European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0030OB00095.20X.1104.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs, dessen Kosten die klagende Partei selbst zu tragen hat, wird nicht Folge gegeben.
Die Revisionsrekursbeantwortung wird zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Der Kläger begehrte (zuletzt) die Verpflichtung der Beklagten, „6,00114227 Bitcoins […] auf seine Wallet mit der Walletadresse [einer alphanumerischen Zeichenfolge] zu übertragen“ sowie ihm 4 % Zinsen aus 45.125,94 EUR seit 5. Jänner 2017 zu bezahlen. In eventu erhob der Kläger ein Zahlungsbegehren über 45.125,94 EUR sA wie im Hauptbegehren.
[2] Die Beklagte habe Investitionen in Bitcoins tätigen wollen, weshalb sie von einem Bevollmächtigten des Klägers am 17. Dezember 2016 in Deutschland mit dem Handy des Klägers aufgesucht worden sei. Der Kläger habe nach der von ihm geforderten Zusage der Beklagten, dass sie die 6,00114227 Bitcoins, die sie sich leihen werde, spätestens binnen vier Wochen an die Wallet des Klägers rückübertragen werde, den nur ihm bekannten „privaten Schlüssel“ in Form eines Codes für seine Wallet auf seinem Handy bekanntgegeben, um der Beklagten die Leihe der 6,00114227 Bitcoins zu ermöglichen. Die Übertragung sei in mehreren Transaktionen am 18. und 19. Dezember 2016 durchgeführt worden. Der Kläger habe als Kreditgeber seine Bitcoins der Beklagten als Kreditnehmer überlassen; er trete als Gläubiger auf. Die örtliche Zuständigkeit gründe sich auf Art 7 Nr 1 lit a EuGVVO, weil der Erfüllungsort im Sprengel des Erstgerichts am Wohnort des Klägers gelegen sei. Gemäß § 907a ABGB analog liege der Erfüllungsort am Sitz des Kreditgebers.
[3] Die Beklagte bestritt und wendete die internationale und örtliche Unzuständigkeit des Erstgerichts ein. Zwischen den Parteien bestehe weder ein Leih‑ noch ein Darlehensvertrag. Unterstelle man aber einen Darlehensvertrag, liege der Erfüllungsort am Wohnort der Beklagten, weil deren Verpflichtung in der Absendung der Bitcoins bestehe (qualifizierte Schickschuld). Um eine Geldschuld iSd § 907a ABGB handle es sich nicht; diese Ausnahmevorschrift sei auch nicht analogiefähig. Der behauptete Transfer aus der Wallet des Klägers habe keinerlei Bezug zu Österreich. Der Kläger sei einer der (gemeint: Anteils‑)Inhaber der von der Beklagten gewählten Veranlagungen unter der Bezeichnung O*****, B***** Q*****. Er habe die Bitcoins an sich selbst transferiert. Angeblich sei ein staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren wegen betrügerisch abgewickelter Geschäfte anhängig. Der Kläger und seine Geschäftspartner hätten die Anlagen in Deutschland vertrieben, der Kläger sei Teil eines auf Deutschland ausgerichteten Vertriebssystems und habe dort Dutzende von Anlegern geworben, indem er die Anlageprodukte potentiellen Anlegern in Deutschland präsentiert habe. Die Anlagegelder seien entweder – wie auch im vorliegenden Fall – durch den Kläger (vor‑)finanziert oder unter Verwendung eines Bitcoinautomaten geleistet worden.
