European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:E131620
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 626,52 EUR (darin 104,42 EUR an USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Die Klägerin hat mit der Beklagten einen Rechtsschutzversicherungsvertrag abgeschlossen, dem die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung 2006 (ARB 2006) zugrundeliegen. Art 7 ARB 2006 lautet auszugsweise:
„Artikel 7
Was ist vom Versicherungsschutz ausgeschlossen?
1. Kein Versicherungsschutz besteht für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen
[...]
1.4. in unmittelbarem oder mittelbarem Zusammenhang mit hoheitsrechtlichen Anordnungen, die aufgrund einer Ausnahmesituation an eine Personenmehrheit gerichtet sind;
[...]“
[2] Die Bezirkshauptmannschaft St. Johann im Pongau ordnete mit Verordnung vom 13. 3. 2020 (betreffend Schließung des Seilbahnbetriebs und von Beherbergungsbetrieben zur Eindämmung der Ausbreitung von „SARS‑CoV‑2“), Zahl 30405-508/3618/137-2020, an, dass der Betrieb von Seilbahnen iSd § 2 Abs 1 SeilbahnG 2003 gemäß § 26 Epidemiegesetz (EpiG) 1950 eingestellt und Beherbergungsbetriebe iSd § 111 Abs 1 Z 1 GewO 1994 gemäß § 20 Abs 1 und 4 EpiG 1950 und der VO BGBl II 2020/74 geschlossen werden. Diese Verordnung trat mit der Kundmachung in jeder Gemeinde des Bezirks St. Johann im Pongau, Beherbergungsbetriebe betreffend frühestens am 16. 3. 2020, 20:00 Uhr, in Kraft. Die Verordnung wurde mit der weiteren Verordnung der Bezirkshauptmannschaft St. Johann im Pongau vom 28. 3. 2020 zur Zahl 30405-508/3618/310-2020 aufgehoben. Das mit 16. 3. 2020 in Kraft getretene Bundesgesetz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-19-Maßnahmengesetz; BGBl I 2020/12) ermöglichte dann behördliche Anordnungen, mit denen das Betreten von (bestimmten) Betriebsstätten oder das Betreten von bestimmten Orten verboten werden konnte.
[3] Die Klägerin betreibt das „*hotel T*“ in Obertauern. Aufgrund der behördlich angeordneten „Betriebsschließungen“ war der Beherbergungsbetrieb der Klägerin vom 16. 3. 2020 bis zum Saisonende (19. 4. 2020) geschlossen.
[4] Die Klägerin begehrte von der Beklagten Rechtsschutzdeckung für ein gegen ihren Betriebsunter-brechungsversicherer anzustrengendes Verfahren, in dem die Klägerin Verdienstentgang wegen der aufgrund von COVID‑19 erlassenen Betretungsverbote bzw Betriebsschließungen anstrebt.
[5] Die Beklagte beantragte die Abweisung der Deckungsklage mit der – für das Revisionsverfahren noch allein wesentlichen – Begründung, dieser stehe der Risikoausschluss nach Art 7.1.4 ARB 2006 entgegen.
[6] Das Erstgericht wies die Deckungsklage auf der Grundlage des eingangs zusammengefassten Sachverhalts ab. Es vertrat die Rechtsansicht, dass die behördlichen Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 Folge einer Ausnahmesituation, an eine Personenmehrheit gerichtete hoheitsrechtliche Anordnungen und im Sinn eines zumindest mittelbaren Zusammenhangs ursächlich für die Betriebsunterbrechung seien, weshalb der Risikoausschluss nach Art 7.1.4 ARB 2006 greife.
[7] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Es schloss sich der Rechtsansicht des Erstgerichts an und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil die Auslegung der Klausel Art 7.1.4 ARB 2006 im Zusammenhang mit COVID‑19 über den bloßen Einzelfall hinaus Bedeutung habe.
[8] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn der Klagestattgebung. Hilfsweise stellt die Klägerin auch einen Aufhebungsantrag.
