European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E131294
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
In der Strafsache AZ 46 Hv 34/20b des Landesgerichts Wiener Neustadt verletzen das Gesetz:
1./ die Durchführung der Hauptverhandlung und Urteilsfällung § 43 Abs 2 StPO iVm § 491 Abs 8 letzter Halbsatz StPO;
2./ das Unterbleiben der Anführung der in § 260 Abs 1 Z 1 StPO bezeichneten Angaben im Hauptverhandlungsprotokoll § 271 Abs 1 Z 7 StPO iVm § 488 Abs 1 erster Satz StPO.
Das (Abwesenheits‑)Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 26. August 2020, GZ 46 Hv 34/20b‑23, wird aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an dieses verwiesen.
Gründe:
[1] Aufgrund Strafantrags vom 11. Mai 2020 und dem Antrag der Staatsanwaltschaft gemäß § 491 Abs 1 StPO (ON 1 S 2) folgend erließ die nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelrichterin im Verfahren AZ 46 Hv 34/20b des Landesgerichts Wiener Neustadt am 27. Mai 2020 eine schriftliche Strafverfügung und verhängte über den Angeklagten Nico B* eine Geldstrafe von 240 Tagessätzen zu je vier Euro, für den Fall deren Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 120 Tagen (ON 16).
[2] Dagegen erhoben Nico B* und das Opfer Erich V* jeweils rechtzeitig Einspruch (ON 17 und 18), worauf von derselben Richterin die Hauptverhandlung anberaumt und am 26. August 2020 in Abwesenheit des– ordnungsgemäß geladenen (ON 1 S 5) – Angeklagten durchgeführt wurde (ON 22).
[3] Mit Abwesenheitsurteil vom selben Tag, dessen Spruch im Hauptverhandlungsprotokoll nicht enthalten ist (vgl ON 22 S 4: „… schuldig im Sinne des Strafantrags der StA Wiener Neustadt mit der Maßgabe …“), wurde B* des Vergehens der Urkundenfälschung nach § 223 Abs 2 StGB (A./), des Vergehens der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs 1 und 4 StGB (B./I./), des Vergehens der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs 1 StGB (B./II./) und des Vergehens der Verleumdung nach § 297 Abs 1 erster Fall StGB (C./) schuldig erkannt und hiefür zu einer Geldstrafe von 240 Tagessätzen zu je 4 Euro, für den Fall deren Uneinbringlichkeit zu einer Ersatzfreiheitstrafe von 120 Tagen verurteilt (ON 23).
[4] Gegen dieses – dem Angeklagten samt Rechtsmittelbelehrung am 3. September 2020 wirksam durch persönliche Übernahme zugestellte (ON 1 S 6) – Urteil richtet sich ein rechtzeitiger Einspruch des Angeklagten (ON 25), über den vom Oberlandesgericht Wien als Rechtsmittelgericht (AZ 21 Bs 303/20t) noch nicht entschieden wurde.
Rechtliche Beurteilung
[5] Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, wurde in diesem Verfahren das Gesetz mehrfach verletzt:
[6] 1./ Im Fall eines zulässigen Einspruchs gegen eine Strafverfügung ist die Hauptverhandlung anzuordnen, die Strafverfügung tritt mit der Einbringung des zulässigen Einspruchs ex lege außer Kraft (Tipold, WK-StPO § 491 Rz 103). Gemäß § 491 Abs 8 StPO ist jener Richter, der die Strafverfügung erlassen hat, von der auf den Einspruch folgenden Hauptverhandlung ausgeschlossen, weil § 43 Abs 2 StPO sinngemäß gilt (Tipold, WK-StPO § 491 Rz 104; Fabrizy/Kirchbacher, StPO14 § 491 Rz 10; Hinterhofer/Oshidari, Strafverfahren Rz 10.215).
[7] Der Vorgang, dass jene Richterin des Landesgerichts Wiener Neustadt, die die durch zulässige Einsprüche des Angeklagten und des Opfers außer Kraft gesetzte Strafverfügung erlassen hatte, ihre Ausgeschlossenheit nicht wahrnahm, sondern das Hauptverfahren durchführte und das Abwesenheitsurteil vom 26. August 2020 fällte, verletzt § 43 Abs 2 StPO iVm § 491 Abs 8 zweiter Halbsatz StPO.
[8] 2./ Das über die Hauptverhandlung aufzunehmende Protokoll hat gemäß § 271 Abs 1 Z 7 StPO auch den Spruch des Urteils mit den in § 260 Abs 1 Z 1 bis Z 3 StPO bezeichneten Angaben zu enthalten. Der im Hauptverhandlungsprotokoll vom 26. August 2020 erfolgte Verweis auf den schriftlichen Strafantrag genügt diesen Anforderungen nicht (vgl 14 Os 86/18f).
[9] Da nicht auszuschließen ist, dass die zu 1./ genannte Gesetzesverletzung dem Angeklagten zum Nachteil gereicht, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, deren Feststellung mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO) und das Urteil aufzuheben.
[10] Der Einspruch (§ 427 Abs 3 erster Satz StPO) des Angeklagten ist damit gegenstandslos.
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