European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0260DS00005.21S.0617.000
Spruch:
Der Berufung des Beschuldigten wird teilweise Folge gegeben und die über ihn verhängte Geldbuße auf 1.200 Euro herabgesetzt.
Dem Beschuldigten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer ***** verurteilte mit Erkenntnis vom 18. September 2019 den Beschuldigten wie folgt:
1. Zu AZ D 171/18: *****, Rechtsanwalt in *****, ist schuldig, er hat die Schreiben des ***** vom 24. August 2017, 6. September 2017 und 18. September 2017 trotz mehrfacher Urgenz erst am 22. November 2017 formal beantwortet.
2. Zu AZ D 17/19: *****, Rechtsanwalt in *****, ist schuldig, er habe
a) eine Forderung der ***** in der Höhe von 3.724,08 Euro sA, nach Klagsführung am 15. November 2018 am 24. Jänner 2019 bezahlt, sowie
b) der Aufforderung des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer ***** vom 11. Oktober 2018 sich zu den Vorwürfen gemäß lit A zu äußern, trotz Urgenz vom 12. November 2018, keine Folge geleistet.
[2] Er hat somit, wie der Disziplinarrat ausführte, in all diesen Punkten das Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung begangen. In Punkt 1. hat er gegen § 19 RL‑BA 2015, in Punkt 2 a) gegen § 4 RL‑BA 2015, und in Punkt 2 b) gegen § 26 RL‑BA verstoßen.
[3] Er wurde hierfür gemäß § 16 (Abs 1 lit 2) DSt zur Disziplinarstrafe der Geldbuße in der Höhe von 1.500 Euro verurteilt.
[4] Zu den Strafzumessungsgründen führte der Disziplinarrat aus, dass bei der Bestimmung der Art der Disziplinarstrafe und der Strafzumessung in erster Linie die Disziplinardelikte selbst zu bewerten seien und das Aufeinanderfolgen mehrerer Tathandlungen erschwerend gewertet werde, die hinsichtlich der unter Punkt 1. angeführten Tathandlungen längere Verfahrensdauer sei als mildernd angesehen worden.
[5] Unter Berücksichtigung der Erschwerungsgründe und der Milderungsgründe erschien dem Disziplinarrat die verhängte Geldbuße angemessen.
[6] Dieses in der mündlichen Disziplinarverhandlung vom 18. September 2019 verkündete Erkenntnis wurde dem Disziplinarbeschuldigten per 18. September 2020 zugestellt.
Rechtliche Beurteilung
[7] Gegen dieses Erkenntnis erhob der Beschuldigte Berufung, und zwar nur wegen der Höhe der Strafe.
[8] Er vermeint, dass ihm nicht als erschwerend angelastet werden dürfe, dass der ihn anzeigende Rechtsanwalt fast provokant und wiederholt innerhalb kurzer Zeiträume Urgenzschreiben veranlasst hätte. Auch vermisst er eine Auseinandersetzung damit, ob und welcher Schaden vor allem für die rechtssuchende Bevölkerung entstanden sei; letztlich moniert er, dass die Ausfertigung des schriftlichen Erkenntnisses mehr als ein Jahr gedauert hätte, was ein weiterer – zu berücksichtigender – Milderungsgrund wäre. Überdies fehle die Berücksichtigung seines Geständnisses als mildernd.
[9] Zu diesen Argumenten hat der Senat erwogen:
[10] Zunächst ist auszuführen, dass der Beschuldigte – wiewohl er dazu Gelegenheit hatte – im ganzen Verfahren weder seine Einkommens‑ noch seine Vermögensverhältnisse offen gelegt hat. Demgemäß ging der Oberste Gerichtshof von durchschnittlichen Verhältnissen aus, sohin davon, dass monatlich ein Betrag von rund 3.500 Euro abgeschöpft werden kann, ohne das Fortkommen des Beschuldigten zu gefährden.