[9] Die Beklagte erstattete eine Revisions-beantwortung mit dem Antrag, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise dieser nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[10] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.
[11] I. Rechtliche Grundlagen zu COVID‑19
[12] 1. Gemäß § 20 Abs 1 Epidemiegesetz 1950 (BGBl 1950/186 idgF; folgend: EpiG) kann beim Auftreten gewisser Krankheiten, die in dieser Bestimmung taxativ aufgezählt werden, die Schließung von Betriebsstätten, in denen bestimmte Gewerbe ausgeübt werden, deren Betrieb eine besondere Gefahr für die Ausbreitung dieser Krankheit mit sich bringt, für bestimmt zu bezeichnende Gebiete angeordnet werden, wenn und insoweit nach den im Betrieb bestehenden Verhältnissen die Aufrechterhaltung desselben eine dringende und schwere Gefährdung der Betriebsangestellten selbst sowie der Öffentlichkeit überhaupt durch die Weiterverbreitung der Krankheit begründen würde. § 20 Abs 2 leg cit ermöglicht unter denselben Voraussetzungen die Schließung oder Beschränkung einzelner Betriebsstätten sowie die Untersagung des Betretens der Betriebsstätten durch einzelne Personen, die mit Kranken in Berührung kommen. Gemäß § 20 Abs 3 leg cit ist die Schließung einer Betriebsstätte jedoch erst dann zu verfügen, wenn ganz außerordentliche Gefahren sie nötig erscheinen lassen.
[13] 2. In der Liste der vom EpiG ausdrücklich erfassten Krankheiten ist COVID‑19 zwar nicht angeführt; das Gesetz enthält aber eine Verordnungsermächtigung für den Bundesminister für Gesundheit, wonach weitere übertragbare Krankheiten der Meldepflicht unterworfen werden (§ 1 Abs 2 EpiG) und zur Grundlage von Betriebsschließungen gemacht werden können (§ 20 Abs 4 EpiG).
[14] 3. Nachdem in Innsbruck am 25. 2. 2020 der erste Fall einer Corona-Infektion aufgetreten war, hat der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz von dieser Verordnungsermächtigung gemäß § 20 Abs 4 EpiG Gebrauch gemacht und mit Verordnung vom 28. 2. 2020 (Art 1 BGBl II 2020/74) angeordnet, dass die in § 20 Abs 1 bis 3 des EpiG bezeichneten Vorkehrungen auch bei Auftreten einer Infektion mit SARS-CoV-2 („2019 neuartiges Coronavirus“) getroffen werden können (7 Ob 214/20a; vgl auch Fenyves, COVID‑19 und die Seuchen-Betriebsunterbrechungsversicherung, VersRdSch H 5/2020, 34 [37 f]). In der Folge kam es – im Wesentlichen auf diese Regelungen gestützt – zur Erlassung einer Reihe von Verordnungen, in denen „verkehrsbeschränkende“ Maßnahmen angeordnet wurden.
[15] II. Risikoausschluss nach Art 7.1.4 ARB 2006 und Auslegungsgrundsätze
[16] 1. Vom Versicherungsschutz ausgeschlossen ist nach Art 7.1.4 ARB 2006 die Wahrnehmung rechtlicher Interessen „in unmittelbarem oder mittelbarem Zusammenhang mit hoheitsrechtlichen Anordnungen, die aufgrund einer Ausnahmesituation an eine Personenmehrheit gerichtet sind“. Zur Klärung, ob dieser Risikoausschluss zum Tragen kommt, ist das Vorliegen mehrerer Voraussetzungen anhand von Begriffen zu prüfen, die in der Rechtsprechung teilweise noch nicht Beurteilungsgegenstand waren.
