OGH 11Os54/21g

OGH11Os54/21g18.5.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Mai 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in der Strafsache gegen R***** wegen des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3 Z 1, Abs 4 vierter Fall StGB aF sowie weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Schöffengericht vom 21. Jänner 2021, GZ 13 Hv 77/20s‑28, nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo 2019) zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0110OS00054.21G.0518.000

 

Spruch:

 

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch wegen Vergehen der sittlichen Gefährdung von Personen unter sechzehn Jahren nach § 208 Abs 1 StGB (D), demzufolge auch im Strafausspruch, aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht St. Pölten verwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf die Aufhebung verwiesen.

Ihm fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde R***** des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3 Z 1, Abs 4 vierter Fall StGB idF BGBl I 2009/40 (A) sowie jeweils mehrerer Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (B), Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (C) und Vergehen der sittlichen Gefährdung von Personen unter sechzehn Jahren nach § 208 Abs 1 StGB (D) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in W***** vom Jahr 2010 bis Anfang Dezember 2014,

(A) somit länger als ein Jahr, gegen die 2006 geborene, demnach zur Tatzeit unmündige Tochter seiner Lebensgefährtin, C*****, auf im angefochtenen Urteil beschriebene Weise fortgesetzt Gewalt ausgeübt, ferner

in zumindest zwei Angriffen

(B) außer dem Fall des § 206 StGB von einer unmündigen Person,

(C) die seiner Erziehung und Aufsicht unterstand, unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber dieser Person

geschlechtliche Handlungen an sich vornehmen lassen, indem er der Genannten auftrug, seinen Penis durch Berührung zu manipulieren, während er nackt auf einer Couch lag (US 6 f), sowie

(D) Handlungen, die geeignet waren, die sittliche, seelische oder gesundheitliche Entwicklung von Personen unter sechzehn Jahren zu gefährden, vor einer unmündigen Person vorgenommen, um sich dadurch geschlechtlich zu erregen oder zu befriedigen, indem er in mehreren Angriffen im Beisein der Genannten – teils während er sich nackt auf einer Couch liegend von ihr massieren ließ (US 6, 7) – in für sie wahrnehmbarer Weise „pornographische Darstellungen in Form von Filmen“ abspielte.

Rechtliche Beurteilung

 

[3] Nur gegen den Schuldspruch D richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 und 9 [lit] a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

 

[4] Wie die Rechtsrüge (Z 9 lit a) zutreffend aufzeigt, schafft die Verwendung des normativen Begriffs „pornographisch“ (US 7, 14: „pornographische Filme“; US 9: „Pornos“) nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (13 Os 62/14p) keine hinreichende Tatsachenbasis, um die von § 208 Abs 1 StGB verlangte Gefährdungseignung (dazu Philipp in WK2 StGB § 208 Rz 7) des Vorführens so bezeichneter Filme beurteilen zu können. Deskriptive Feststellungen zur Ausfüllung dieses Begriffs (vgl zB 14 Os 50/14f: „Pornofilme“, „in denen Personen beim Geschlechtsverkehr und sonstigen geschlechtlichen Handlungen zu sehen waren“) hat das Erstgericht hier nicht getroffen.

[5] Die konstatierten – per se auch keine geschlechtlichen Handlungen (§ 207 Abs 1 StGB) darstellenden (vgl Leukauf/Steininger/Tipold, StGB4 § 207 Rz 7 mwN) – (gleichzeitigen) „Massagen“ des Angeklagten durch das Opfer (an nicht festgestellten Teilen des unbekleideten Körpers – US 6, 7) sind ebenso wenig tatbestandsmäßig nach § 208 Abs 1 StGB. Setzt doch diese Norm eine Handlung „vor“ dem Opfer voraus, womit Handlungen unter körperlicher Beteiligung des Opfers insoweit als Subsumtionsbasis ausscheiden (abermals 13 Os 62/14p mwN; RIS‑Justiz RS0095353).