[11] Das Argument, die Nichtbeantwortung der Schreiben ***** hätte nur einen relativ kurzen Zeitraum umfasst, versagt insoweit, als sich dieses nur auf ein Faktum bezieht und erschwerend nicht der Umstand ist, dass zu diesem Faktum eine Antwort erst nach Urgenzen erfolgte, sondern vielmehr der Umstand, dass drei völlig unabhängige Vergehen gemeinsam abgeurteilt (Faktum 1, Faktum 2a und Faktum 2b) wurden.
[12] Auch wenn es sich – betrachtet man nur jedes Verhalten für sich – nicht um besonders gravierende Taten handelt, zeigt ihre Kumulierung doch eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber den standesrechtlichen Pflichten, sodass deren Zusammentreffen richtigerweise als erschwerend gewertet wurde: Dass die Nichtbeantwortung von Briefen von Rechtsanwälten, die verspätete Bezahlung von Verbindlichkeiten überhaupt erst nach Klagsführung und die Nichtbeantwortung von Aufforderungen der Rechtsanwaltskammer geeignet sind, die Interessen der rechtsschutzsuchenden Bevölkerung negativ zu beeinflussen, einen vermeidbaren Mehraufwand verursachen, ist nicht zweifelhaft.
[13] Ein Geständnis ist nur dann mildernd, wenn es wesentlich zur Wahrheitsfindung beiträgt oder reumütig ist. Die Angaben des Beschuldigten konnten zur Wahrheitsfindung nichts beitragen, weil sich der Sachverhalt bereits aus Urkunden eindeutig ergibt; Reue war der Verantwortung des Beschuldigten nicht zu entnehmen.
[14] Gemäß § 45 DSt beträgt der vorgegebene Strafrahmen bis zu 45.000 Euro. Im Hinblick darauf, dass eine Verurteilung mehrerer Disziplinarvergehen erfolgte, ist auch unter Berücksichtigung der vom Beschuldigten herangezogenen Gründe die verhängte Geldstrafe bei einer Gesamtbetrachtung schuld‑ und tatangemessen.
[15] Einzig und allein das Argument, die ein Jahr dauernde Ausfertigung des Erkenntnisses hätte neuerlich zu einer als mildernd zu wertenden überlangen Verfahrensdauer geführt, überzeugt.
[16] Da der Disziplinarrat betreffend das Faktum 1 bereits von einer „überlangen Verfahrensdauer ausging“, wäre er gehalten gewesen, das Erkenntnis besonders rasch auszufertigen, um eine weitere Verstärkung dieses Milderungsgrundes zu verhindern.
[17] Parteien haben ein Recht darauf, dass ihre Sache ohne unnötige Verzögerung entschieden wird, wozu auch gehört, dass Entscheidungen ohne Verzögerung ausgefertigt werden müssen.
[18] Damit ist – noch dazu in einer relativ einfachen und teilweise schon überlang anhängigen Sache – eine Ausfertigungszeit für die Entscheidung erster Instanz von einem Jahr jedenfalls nicht vereinbar. Wenn ein Verfahren schon überlang anhängig ist, hat das Erkenntnis besonders rasch ausgefertigt zu werden.
[19] Die neuerliche Verzögerung und dadurch bedingte Verlängerung der schon erstinstanzlich gegeben gewesenen überlangen Verfahrensdauer bei der Ausfertigung des Erkenntnisses über ein ganzes Jahr, also rund das 12‑fache der vorgesehenen Zeit (die Disziplinarverhandlung war am 18. September 2019, die Zustellung des Erkenntnisses erfolgte am 18. September 2020) rechtfertigte in Übereinstimmung mit der Kammeranwaltschaft eine weitere Reduzierung der Geldstrafe – wegen überlanger Verfahrensdauer (Art 6 Abs 1 MRK) – im Umfang von rund 20 %, also auf 1.200 Euro.
[20] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 54 Abs 5 DSt.
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