European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0120OS00042.21Z.0527.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde Wolfgang M***** des Vergehens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 StGB (I./), der Verbrechen der Vergewaltigung nach §§ 201 Abs 1, 15 StGB idF vor BGBl I 2019/105 (II./) und des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB (III./) schuldig erkannt.
[2] Danach hat er in H***** bei S***** und andernorts
I./ im Zeitraum von zumindest 1. Juni 2009 bis 7. Oktober 2018, sohin eine längere Zeit hindurch, dadurch gegen Erika M***** fortgesetzt Gewalt ausgeübt, dass er sie am Körper misshandelte und vorsätzliche mit Strafe bedrohte Handlungen gegen Leib und Leben oder gegen die Freiheit mit Ausnahme der strafbaren Handlungen nach §§ 107a, 108, 110 StGB gegen sie beging, und zwar insbesondere
a./ die Vergehen der Körperverletzung (§ 83 Abs 1 und Abs 2 StGB), indem er ihr ein Bein stellte und ihr Stöße versetzte, wodurch sie gegen Möbelstücke fiel oder zu Boden stürzte, sowie indem er ihr bis zum Jahr 2016 mehrmals im Monat, jedenfalls ab dem Jahr 2016 hingegen drei bis vier Mal wöchentlich Faustschläge gegen die Nieren, die Arme oder den Oberkörper und Ohrfeigen versetzte, ihr mit dem Einkaufswagen über die Zehen fuhr und Töpfe und Messer in das Spülbecken warf, während sich ihre Hände darin befanden, wodurch sie Hämatome, Prellungen, Rötungen und Schnittwunden erlitt;
b./ die Vergehen der Nötigung (§ 105 Abs 1 StGB), indem er zwei Mal mit dem Pkw schnell auf sie zufuhr, sodass sie zur Seite springen musste;
II./ im Zeitraum 2004 bis 31. Jänner 2018 Erika M***** mit Gewalt zur Vornahme oder Duldung des Beischlafs oder einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung genötigt und zu nötigen versucht, nämlich
a./ in zumindest zehn Angriffen, indem er sie an den Händen festhielt, sie auf das Bett drückte oder den Kopfpolster oder die Bettdecke auf ihr Gesicht drückte, sich auf sie legte oder ihr Kiefer zusammendrückte und den vaginalen Geschlechtsverkehr vollzog,
b./ in zumindest sechs Angriffen, indem er sich auf sie legte und sie an den Händen festhielt, eine Karotte in ihre Vagina einführte, wobei er sie dabei im September 2016 derart stark penetrierte bis sie blutete und danach mit seinem Penis in ihre Vagina eindrang,
c./ in einer Vielzahl an Angriffen, indem er sie bei den Haaren oder am Kopf packte und festhielt oder sie im Badezimmer auf einen Sessel hinstieß oder drohte, dass er ihr wieder weh tun werde, und seinen Penis in ihren Mund einführte,
d./ am 31. Jänner 2018, indem er sie in der Dusche gegen das Duschgestänge schob, gegen die Duschwand drückte und ihr Kiefer zusammendrückte, um einen Zungenkuss zu erzwingen, „mit einem Finger ihre Vagina penetriert, wobei es beim Versuch blieb“;
III./ am 30. März 2018 Erika M***** außer den Fällen des § 201 StGB mit Gewalt zur Vornahme oder Duldung einer geschlechtlichen Handlung genötigt, indem er sie mit einer Hand an der Schulter ergriff, gegen die Wand drückte, ihr das Kiefer zusammendrückte, um einen Zungenkuss zu erzwingen, und ihr auf die nackte Brust griff.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5 und 5a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – keine Berechtigung zukommt.
[4] Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wurde der vom Angeklagten in der Hauptverhandlung am 16. September 2020 gestellte Antrag „auf Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens aufgrund des gesamten Akteninhalts“ zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Zeugin M***** (ON 29 S 67) ohne Verletzung von Verteidigungsrechten abgewiesen, weil der Antrag mit dem bloßen Verweis auf (behauptete) psychische Probleme des Tatopfers nicht klar machte, warum im konkreten Fall jene besonderen Voraussetzungen vorliegen, die (ausnahmsweise) die Hilfestellung eines Sachverständigen zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen erfordern (vgl RIS‑Justiz RS0120634, RS0097733).
[5] Der Mängelrüge (Z 5) ist voranzustellen, dass der zur Überzeugung der Tatrichter von der Glaubwürdigkeit eines Zeugen aufgrund des von diesem gewonnenen persönlichen Eindrucks führende kritisch‑psychologische Vorgang als solcher der Anfechtung mit Mängelrüge entzogen ist (RIS‑Justiz RS0106588).