[4] Das Erstgericht wies die Klage mangels internationaler Zuständigkeit zurück. Es ging von folgendem Sachverhalt aus:
[5] Die Beklagte interessierte sich privat für gewisse Projekte, mit denen unter anderem der Kläger zu tun hatte, und zwar für O*****, B***** Q*****. Der Kläger war bzw ist ein Mitglied bei diesen Projekten. Eine Investition oder Veranlagung in diese Projekte war nur mit Bitcoins möglich. Aus diesem Grund fuhren im Dezember 2016 ein Bekannter des Klägers und zwei weitere Herren nach Deutschland zur Beklagten in deren Wohnung. Der Kläger hätte auch mitkommen sollen, war aber aufgrund eines Todesfalls in der Familie verhindert. Es wurde ein Bitcoinautomat mitgenommen, um Euros in Bitcoins zu wechseln. Da dieser Automat nicht immer funktionstüchtig ist und bereits mehrmals ausgefallen war, nahm der Bekannte das Handy des Klägers mit. Tatsächlich funktionierte in der Folge der Bitcoinautomat nicht. Deshalb nahm der Bekannte mit dem Kläger telefonisch Kontakt auf und fragte, ob er der Beklagten von seiner Wallet am Handy Bitcoins für die Investitionen zur Verfügung stellen könne. Der Kläger hatte an diesem Tag keinen direkten Kontakt mit der Beklagten, es lief alles über den Bekannten. Der Kläger meinte am Telefon, dass die Beklagte die vom Kläger zur Verfügung gestellten Bitcoins binnen vier Wochen oder ungefähr einem Monat auf seine Wallet am Handy zurückerstatten soll. Damit war die Beklagte, die die Investitionen tätigen wollte, einverstanden. Der Kläger gab darauf seinem Bekannten die Zugangsdaten für seine Wallet bekannt. Die Überweisung der Bitcoins von der Wallet des Klägers erfolgte direkt in die einzelnen Projekte. All dies passierte in der Wohnung der Beklagten in Deutschland.
[6] Rechtlich folgerte das Erstgericht, im konkreten Fall habe der Kläger die Investitionen in die Projekte direkt über seine Wallet mit seinen Bitcoins getätigt. Die Beklagte habe erklärt, diese Investitionen durch Einzahlung der gleichen Anzahl von Bitcoins zu übernehmen, sodass von einem Tauschvertrag auszugehen sei. Bei einem Tauschvertrag liege keine charakteristische Leistung vor, weshalb mangels Rechtswahl das Recht des Staats maßgebend sei, zu dem er die engste Verbindung aufweise. Egal ob deutsches (§ 269 iVm § 480 BGB) oder österreichisches Recht (§ 905 ABGB) herangezogen werde, der Erfüllungsort sei der Ort der Schuldnerin.
[7] Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers nicht Folge, bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 30.000 EUR übersteigend und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu.
[8] Zutreffend sei das Erstgericht von einem Tausch ausgegangen. Lasse sich (wie beim Tausch) die charakteristische Leistung nicht bestimmen, sei nach Art 4 Abs 4 Rom I‑VO die engste Verbindung maßgebend. Sowohl die österreichische wie die deutsche Rechtsordnung gehe beim Tauschvertrag von einer Holschuld (allenfalls Schickschuld) und damit von einem Erfüllungsort an der Niederlassung des Schuldners aus (§ 905 ABGB; §§ 269 iVm 480 BGB). Bitcoins seien nicht als Geld zu qualifizieren. Damit knüpfe die internationale Zuständigkeit für den Tauschvertrag nach beiden Rechtsordnungen an den Wohnort der Beklagten in Deutschland an. Die Subsumtion des Sachverhalts unter einen Leihvertrag scheide aus. Gehe man von einem (Sach‑)Darlehensvertrag aus, sei Erfüllungsort sowohl nach deutschem als auch nach österreichischem Recht ebenfalls der Wohnsitz des Schuldners.
[9] Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil zur Frage der rechtlichen Einordnung von Kryptowährungen noch keine Entscheidung des Höchstgerichts vorliege.
[10] Mit seinem Revisionsrekurs strebt der Kläger die ersatzlose Behebung der Beschlüsse der Vorinstanzen im Sinn der Verwerfung der Unzuständigkeitseinrede an, hilfsweise deren Aufhebung und die Zurückverweisung. Er bestreitet das Vorliegen eines Tauschvertrags und geht primär von einem Leih‑ und hilfsweise einem Darlehensvertrag aus. Es sei österreichisches Recht anzuwenden. Alternativ macht er geltend, die Kryptowährung Bitcoin sei als Geld anzusehen, sodass der Erfüllungsort beim Wohnort des Klägers liege. Auf seine noch in erster Instanz behauptete Verbrauchereigenschaft kommt der Kläger nicht mehr zurück.
[11] Die Revisionsrekursbeantwortung der Beklagten ist verspätet und zurückzuweisen, weil die 14‑tägige Frist (§ 521a Abs 1 iVm § 521 Abs 1 zweiter Satz ZPO) nicht eingehalten wurde (Zustellung: 19. Mai 2020; ERV: 14. Juni 2020).