[17] 2. Für diese zu klärenden Auslegungsfragen gelten zunächst die allgemeinen Grundsätze. Demnach sind Allgemeine Versicherungsbedingungen nach Vertragsauslegungsgrundsätzen auszulegen. Die Auslegung hat sich am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers zu orientieren (RS0050063; RS0112256). Die einzelnen Klauseln sind, wenn sie nicht auch Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen (RS0008901). In allen Fällen ist der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung zu berücksichtigen (RS0008901 [T5, T7, T87]). Als Ausnahmetatbestände, die die vom Versicherer übernommene Gefahr einschränken oder ausschließen, dürfen Ausschlüsse nicht weiter ausgelegt werden, als es ihr Sinn unter Betrachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise sowie des Regelungszusammenhangs erfordert (RS0107031 [T1]).
[18] III. Die einzelnen Voraussetzungen des Risikoausschlusseses nach Art 7.1.4 ARB 2006
[19] 1. Der Risikoausschluss verlangt zunächst das Vorliegen von „hoheitsrechtlichen Anordnungen“, die „an eine Personenmehrheit gerichtet sind“. Jene Verordnungen, die– wie auch im vorliegenden Fall – auf den zu I. bezeichneten Rechtsgrundlagen erfolgten und „verkehrsbeschränkende“ Maßnahmen anordneten, waren nicht etwa eine gegen ein einzelnes Unternehmen gerichtete, individuelle Betriebsschließung, sondern richteten sich – sei es bezirks- oder landesweit – grundsätzlich an die gesamte dortige Bevölkerung. Am Vorliegen hoheitsrechtlichen Anordnungen, die an eine Personenmehrheit gerichtet waren, kann daher kein Zweifel bestehen (vgl dazu auch Karauscheck/Pillwein, Maßnahmen zur Verhinderung von COVID-19 und Rechtsschutzversicherungen, immo aktuell 2020, 90 [91]).
[20] 2. Die hoheitsrechtlichen Anordnungen müssen „aufgrund einer Ausnahmesituation“ ergangen sein. Die WHO hat die COVID-19-Viruserkrankung zur Pandemie erklärt. Es handelt sich um eine weltweite, praktisch alle Lebensbereiche erfassende, inzwischen mehr als ein Jahr währende, weltweite Krisensituation, die inzwischen eine enorme Zahl an Toten und Erkrankten gefordert und massive soziale sowie wirtschaftliche Schäden verursacht hat. Die Qualität dieser Pandemie als „Ausnahmesituation“ im Sinn des in Rede stehenden Risikoausschlusses ist nicht nur nicht ernsthaft zu bezweifeln, sondern geradezu evident.
[21] 3. Art 7.1.4 ARB 2006 verlangt für den „Hoheitsausschluss“, dass die angestrebte Wahrnehmung rechtlicher Interessen (der Rechtsstreit) in „unmittelbarem oder mittelbarem Zusammenhang“ zur betreffenden hoheitsrechtlichen Anordnung steht:
[22] 3.1. Zu dieser Frage des notwendigen Zusammenhangs werden im gegebenen Kontext – allerdings zum nicht wortgleichen Risikoausschluss nach Art 7.1.2 ARB 2007 bzw ARB 2015 [„in ursächlichem Zusammenhang“] – unterschiedliche Ansichten vertreten.
[23] 3.1.1. Karauscheck/Pillwein (Maßnahmen zur Verhinderung von COVID-19 und Rechtsschutzversicherungen, immo aktuell 2020, 90 [92]) verlangen eine Prüfung, die der Adäquanzprüfung im Schadenersatzrecht nachgebildet sei. Atypische Kausalverläufe sollten nicht vom Ausschluss erfasst sein, wobei ein objektiver Maßstab anzulegen sei. Die Genannten führen zu dieser Adäquanz – konkret beim Katastrophenausschluss – aus, dass auf rechtliche Interessenwahrnehmungen, die ohne die Coronavirus-Pandemie gar nicht erfolgt wären und die im engen sachlichen Zusammenhang mit der Pandemie stünden, der Katastrophenausschluss dann anzuwenden sei, wenn sie eine typische Folge der Pandemie darstellten. Dem Zweck des Ausschlusses nach werde es ein starkes Indiz für das Vorliegen einer typischen Folge der Pandemie sein, wenn die Rechtsverfolgung eine Vielzahl an Personen in gleicher oder vergleichbarer Weise betreffe.