[6] Die Beurteilung der Überzeugungskraft von Aussagen kann jedoch unter dem Gesichtspunkt einer Unvollständigkeit mangelhaft erscheinen, wenn sich das Gericht mit gegen die Glaubwürdigkeit sprechenden Beweisergebnissen nicht auseinandergesetzt hat. Dafür aber müssen die die Aufrichtigkeit von Zeugen angeblich ernsthaft in Frage stellenden, gleichwohl unerörtert gebliebenen Tatumstände deutlich und bestimmt bezeichnet werden. Der Bezugspunkt besteht jedoch nicht in der Sachverhaltsannahme der Glaubwürdigkeit oder Unglaubwürdigkeit, sondern ausschließlich in den Feststellungen zu den entscheidenden Tatsachen, womit sich das Ausmaß der im Einzelfall geltenden Erörterungspflicht entsprechend reduziert (RIS‑Justiz RS0119422 [insb T4, T6]).
[7] Im Übrigen ist das Gericht – dem Gebot gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe entsprechend – nicht verpflichtet, im Urteil den vollständigen Inhalt sämtlicher Aussagen von Angeklagten und Zeugen zu erörtern und daraufhin zu untersuchen, wie weit jede einzelne Angabe für oder gegen diese oder jene Darstellung spricht, noch in der Lage und verhalten, sich mit jedem gegen seine Beweiswürdigung möglichen, im Rahmen der Nichtigkeitsbeschwerde dann konkret erhobenen Einwand im Voraus auseinander zu setzen (RIS‑Justiz RS0098778).
[8] Unter Zugrundelegung dieser Kriterien erweist sich die Unvollständigkeit, offenbar unzureichende Begründung und Aktenwidrigkeit (Z 5 zweiter, vierter und fünfter Fall) relevierende Mängelrüge als nicht stichhaltig.
[9] Das Schöffengericht stützte seine die Schuldsprüche tragenden Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen – ohne gegen Gesetze der Logik oder grundlegende Erfahrungswerte zu verstoßen (Z 5 vierter Fall) – (unter Verwerfung der leugnenden Verantwortung des Angeklagten [US 7 ff, 15, 19]) auf die Aussagen des Opfers Erika M***** und der als Zeugen vernommenen (gemeinsamen) Söhne Kevin und Kilian M***** (US 8 ff). Deren Glaubhaftigkeit bejahten die Tatrichter und legten auch dar, weshalb sie trotz des Umstands, dass es Erika M***** schwer fiel, Ereignisse zeitlich einzuordnen, sie allenfalls auch unterschiedliche Vorfälle vermischte und im Rahmen der kontradiktorischen Vernehmung ausführlichere oder detailreichere Schilderungen machte als vor der Polizei, sowie auch unter Berücksichtigung eines erkennbaren Loyalitätskonflikts beim Zeugen Kilian M***** (US 9 f, 16) von der Verlässlichkeit dieser Angaben in ihrem Kernbereich ausgingen (US 8 f, 20).
[10] Die Beschwerde unternimmt – gestützt auf Z 5 zweiter Fall – den Versuch, die Glaubwürdigkeit der Erika M***** anhand von nicht explizit bezeichneten (behaupteten) Widersprüchen innerhalb ihrer Aussagen vor Polizei und vor Gericht sowie anhand sonstiger Verfahrensergebnisse zu erschüttern, lässt dabei aber außer Acht, dass sich die ins Treffen geführten Umstände gerade nicht auf Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen beziehen. So sind etwa „psychische Probleme“ des Opfers, der Zeitraum zwischen den Vorfällen und der Ankündigung einer Scheidungsklage bzw der Anzeigeerstattung (vgl im Übrigen US 19), die Höhe der finanziellen Zuwendungen durch den Angeklagten während der Ehe sowie der Umstand, dass das Opfer aufgrund eines (weder im Urteil noch in der Beschwerde selbst näher konkretisierten) Vorfalls einen „gebrochenen“ oder einen „angeknacksten“ Zeh davontrug, für den Ausspruch über die Schuld oder die Subsumtion ebenso ohne Bedeutung wie der „Schlangen“- und der „Gartenschlauchvorfall“ (vgl US 4).
[11] Mit Spekulationen zu „Falschbelastungsmotiven“ und einer „äußerst ausgeprägten Belastungstendenz“ des Tatopfers, mit Hinweisen auf Angaben des Opfers gegenüber der Stiefschwester des Angeklagten und auf Ausführungen in einem Brief ihres Rechtsanwalts, im Falle einer Einigung über die vermögensrechtlichen Folgen der Ehescheidung von einer Anzeige oder Aussage abzusehen, sowie mit der beweiswürdigenden Erwägung, es sei „nicht nachvollziehbar“, dass eine Polizeibeamtin trotz Schilderung der Vorfälle durch das Opfer ihrer Anzeigepflicht nicht nachgekommen sei, wird bloß die Erika M***** attestierte Glaubwürdigkeit nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung bekämpft.
