OGH 14Os4/21a

OGH14Os4/21a23.3.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 23. März 2021 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz‑Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Nieschlag in der Strafsache gegen ***** K***** und andere Angeklagte wegen Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft und die Berufung des Angeklagten ***** J***** gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Schöffengericht vom 10. August 2020, GZ 620 Hv 4/20h‑93, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0140OS00004.21A.0323.000

 

Spruch:

 

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in sämtlichen Strafaussprüchen und im Verfallserkenntnis aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Korneuburg verwiesen.

Mit ihren Rechtsmitteln werden die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte J***** auf diese Entscheidung verwiesen.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden – soweit hier von Bedeutung – ***** K***** (I/A und II/A) und ***** Jo***** ([iVm § 12 dritter Fall StGB] I/B und II/B) zweier Verbrechen, ***** J***** (I/A) eines Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Satz StGB schuldig erkannt.

[2] Danach haben

K*****, J***** und Jo***** durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben (§ 89 StGB) und unter Verwendung einer Waffe anderen fremde bewegliche Sachen mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz weggenommen, und zwar

I/ am 1. September 2010 in H***** dem Tankstellenwart ***** S***** als Gewahrsamsträger der O***** AG, indem

A/ K***** und J***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 erster Fall StGB) die Tankstelle maskiert und mit einer Gaspistole bewaffnet betraten, K***** einen Schuss mit dieser abfeuerte und sagte, „he Göd her, druck kan Knopf“, woraufhin das Opfer das in der Kasse befindliche Bargeld von 1.220 Euro K***** übergab und

B/ Jo***** durch Lenken des Fluchtfahrzeugs zu dieser strafbaren Handlung beitrug;

II/ am 2. September 2010 in W***** dem Tankstellenwart ***** W***** als Gewahrsamsträger der O***** AG, indem

A/ K***** und ein unbekannter Mittäter im bewussten und gewollten Zusammenwirken (§ 12 erster Fall StGB) die Tankstelle maskiert und bewaffnet mit einer Gaspistole und einem Schlagstock betraten, K***** einen Schuss abfeuerte und der Mittäter sagte, „Geld her“, woraufhin das Opfer das in der Kasse befindliche Bargeld von 1.224 Euro dem Mittäter übergab und

B/ Jo***** durch Lenken des Fluchtfahrzeugs zu dieser strafbaren Handlung beitrug.

Rechtliche Beurteilung

[3] Gegen die Strafaussprüche richtet sich die aus dem Grund der Z 11 des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft. Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten J***** wies das Erstgericht (unbekämpft) wegen verspäteter Anmeldung gemäß § 285a Z 1 StPO zurück.

 

[4] Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass das Erstgericht bei den Strafaussprüchen und dem Verfallserkenntnis das Strafgesetz mehrfach unrichtig zum Nachteil der Angeklagten K*****, J***** und Jo***** anwendete (Z 11 erster Fall), die diese Fehler nicht geltend machten, weshalb diese von Amts wegen aufzugreifen waren (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).

[5] Das Erstgericht ging bei der Strafbemessung hinsichtlich aller schuldig erkannten Angeklagten vom Strafsatz des § 143 Abs 1 StGB aus (US 3), legte also (ersichtlich) einen Strafrahmen von einem bis zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe zugrunde, obwohl es sich bei den Angeklagten K*****, J***** und Jo***** nach den Feststellungen (zu den Tatzeiten) um junge Erwachsene handelte (US 6, 7, 8 und 9), bei denen nach § 19 Abs 1 JGG iVm § 5 Z 4 JGG das Mindestmaß der von § 143 Abs 1 StGB angedrohten Freiheitsstrafe entfällt. Die daraus resultierende Überschreitung der Strafbefugnis belastet die Strafaussprüche mit Nichtigkeit (Z 11 erster Fall; RIS-Justiz RS0086949; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 667).

[6] Zudem ist auch der Verfallsausspruch mit Nichtigkeit (Z 11 erster Fall) behaftet: Das Erstgericht erklärte nämlich nach § 20 Abs 1 und 3 StGB hinsichtlich der Angeklagten K***** und Jo***** je 2.444 Euro „zur ungeteilten Hand“, hinsichtlich des Angeklagten J***** 1.220 Euro „zur ungeteilten Hand“ (mit den beiden zuvor genannten Angeklagten) für verfallen (US 4). Ein (hier angeordneter) Wertersatz (§ 20 Abs 3 StGB) darf jedoch nur dem tatsächlichen Empfänger des Vermögenswertes mittels Verfall auferlegt werden. Sind Vermögenswerte mehreren Personen zugekommen, so ist bei jedem Empfänger nur der dem von diesem tatsächlich rechtswidrig Erlangten entsprechende Betrag für verfallen zu erklären. Der Ausspruch einer Solidarhaftung mehrerer Angeklagter ist daher verfehlt (RIS‑Justiz RS0129964).

[7] Die Strafaussprüche und das Verfallserkenntnis waren demzufolge – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bei der nichtöffentlichen Beratung sofort aufzuheben (§§ 285e, 290 Abs 1 StPO).

[8] Mit ihren Rechtsmitteln waren die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte J***** auf diese Entscheidung zu verweisen.

[9] Im weiteren Verfahren wird zu beachten sein, dass auf mehrere bestrafende Verurteilungen nur dann gemäß § 31 StGB Bedacht zu nehmen ist, wenn sämtliche Taten vor dem ersten Urteil liegen, somit alle früheren Urteile durch das in § 31 Abs 1 StGB beschriebene Verhältnis verknüpft sind, widrigenfalls nur auf das tatnächste Bedacht zu nehmen ist (RIS-Justiz RS0112524; Ratz in WK 2 StGB § 31 Rz 5). Eine Bedachtnahme auf sämtliche im angefochtenen Urteil erwähnten früheren Verurteilungen setzt bei den Angeklagten K*****, J***** und Jo***** – bisher (wie die Staatsanwaltschaft grundsätzlich zutreffend geltend macht) nicht getroffene – Feststellungen zu den Voraussetzungen des § 31 Abs 1 StGB (also zu den jeweiligen Tatzeiten und den Urteilsdaten) hinsichtlich aller dieser Verurteilungen voraus.

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