[24] 3.1.2. Nach Kudrna(Rechtsschutzversicherungs-deckung für COVID-19-bedingte Schadensfälle? ecolex 2020, 464 [465 f]) bedürfe es – wie im Schadenersatzrecht zur Haftungsbegrenzung – eines adäquaten Zusammenhangs zwischen Rechtsstreit und Ausnahmesituation; es müsse also der Rechtsstreit, für den Deckung gewährt werden soll, typische Folge der Ausnahmesituation sein. In jenen Schadensfällen, deren Eintritt per se erst durch COVID-19 möglich geworden sei, werde wohl die Ausschlussklausel Anwendung finden. Das wäre beispielsweise in rechtlichen Angelegenheiten im Zusammenhang mit COVID-19-Förderungen der Fall, sodass hier keine Rechtsschutzdeckung zu gewähren sein werde. Jedoch in solchen Fällen, wo der Schadensfall auch abseits der aktuellen Ausnahmesituation alles andere als untypisch sei und solche regelmäßig eintreten, werde die Ausschlussklausel nicht herangezogen werden können. Als solche Fälle würden etwa rechtliche Angelegenheiten im Zusammenhang mit Flugstornierungen zählen. Ebenso werde auch in bestandsrechtlichen Angelegenheiten diese Ausschlussklausel nicht verwirklicht sein, möge der Sachverhalt auch COVID-19-bedingte Aspekte aufweisen.
[26] 3.1.3. Gisch/Weinrauch, Fragen der Rechtsschutz-versicherung bei COVID-19-bedingten Deckungsablehnungen des Betriebsunterbrechungsversicherers, RdW 2020/476, 669 [671 f]) kommen zum Ergebnis, dass vom Risikoausschluss auch Streitigkeiten über Ansprüche gegen Dritte, gegenständlich also Personen, die von der hoheitlich anordnenden Behörde verschieden sind, erfasst sein können. Doch werde dabei noch weiter zu differenzieren sein, wie diese Personen erfasst seien: Außerhalb des Anwendungsbereichs der Risikoausschluss-Klauseln lägen jedenfalls die Fälle bloß mittelbarer Betroffenheit: Die Inanspruchnahme des Betriebsunterbrechungsversicherers als Folge der angeordneten Betriebsschließung sei in dieser Konstellation durchaus mit der Leistungsverweigerung des Lebensversicherers in der E 7 Ob 36/18x vergleichbar: Der Versicherer trete nicht nur als dritte Person hinzu, in seiner Rechtsbeziehung zu ihm sei der (rechtsschutzversicherte) Versicherungsnehmer lediglich mittelbar – hier: von einer behördlich angeordneten Betriebsschließung – betroffen und zwar erst infolge der Schadenmeldung durch den Versicherungsnehmer an ihn und seiner darauffolgenden Deckungsablehnung. Ein Rechtsstreit gegen einen derart mittelbar betroffenen Dritten liege aber im Sinn der E 7 Ob 36/18x jedenfalls nicht mehr innerhalb des „ursächlichen Zusammenhangs“ und stelle daher keine typische Folge der behördlich angeordneten Betriebsschließung dar.
[27] 3.1.4. Nach Figl/Perner (in Resch, Corona-HB1.04 Kap 20 Rz 67 f) würden die unterschiedlich vertretenen Ansichten zeigen, dass es im Ergebnis darauf ankomme, ob COVID-19 der unmittelbare Auslöser für den Rechtsstreit sein müsse, oder ob – und wenn, wie weit – ein mittelbarer Zusammenhang genüge. Im Ergebnis sei allerdings eines zu bedenken: Die durchaus erheblichen Schwierigkeiten, zu einem eindeutigen Auslegungsergebnis zu gelangen, würden im Zweifel für ein enges Verständnis des Risikoausschlusses sprechen. Soweit nämlich auch nach Ausschöpfung aller Auslegungsmethoden mehrere Ergebnisse denkbar seien und daher Unklarheiten bestünden, sei gemäß § 915 ABGB im Zweifel die für den Versicherer ungünstigere Auslegungsvariante zu wählen. Er sei es ja, der sich in seinen AVB des Begriffs des „ursächlichen“ Zusammenhangs bedient habe, ohne ihn weiter zu konkretisieren.