[12] Soweit die Mängelrüge das Unterbleiben einer Auseinandersetzung mit den Angaben des Tatopfers vor dem Bezirksgericht Thalgau betreffend den Zeitpunkt des Beginns der sexuellen Übergriffe moniert (Z 5 zweiter Fall), spricht sie gleichermaßen keine entscheidende Tatsache an, weil der betroffene Schuldspruch II./ – neben zwei zeitlich näher konkretisierten Vorfällen im September 2016 (US 5) und am 31. Jänner 2018 (US 6) – eine gleichartige Verbrechensmenge nur pauschal individualisierter Taten erfasst. Davon ausgehend würde die mit dem Einwand angestrebte Reduktion des Tatzeitraums weder den Schuldspruch noch die Subsumtion in Frage stellen (RIS‑Justiz RS0116736; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 33; zur Unbedenklichkeit aus Z 3 vgl im Übrigen/Lendl, WK‑StPO § 260 Rz 24), womit dazu getroffene Aussagen als Gegenstand einer Mängelrüge nicht in Betracht kommen (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 398 und 406).
[13] Gleiches gilt, soweit die Beschwerde betreffend Schuldspruch I./ in Bezug auf einen einzelnen der – vorliegend in ihrer Anzahl nicht konkret bestimmten, jedoch nach den Urteilsannahmen im Zeitraum 1. Juni 2009 bis 2016 mehrmals im Monat und ab 2016 bis 7. Oktober 2018 drei bis vier Mal wöchentlich gesetzten (US 2, 4) – Gewaltakte einen Widerspruch in den Angaben zur eingetretenen Verletzung moniert.
[14] Mit der Beschwerdekritik, es lägen „keinerlei objektivierbare Befunde oder Beweismittel“ zu Misshandlungen vor, obwohl das Opfer „beinahe laufend“ in ärztlicher Behandlung gestanden sei, wird ebenso lediglich (unzulässige) Beweiswürdigungskritik geübt wie mit der – unsubstantiierten, vom Schöffengericht ausdrücklich abgelehnten (US 20) und zudem keinen Bezug zu einer entscheidenden Tatsache aufweisenden – Behauptung, die Zeugen Mi*****, E***** und P***** seien von Erika M***** „angeleitet“ worden.
[15] Welche Aussagen der Zeuginnen K*****, Ka*****, Mi*****, E***** und P***** welcher Feststellung zu entscheidenden Tatsachen entgegen stehen sollte, legt die Mängelrüge nicht dar.
[16] Dem – gegen die Überzeugungskraft der Angaben der Zeugen Kilian und Kevin M***** gerichteten und zudem (nahezu ausnahmslos) nicht auf Konstatierungen zu entscheidenden Tatsachen bezogenen – Vorwurf der Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) zuwider ist eine Auseinandersetzung mit allen Einzelheiten dieser Aussagen unter dem Aspekt der Urteilsvollständigkeit nicht erforderlich, sie würde vielmehr dem Gebot zu gedrängter Darstellung in den Entscheidungsgründen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) zuwiderlaufen (RIS‑Justiz RS0098377 [T24] uva).
[17] Schließlich stellt es der Beschwerde zuwider keine offenbar unzureichende Begründung (Z 5 vierter Fall) dar, wenn die – in der Beschwerde wiederum nicht konkret bezeichneten – Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen auf die für glaubwürdig erachteten Angaben des Opfers und der Zeugen Kilian und Kevin M***** gestützt wurden (abermals RIS‑Justiz RS0106588).
[18] Dass in den Entscheidungsgründen Aussagen unrichtig oder unvollständig wiedergegeben worden wären (vgl RIS‑Justiz RS0099547), wird – trotz nomineller Heranziehung des Nichtigkeitsgrundes der Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) – vom Beschwerdeführer gar nicht behauptet. Vielmehr wird lediglich (in unzulässiger Weise) die Wertung dieser Aussagen im Rahmen der Beweiswürdigung kritisiert (vgl aber RIS‑Justiz RS0099431).
[19] Die Tatsachenrüge (Z 5a), welche die Glaubwürdigkeit der Zeugen erschüttern möchte, verkennt, dass der kritisch‑psychologische Vorgang der freien richterlichen Beweiswürdigung der Anfechtung mit Nichtigkeitsbeschwerde entzogen ist (RIS‑Justiz RS0099419).
[20] Die Nichtigkeitsgründe des § 281 Abs 1 StPO sind voneinander wesensmäßig verschieden und daher gesondert auszuführen, wobei unter Beibehaltung dieser klaren Trennung deutlich und bestimmt jene Punkte zu bezeichnen sind, durch die sich der Nichtigkeitswerber für beschwert erachtet. Die Erklärung im Rahmen der Tatsachenrüge, „zur Vermeidung von Wiederholungen“ werde das Vorbringen der Mängelrüge „zum Vorbringen zu diesem Beschwerdepunkt erhoben“, entspricht daher nicht der Strafprozessordnung (RIS‑Justiz RS0115902).
[21] Soweit der Beschwerdeführer kritisiert, das Erstgericht habe die Verantwortung des Angeklagten „beinahe zur Gänze übergangen“ und daher entgegen „seiner Pflicht zur amtswegigen Erforschung der Wahrheit ihm zugängliche Beweismittel“ nicht „ausgeschöpft“, wird der Bezugspunkt des Nichtigkeitsgrundes der Z 5a des § 281 Abs 1 StPO verkannt (RIS‑Justiz RS0118780).
[22] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Über die Berufung des Angeklagten hat demnach das Oberlandesgericht zu entscheiden (§ 285i StPO).
[23] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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