommen könnten.

[10] Dazu wurde erwogen:

[11] 1. Zur Beschwer des Klägers

[12] 1.1 Es ist zwischen formeller und materieller Beschwer zu unterscheiden. Ein Rechtsmittelwerber ist formell beschwert, wenn die Entscheidung zu seinem Nachteil von seinem Sachantrag abweicht. Materielle Beschwer liegt vor, wenn die Entscheidung die materielle oder prozessuale Rechtsstellung des Rechtsmittelwerbers beeinträchtigt. Die formelle Beschwer reicht nach ständiger Rechtsprechung nicht immer aus, um eine Entscheidung in der Sache über die Berufung herbeizuführen (RIS‑Justiz RS0041868 [T2]).

[13] 1.2 Die Beschwer muss sowohl im Zeitpunkt der Einbringung des Rechtsmittels als auch im Zeitpunkt der Entscheidung über dieses bestehen (RS0041770). Fehlt sie, ist das Rechtsmittel zurückzuweisen.

[14] 2. Zur formellen Beschwer:

[15] Formelle Beschwer liegt hier eindeutig vor: Die Entscheidung des Erstgerichts weicht von dem im Berufungsverfahren noch aufrecht erhaltenen Klagebegehren auf Feststellung von 12 Schwerarbeitsmonaten ab.

[16] 3. Zu klären ist die materielle Beschwer.

[17] 3.1 Nach § 247 Abs 2 ASVG hat der leistungszuständige Pensionsversicherungsträger die Schwerarbeitszeiten im Sinn des § 607 Abs 14 und des § 4 Abs 3 APG festzustellen, wenn die versicherte Person dies frühestens 10 Jahre vor Vollendung des Anfallsalters nach § 607 Abs 12 ASVG oder frühestens 10 Jahre vor Vollendung des frühestmöglichen Anfallsalters nach § 4 Abs 3 APG beantragt und aufgrund der bisher erworbenen Versicherungsmonate anzunehmen ist, dass die Voraussetzungen nach § 607 Abs 14 ASVG oder nach § 4 Abs 3 APG vor Erreichen des Regelpensionsalters (§ 253 ASVG: Vollendung des 65. Lebensjahres) erfüllt werden.

[18] 3.2 Um im Fall von Schwerarbeit die Vergünstigung einer abschlagsfreien Pension vor Erreichen des Regelpensionsalters (§ 607 Abs 12 ASVG oder § 4 Abs 3 APG) in Anspruch nehmen zu können, müssen nach § 607 Abs 14 ASVG und § 4 Abs 3 APG mindestens 120 Schwerarbeitsmonate innerhalb der letzten 240 Kalendermonate vor dem Stichtag (§ 223 Abs 2 ASVG) erworben werden.

[19] 3.3 Diese Voraussetzung kann der Kläger bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres am 7. 12. 2025 nicht erfüllen, auch wenn für den Zeitraum von 1. 9. 2009 bis 31. 3. 2019 – seinem Berufungsantrag entsprechend – insgesamt 12 Schwerarbeitsmonate festgestellt werden. Pensionsrechtlich nützt dem Kläger diese in der Berufung begehrte Feststellung nichts.

[20] 3.4 Das Verfahren zur Feststellung von Schwerarbeitszeiten nach § 247 ASVG soll dem Versicherten eine Grundlage für die Entscheidung geben, ob er einen Pensionsantrag stellt und ob dieser bei einer geforderten Mindestanzahl von Versicherungszeiten für eine bestimmte Pensionsleistung sinnvoll ist, oder ob er weiter im Erwerbsleben bleibt, um weitere Zeiten zu erwerben (10 ObS 154/19y; 10 ObS 58/20g).

[21] 3.5 Für diese Entscheidung ist die hier begehrte Feststellung von 12 Schwerarbeitsmonaten bedeutungslos. Eine für den künftigen Leistungsstreit bindende (RS0084976) Feststellung dieser Anzahl an Schwerarbeitsmonaten kann dem Kläger im konkreten Fall nicht die Vergünstigung einer Schwerarbeiterpension verschaffen. Materiell ist er nicht beschwert, da weitere (früher gelegene) Schwerarbeitszeiten nach seinem Rekursvorbringen nicht in Betracht kommen.

[22] 3.6 Das Berufungsgericht hat die Berufung somit zu Recht zurückgewiesen.

[23] 4.1 Die Voraussetzungen für einen Kostenzuspruch nach § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG werden nicht geltend gemacht.

Stichworte