Die Feststellungsgrundlage des Ersturteils trägt den angefochtenen Schuldspruch – hiervon ausgehend – nicht. Ebenso wenig trägt sie eine davon verschiedene Subsumtion der vom betreffenden Schuldspruch umfassten Taten (die nach dem Urteilssachverhalt mit den vom Schuldspruch B und C umfassten, zutreffend § 207 Abs 1 StGB und § 212 Abs 1 Z 2 StGB [in echter Idealkonkurrenz] unterstellten Taten nicht ident sind [vgl US 7: „darüber hinaus“]; zu je nach Fallgestaltung möglicher Konsumtion des § 208 Abs 1 StGB vgl Philipp in WK 2 § 208 Rz 13 mwN).

[6] Dies führte – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – zur Aufhebung des angefochtenen Urteils wie aus dem Spruch ersichtlich bereits nach nichtöffentlicher Beratung (§§ 285e, 289 StPO).

[7] Mit seiner Berufung war der Angeklagte hierauf zu verweisen.

 

[8] Mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO sei hinzugefügt:

[9] Bei den von den (bestandskräftigen) Schuldsprüchen B und C umfassten Taten handelt es sich zwar um „wiederholt“ begangene Straftaten gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung der C*****, doch wurden diese – auf der Basis des Urteilssachverhalts – nicht „im Rahmen“ (§ 107b Abs 4 zweiter Fall StGB idF BGBl I 2009/40; § 107b Abs 3a Z 3 StGB idgF) der vom Schuldspruch A umfassten (gegenüber demselben, damals unmündigen Opfer begangenen) fortgesetzten Gewaltausübung verübt. Demzufolge steht ihre Zusammenfassung mit den vom Schuldspruch A umfassten Taten zu einer (gemeinsamen) Subsumtionseinheit nach § 107b StGB – und damit die Frage von Spezialität (RIS‑Justiz RS0128942) oder von Subsidiarität (§ 107b Abs 5 StGB) desselben gegenüber den durch sie verwirklichten strafbaren Handlungen nach dem 10. Abschnitt des StGB (dazu eingehend 11 Os 99/18w; 11 Os 125/19w) – hier von vornherein nicht in Rede.

[10] Nach dem Urteilssachverhalt wurden die vom Schuldspruch A umfassten Taten allesamt im zeitlichen Geltungsbereich des § 107b StGB idF BGBl I 2009/40 begangen. Sie erfüllen die Tatbestandselemente des § 107b Abs 1, Abs 3 Z 1, Abs 4 vierter Fall StGB idF BGBl I 2009/40 ebenso wie jene des zum Zeitpunkt der Urteilsfällung in erster Instanz in Geltung stehenden § 107b Abs 1, Abs 3a Z 1, Abs 4 zweiter Fall StGB idgF (BGBl I 2019/105). Der Strafsatz der strengsten erfüllten Qualifikationsnorm ist in beiden Gesetzesfassungen gleich streng (Freiheitsstrafe von fünf bis zu fünfzehn Jahren sowohl nach Abs 4 vierter Fall aF als auch nach Abs 4 zweiter Fall idgF). Hiervon ausgehend sind Tat- und Urteilszeitgesetze in ihrer fallkonkreten Gesamtauswirkung (RIS‑Justiz RS0119085 [T1]) gleich günstig. Gemäß § 61 zweiter Satz StGB wären diese Taten daher rechtsrichtig § 107b Abs 1, Abs 3a Z 1, Abs 4 zweiter Fall StGB idgF zu unterstellen gewesen. Ihre Subsumtion nach Tatzeitrecht, wie sie das Erstgericht vornahm, ist hingegen verfehlt.

[11] Zur amtswegigen Wahrnehmung darin gelegener materieller Nichtigkeit (Z 10; vgl Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 653 und § 288 Rz 36) besteht jedoch kein Anlass, weil eine unrichtige Subsumtion den Angeklagten nicht ohne weiteres im Sinn des § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO benachteiligt ( Ratz , WK‑StPO § 290 Rz 22 ff) und das Schöffengericht im zweiten Rechtsgang diesem Umstand – ohne Bindung an die verfehlte rechtliche Unterstellung – bei der Fällung seines Ergänzungsurteils Rechnung zu tragen hat (RIS‑Justiz RS0129614 [T1]).

 

[12] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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