OGH 5Nc2/21w

OGH5Nc2/21w11.2.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und den Hofrat Mag. Wurzer in der Pflegschaftssache der minderjährigen N*****, geboren am ***** 2019, AZ 70 Ps 43/20d, des Bezirksgerichts Linz, wegen Übertragung der Zuständigkeit nach § 111 JN, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0050NC00002.21W.0211.000

 

Spruch:

Die mit Beschluss des Bezirksgerichts Linz vom 4. Dezember 2020, GZ 70 Ps 43/20d ‑22, gemäß § 111 Abs 1 JN verfügte Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Donaustadt wird genehmigt.

 

Begründung:

[1] Die Obsorge für die Minderjährige kommt der Mutter zu. Dem Vater steht nach einem Vergleich der Eltern ein begleitetes Besuchsrecht ein Mal pro Woche für zwei Stunden in einem Eltern-Kind-Zentrum zu. In dem vor dem Bezirksgericht Linz zu AZ 70 Ps 43/20d geführten Verfahren ist derzeit ein Antrag der Mutter anhängig, das Kontaktrecht des Vaters auszusetzen, weil bei einer Fortsetzung der Kontakte mit dem Vater eine Gefährdung des Kindeswohls zu befürchten sei. Die zuletzt mit der Besuchsbegleitung betraute Gesellschaft lehnt es wegen des Verhaltens der Minderjährigen beim Erstkontakt und der dabei zu Tage getretenen Symptome ab, weitere begleitete Kontakte anzubieten.

[2] Mit Eingabe vom 3. 12. 2020 gab die Mutter bekannt, dass sie ihren Wohnsitz in den Sprengel des Bezirksgerichts Donaustadt verlegt habe und nunmehr mit der Minderjährigen dort wohnhaft sei. Zugleich ersuchte sie, den Pflegschaftsakt an das Bezirksgericht Donaustadt abzutreten.

[3] Das Bezirksgericht Linz übertrug die Zuständigkeit zur Besorgung der Pflegschaftssache gemäß § 111 Abs 1 JN dem Bezirksgericht Donaustadt. Der Übertragungsbeschluss ist rechtskräftig.

[4] Das Bezirksgericht Donaustadt verweigerte die Übernahme der Zuständigkeit mit der Begründung, dass über die Aussetzung des Kontaktrechts noch nicht entschieden sei, obgleich das übertragende Gericht bereits Erhebungen eingeleitet habe „bzw der Akt dem Vater z. Ä. zugestellt“ worden sei. Da das Bezirksgericht Linz die Familie bereits kenne und die begleiteten Kontakte „beschlussmäßig und unter Namhaftmachung einer in Oberösterreich gelegenen Einrichtung selbst festgelegt“ habe, sei eine Übertragung nicht im Interesse der Minderjährigen.

Rechtliche Beurteilung

[5] Das übertragende Gericht legte den Akt dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung gemäß § 111 Abs 2 JN vor.

[6] Die Übertragung ist zu genehmigen.

[7] Nach § 111 Abs 1 JN kann das zur Besorgung der pflegschaftsgerichtlichen Geschäfte zuständige Gericht, wenn dies im Interesse eines Minderjährigen gelegen erscheint, insbesondere wenn dadurch die wirksame Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird, seine Zuständigkeit einem anderen Gericht übertragen. Nach herrschender Auffassung ist ein örtliches Naheverhältnis zwischen dem Pflegschaftsgericht und dem Minderjährigen zweckmäßig und von wesentlicher Bedeutung. Besteht daher ein solches Naheverhältnis zwischen dem ursprünglich zuständigen Gericht und dem Minderjährigen nicht mehr, verlegt dieser also insbesondere den Mittelpunkt seiner gesamten Lebensführung (stabil) in einen anderen Gerichtssprengel, so kann die Zuständigkeit übertragen werden (vgl nur Fucik in Fasching/Konecny³ I § 111 JN Rz 3; Mayr in Rechberger/Klicka, ZPO5 § 111 JN Rz 2; Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG² § 111 JN Rz 11 je mit Nachweisen aus der Rechtsprechung).

[8] Offene Anträge sprechen nicht generell gegen eine Übertragung der Zuständigkeit (RIS‑Justiz RS0047032). Im Einzelfall kann eine solche Übertragung der Zuständigkeit aber dem Wohl des Kindes widersprechen, die dann auch zu unterbleiben hat. Das ist nach der Rechtsprechung insbesondere der Fall, wenn dem übertragenden Gericht eine besondere Sachkenntnis zukommt oder es jedenfalls in der Lage ist, sich diese Kenntnisse leichter zu verschaffen als das andere Gericht (RS0047032 [T11]). Davon kann im vorliegenden Fall keine Rede sein.

[9] Die Regelung über das Kontaktrecht des Vaters beruht auf einer vergleichsweisen Einigung der Eltern. Zwar wurden die näheren Einzelheiten über die Ausübung des Kontaktrechts in weiterer Folge in einem Beschluss des Bezirksgerichts Linz festgehalten; dessen Inhalt beruht aber auf dem Einverständnis der Eltern, sodass ihm keine Erhebungsschritte, insbesondere keine unmittelbare Beweisaufnahme, vorausgegangen sind. Auch das bereits nach dem ersten Kontaktversuch erhobene Begehren, das Kontaktrecht wegen der Belastung für das Kind auszusetzen, hat noch zu keinen Erhebungsschritten geführt, weil die Mutter zugleich die Übertragung der Sache an das Bezirksgericht Donaustadt begehrte. Besondere Sachkenntnisse des übertragenden Gerichts, die der Entscheidung des noch offenen Antrags dienlich sein könnten, und damit einer Übertragung der Zuständigkeit entgegenstünden, lassen sich aus den bisher gesetzten Verfahrensschritten daher nicht ableiten. Dass sich dieses die dafür notwendige Grundlagen leichter verschaffen könnte, als das Gericht des Aufenthaltsorts des Kindes, trifft ebenfalls nicht zu. Damit ist die Übertragung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht des Aufenthaltsorts der Minderjährigen zu genehmigen.

Stichworte