OGH 15Os43/21v

OGH15Os43/21v14.5.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Mai 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in der Strafsache gegen N***** A***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 2. September 2020, GZ 20 Hv 28/20z‑25, nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo 2019) den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0150OS00043.21V.0514.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde N***** A***** mehrerer Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (1./) und eines Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (2./) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er von 24. Juni 2016 bis Jänner 2017 in G***** mit bzw an der am ***** 2004 geborenen D***** S*****, sohin einer unmündigen Person,

1./ außer dem Fall des § 206 StGB eine geschlechtliche Handlung vorgenommen, indem er in zirka sieben Angriffen mit der Hand unter ihr T‑Shirt fuhr, ihre bereits im Entwicklungsstadium befindlichen nackten Brüste knetete sowie mit der Hand in Hose und Unterhose fuhr und ihren nackten Scheidenbereich massierte;

2./ eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternommen, indem er im Zuge einer der unter 1./ dargestellten Tathandlungen einen Finger in ihre Vagina einführte.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen wendet sich die auf Z 4 und 5 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.

[4] Entgegen der Kritik der Verfahrensrüge (Z 4) wurden durch die Abweisung des Antrags auf „Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Psychologie“ zum Beweis dafür, dass die Zeugin D***** S***** zu Konfabulationen neige, „da ihre Angaben vor der Polizei und im Zuge der kontradiktorischen Einvernahme erheblich in Zweifel zu ziehen sind“ (ON 18 S 25, ON 24 S 6), Verteidigungsrechte nicht verletzt.

[5] Denn zum einen hat der Antragsteller nicht dargelegt, dass das Tatopfer sowie dessen gesetzliche Vertreterin die notwendige Zustimmung zu einer Untersuchung erteilt hätten oder eine solche erteilen würden (RIS‑Justiz RS0097584, RS0108614 [T3]; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 350).

[6] Zum anderen handelt es sich bei der Prüfung der Glaubwürdigkeit der Angaben einer Zeugin um eine Frage der richterlichen Beweiswürdigung, die in der Regel der Hilfestellung durch einen Sachverständigenbeweis nicht bedarf. Ein aussagepsychologisches Gutachten ist nur dann geboten, wenn durch Beweisergebnisse aktenmäßig belegte Ansatzpunkte für eine nicht realitätsorientierte Aussage, etwa für eine Beeinflussung des Aussageverhaltens von unmündigen oder psychisch kranken Personen vorliegen (RIS‑Justiz RS0097733, RS0097576). Solch qualifizierte Anhaltspunkte werden aber mit der bloßen Behauptung von Konfabulationstendenzen und – nicht näher dargelegten – Widersprüchen in den Aussagen der Zeugin nicht dargelegt.

[7] Die in der Beschwerde nachgetragenen Gründe sind angesichts des sich aus dem Wesen dieses Nichtigkeitsgrundes ergebenden Neuerungsverbots unbeachtlich (RIS‑Justiz RS0099618).

[8] Die Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) moniert eine Unvollständigkeit der Beweiswürdigung, weil sich die Tatrichter nicht mit „den Widersprüchen in den Angaben der Zeugen“ auseinandergesetzt hätten, unterlässt es aber, diese konkret zu bezeichnen und entzieht sich so einer inhaltlichen Erwiderung.

[9] Entgegen dem weiteren Vorbringen hat die Zeugin T***** O***** nicht angegeben, D***** S***** sei nach der Geburt ihrer Tochter (24. Juni 2016) nicht mehr bei ihr in der Wohnung in G***** gewesen (ON 18 S 21; vgl auch US 14), sodass ein erörterungsbedürftiger „Widerspruch“ zum angenommenen Tatzeitraum (24. Juni 2016 bis Jänner 2017) nicht vorliegt.

[10] Soweit die Beschwerde es als lebensfremd bezeichnet, dass „derartige Übergriffe nicht wahrgenommen worden wären“ bzw sich das Opfer nicht zur Wehr gesetzt oder das Zimmer verlassen hätte, und es als nicht nachvollziehbar erachtet, dass S***** keine ärztliche Behandlung durchführen habe lassen, bekämpft sie – ebenso wie mit Spekulationen über den Zeitpunkt der Anzeige („justament zu dem Zeitpunkt“ als die leibliche Vaterschaft des Angeklagten festgestellt wurde) – lediglich die Beweiswürdigung der Tatrichter nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Berufung wegen Schuld. Gleiches gilt für die eigene Einschätzung, das Opfer habe im Zuge der kontradiktorischen Vernehmung keinen glaubhaften Eindruck vermittelt und die Übergriffe nicht detailgetreu, sondern nur vage geschildert.

[11] Mit der Berufung auf den Zweifelsgrundsatz wird keine Nichtigkeit aus Z 5 aufgezeigt (RIS‑Justiz RS0102162).

[12] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sogleich zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus ergibt sich die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen (§ 285i StPO).

[13] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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