[28] 3.2. Unter Berücksichtigung dieser recht unterschiedlichen Zugänge sind für den vorliegenden Fall folgende Umstände hervorzuheben:
[29] 3.2.1. Soweit zunächst als erste Annäherung zur Eingrenzung des Begriffsmerkmals „unmittelbarer oder mittelbarer Zusammenhang“ eine (reine) Kausalverknüpfung im Sinn der conditio sine qua non zu fordern ist, liegt diese zweifellos vor. Die behördlichen Betretungsverbote waren nach der eigenen Darstellung der Klägerin der Grund für die Schließung ihres Betriebs.
[30] 3.2.2. Für den weiteren Auslegungsvorgang ist der Ausschlusszweck zu erwägen. Der Risikoausschlusses des Art 7.1.4 ARB 2006 lässt nicht allein den Zusammenhang mit hoheitsrechtlichen Anordnungen genügen, sondern verlangt zusätzlich, dass diese aufgrund einer Ausnahmesituation erfolgen und sich überdies an eine Personenmehrheit richten. Dadurch wird klar, dass damit besonders schwer kalkulierbare, weil unabsehbare Risken ausgeschlossen werden sollen, die sich im Gefolge eines außergewöhnlichen Ereignisses verwirklichen, das behördliche Maßnahmen gegen eine größere Anzahl von Personen erfordert (zutreffend Karauscheck/Pillwein, Maßnahmen zur Verhinderung von COVID-19 und Rechtsschutzversicherungen, immo aktuell 2020, 90 [92]).
[31] 3.2.3. Soweit Gisch/Weinrauch (Fragen der Rechtsschutzversicherung bei COVID-19-bedingten Deckungsablehnungen des Betriebsunterbrechungs-versicherers, RdW 2020/476, 669 [671 f]) Parallelen zur Rechtsprechung zur Bauherrnklausel und dem dort üblichen Erfordernis des „ursächlichen Zusammenhangs“ herstellen, wird zunächst in der gerade von den Genannten zitierten Entscheidung 7 Ob 36/18x (Punkt 4.2.) betont, dass der Ausschluss auch Ansprüche gegen Dritte erfassen kann, die sich nicht gegen das Finanzierungsinstitut selbst richten, sondern gegen sonstige Institutionen oder zur Beratung eingeschaltete Dritte. Dass hier die Wahrnehmung rechtlicher Interessen nicht (nur) gegen die anordnende Behörde, sondern gegen einen Dritten gerichtet ist, steht daher der Anwendung des Risikoausschlusses nicht entgegen.
[32] 3.2.4. Dazu kommt, dass der hier fragliche Risikoausschluss – im Unterschied zu jenem, den die zitierten Literaturstimmen ansprechen – den notwendigen „Zusammenhang“ nicht undifferenziert verwendet, sondern ausdrücklich auch einen „mittelbaren“ Zusammenhang genügen lässt, was ohnehin für ein tendenziell weiteres Auslegungsverständnis spricht. Berücksichtigt man deshalb letztlich noch, dass eine zentrale Maßnahme zur Bekämpfung der Ausnahmesituation (Pandemie) in der möglichst umfassenden Kontaktvermeidung besteht, dann wird damit vollends deutlich, dass die weitgehenden Betriebsschließungen im touristischen Bereich die geradezu typische Folgewirkung der behördlichen Betretungsverbote darstellen und sich diese als ein von den Gebietskörperschaften bewusst eingesetztes, zentrales Mittel der Pandemiebekämpfung darstellen. Ein jedenfalls „mittelbarer“ Zusammenhang zwischen der angestrebten Rechtsverfolgung gegenüber dem Betriebsunterbrechungs-versicherer und jenen behördlichen Anordnungen, die zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie an die Allgemeinheit gerichtete, ein bezirks- bzw landesweites Betretungsverbot für Beherbergungsbetriebe anordnen, kann bei dieser Sachlage nicht ernstlich bezweifelt werden. Die Voraussetzungen für die Anwendung des Risikoausschlusses des Art 7.1.4 ARB 2006 liegen daher vor.
