OGH 1Ob9/21m

OGH1Ob9/21m28.1.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** GmbH, *****, gegen die beklagte Partei ADir. R***** J*****, wegen 75.000 EUR sA, über den „Rekurs“ (richtig: außerordentlichen Revisionsrekurs) der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 14. Dezember 2020, GZ 4 R 184/20m‑10, mit dem der Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom 30. Oktober 2020, GZ 7 Cg 43/20i‑7, zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0010OB00009.21M.0128.000

 

Spruch:

Der Akt wird dem Erstgericht zurückgestellt.

 

Begründung:

[1] Gegen den Beschluss des Erstgerichts, mit dem dieses die Klage gegen einen Diplomrechtspfleger wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs gemäß § 9 Abs 5 AHG zurückgewiesen hatte (Punkt 1.) und den Antrag der Klägerin auf Bewilligung der Verfahrenshilfe (einschließlich der Beigebung eines Rechtsanwalts) wegen Aussichtslosigkeit abgewiesen hatte (Punkt 2.), erhob die Klägerin einen nicht mit der Unterschrift eines Rechtsanwalts versehenen Rekurs.

[2] Das Erstgericht trug der Klägerin mit Beschluss auf, den Rekurs fristgebunden durch die Darlegung zu verbessern, ob sich dieser auch gegen Punkt 1. des angefochtenen Beschlusses richte, und wenn ja, durch Unterschrift eines Rechtsanwalts betreffend diesen Beschlusspunkt.

[3] Den gegen diese Entscheidung erhobenen Rekurs der Klägerin wies das Rekursgericht zurück und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

[4] Den dagegen erhobenen (richtig:) außerordentlichen Revisionsrekurs der Klägerin, der nicht von einem Rechtsanwalt unterfertigt ist, legte das Erstgericht dem Obersten Gerichtshof vor.

[5] Die Vorlage des Rechtsmittels ist im Hinblick auf die Postulationsunfähigkeit der nicht anwaltlich vertretenen Klägerin verfehlt:

[6] 1. Gemäß § 520 Abs 1 letzter Halbsatz ZPO wäre der außerordentliche Revisionsrekurs der Klägerin im Verfahren über den Verbesserungsauftrag betreffend den Rekurs der Klägerin gegen den Beschluss, mit dem ihre Klage zurückgewiesen worden war, mit der Unterschrift eines Rechtsanwalts zu versehen (vgl RIS‑Justiz RS0036429 [T3]).

[7] 2. Die ZPO regelt den unterbrechenden Einfluss von Anträgen auf Bewilligung der Verfahrenshilfe einschließlich der Beigebung eines Rechtsanwalts auf Fristen für Rechtsbehelfe (in § 73 Abs 2 ZPO für den Einspruch gegen einen Zahlungsbefehl, den Widerspruch gegen ein Versäumungsurteil, die Klagebeantwortung, die Einwendungen im Mandatsverfahren und im Bestandsverfahren) und für Rechtsmittel (Berufung: § 464 Abs 3 ZPO; diese Bestimmung gilt nach § 505 Abs 2 ZPO sinngemäß auch im Revisionsverfahren und nach § 521 Abs 3 ZPO auch im Rekursverfahren). Nach Rechtsprechung und Lehre wird aus den im Gesetz ausdrücklich angeordneten Unterbrechungsfällen ein allgemeines Schutzprinzip abgeleitet und eine Unterbrechungswirkung bei allen einer Notfrist unterliegenden Prozesshandlungen bejaht (6 Ob 311/98y; 10 Ob 59/08m; Fucik in Rechberger ZPO5 § 73 ZPO Rz 2; M. Bydlinski in Fasching/Konecny 3 II/1 § 73 ZPO Rz 7; Fasching, Lehrbuch2 Rz 499; vgl auch RS0036250). Die Unterbrechungswirkung gilt daher auch für die vom Erstgericht erteilte Frist zur Vornahme einer „Verbesserungshandlung“. Vor Fristbeginn gestellte Verfahrenshilfeanträge unterbrechen diese gleichfalls (3 Ob 130/05x; 10 Ob 59/08m; Fucik aaO § 73 ZPO Rz 2). Nach § 73 Abs 2 ZPO beginnen die Fristen erst mit der rechtskräftigen Erledigung des Verfahrenshilfeantrags, mit dem die Beigebung eines Rechtsanwalts angestrebt worden war. Wenn die Partei vor der Entscheidung über ihren Verfahrenshilfeantrag einen (Revisions‑)Rekurs ausführen müsste, könnte der offenkundige Gesetzeszweck der Bewahrung der Partei vor Nachteilen und zur Wahrung der Grundsätze eines fairen Verfahrens nicht erreicht werden (6 Ob 311/98y). Über den mangels Postulationsfähigkeit der (unvertretenen) Klägerin unzulässigen Revisionsrekurs ist daher derzeit nicht zu entscheiden.

[8] 3. Die Klägerin erhob gegen den erstinstanzlichen Beschluss, mit dem ihr bereits mit der Klage gestellter Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe abgewiesen worden war, Rekurs. Über diesen wurde vom Rekursgericht noch nicht entschieden; das die Verfahrenshilfe betreffende Verfahren ist damit noch nicht rechtskräftig beendet. Die Frist für die Erhebung des Rekurses gegen den erstinstanzlichen Beschluss, mit dem das Klagebegehren zurückgewiesen wurde, ist daher ebenso unterbrochen wie die vom Erstgericht erteilte Frist zur Vornahme einer „Verbesserungshandlung“.

[9] 4. Das Erstgericht wird den Akt dem Rekursgericht zur Entscheidung über den Rekurs der Klägerin gegen die Verweigerung der Verfahrenshilfe vorzulegen haben. Wird der Klägerin die Beigebung eines Rechtsanwalts im Rahmen der Verfahrenshilfe rechtskräftig versagt, ist ihr gemäß §§ 84, 85 ZPO ein fristgebundener Verbesserungsauftrag zur anwaltlichen Unterfertigung des außerordentlichen Revisionsrekurses zu erteilen (vgl § 520 Abs 1 letzter Halbsatz ZPO). Im Fall der Beigebung eines Rechtsanwalts könnte dieser das Rechtsmittel unterschreiben.

[10] 5. Der Akt ist aus den dargelegten Gründen dem Erstgericht zurückzustellen.

Stichworte