[33] IV. Einwände der Klägerin
[34] 1. Die Klägerin hält dem zuvor gewonnenen Auslegungsergebnis (III.3.2.4.) im Kern entgegen, dass eine Betriebsschließung nach dem EpiG gerade nicht untypisch sei, zumal dieses Gesetz für verschiedene Krankheiten eine derartige Schließung vorsehe. Diese Sichtweise greift aber schon deshalb zu kurz, weil der Risikoausschluss des Art 7.1.4 ARB 2006 Betriebsschließungen nach dem EpiG gerade nicht generell, sondern nur unter den ganz besonderen, bereits angesprochenen weiteren Voraussetzungen einer „Ausnahmesituation“ und aufgrund dessen „an eine Personenmehrheit“ gerichteter „hoheitsrechtlichen Anordnungen“ erfasst.
[35] 2. Der Risikoausschluss des Art 7.1.4 ARB 2006 ist entgegen der Rechtsansicht der Klägerin auch nicht gröblich benachteiligend im Sinn des § 879 Abs 3 ABGB. Bei der Beurteilung, ob eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder in einem Vertragsformblatt enthaltene Bestimmung eine „gröbliche“ Benachteiligung eines Vertragspartners bewirkt, hat sich der Rechtsanwender am dispositiven Recht als dem Leitbild eines ausgewogenen und gerechten Interessensausgleichs zu orientieren (RS0014676 [T7, T43]). Zum einen besteht keine einschlägige dispositive Regelung, an der man sich im fraglichen Zusammenhang orientieren könnte. Zum anderen bezweckt der Ausschluss, keine Deckung für besonders schwer kalkulierbare, weil unabsehbare Risken zu gewähren, die sich im Gefolge eines außergewöhnlichen Ereignisses verwirklichen, das überdies behördliche Maßnahmen gegen eine größere Anzahl von Personen erfordert (III.3.2.2.). Ein so gestalteter Ausschluss entsprichtauch den Interessen der Versicherungsnehmer nach zuverlässiger Tarifkalkulation.
[36] 3. Da der Risikoausschluss des Art 7.1.4 ARB 2006 greift, bedarf es keiner Erörterung der von der Klägerin ebenfalls angesprochenen Frage, ob die angestrebte Rechtsverfolgung Aussicht auf Erfolg hat.
[37] V. Ergebnis
[38] 1. Nach Art 7.1.4 ARB 2006 besteht kein Versicherungsschutz für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen in unmittelbarem oder mittelbarem Zusammenhang mit hoheitsrechtlichen Anordnungen, die aufgrund einer Ausnahmesituation an eine Personenmehrheit gerichtet sind. Strebt der Versicherungsnehmer die Geltendmachung von Ansprüchen gegen seinen Betriebsunterberechungsversicherer an, die darauf beruhen, dass infolge behördlichen Anordnungen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie an die Allgemeinheit gerichtete, bezirks- bzw landesweite Betretungsverbote für Beherbergungsbetriebe angeordnet waren, dann liegt jedenfalls ein den Risikoausschluss begründender „mittelbarer“ Zusammenhang im Sinn des Art 7.1.4 ARB 2006 zwischen der angestrebten Rechtsverfolgung und jenen behördlichen Anordnungen vor. Die Deckungsklage ist daher nicht berechtigt und die Revision muss deshalb erfolglos bleiben.
[39] 2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO.
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