Rechtliche Beurteilung
[12] Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, aber aus folgenden Gründen im Ergebnis nicht berechtigt:
[13] 1. Im vorliegenden Zuständigkeitsstreit sind die von beiden Parteien unbeanstandet gebliebenen Feststellungen des Erstgerichts zugrundezulegen.
[14] 2. Mangels Vorliegens eines ausschließlichen Gerichtsstands ist zunächst die Anwendbarkeit des Verbrauchergerichtsstands nach Art 17 EuGVVO zu prüfen, weil es sich bei diesem um eine lex specialis handelt, die den anderen Gerichtsständen vorgeht (6 Ob 18/17s; Mayr in Czernich/Kodek/Mayr, Europäisches Gerichtsstands‑ und Vollstreckungsrecht4 [2015] Art 17 Rz 2 mwN). Die Beklagte hat dazu in erster Instanz relevantes Tatsachenvorbringen erstattet.
[15] 3. Nach den Feststellungen interessierte sich die Beklagte nur privat für Projekte, bei denen der Kläger Mitglied ist und in die nur mit Bitcoins investiert werden kann. Sie ist daher Verbraucherin iSd Art 17 Abs 1 EuGVVO, weil sie mit dem Kläger einen Vertrag schloss, der einem privaten Zweck diente, also nicht ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit.
[16] 4. Weiters steht fest, dass – wie der Kläger selbst vorbrachte – sein Bevollmächtigter (mit zwei weiteren Herren) die Beklagte in ihrer Wohnung unter Mitnahme eines Bitcoinautomaten und eines Mobiltelefons des Klägers aufsuchte, um der Beklagten diese Investition zu ermöglichen. Diese Investition tätigte die Beklagte durch Überweisung von vom Kläger zur Verfügung gestellten Bitcoins in die einzelnen Projekte, wobei sie sich zur Zurückerstattung der Bitcoins an den Kläger verpflichtete.
[17] 5. Dem Vorbringen der Beklagten zur Tätigkeit des Klägers, dass nämlich das Aufsuchen der Beklagten Teil seines auf Deutschland ausgerichteten Vertriebssystems gewesen sei, dass der Kläger (und seine bei der Beklagten erschienenen Geschäftspartner) in Deutschland die Anlagen unter den Bezeichnungen O*****, B***** Q***** vertrieben und dort Dutzende von Anlegern geworben hätten, indem sie diese Anlagen in Deutschland vorstellten, wobei die für den Anlageerwerb erforderlichen Bitcoins entweder durch den Kläger finanziert wurden oder unter Verwendung eines Bitcoinautomaten entgegengenommen wurden, trat der Kläger nur mit der – auf Tatsachenebene widerlegten – Behauptung, die Beklagte sei ihrerseits unternehmerisch tätig gewesen und mit der nicht näher begründeten Rechtsbehauptung entgegen, er selbst sei Verbraucher (auf die er in dritter Instanz nicht mehr zurückkommt). Eine substantiierte Bestreitung auf Tatsachenebene, die ihm leicht möglich und von ihm auch zu erwarten gewesen wäre, erfolgte jedoch nicht (vgl RIS‑Justiz RS0039927 [T12]). Berücksichtigt man nun, dass die Behauptungen der Beklagten in wesentlichen Punkten ohnehin den getroffenen Feststellungen („Mitgliedschaft“ des Klägers bei den vermittelten Anlagen, Aufsuchen der Beklagten und Zustandekommen des Vertrags in Deutschland, Finanzierung) entsprechen, ist das weitere Vorbringen der Beklagten über die unternehmerische Mitwirkung des Klägers an einem in Deutschland etablierten System des Vertriebs der Anlagen unter den gegebenen besonderen Umständen als vom Kläger schlüssig zugestanden anzusehen (RS0039927 [T13], RS0039941 [T3, T4]). Zugestandene Tatsachen sind ohne weiteres der Entscheidung zugrunde zu legen (RS0040110), worauf auch im Rechtsmittelverfahren Bedacht zu nehmen ist (2 Ob 47/19d; RS0040101). Dass der Kläger für die Finanzierung der von der Beklagten getätigten Anlagen durch Zurverfügungstellung der für den Erwerb erforderlichen Bitcoins kein gesondertes Entgelt vereinbarte, ist unter diesen Umständen ohne Bedeutung: Die Finanzierung ist vielmehr – entsprechend dem schlüssig zugestandenen Vorbringen der Beklagten – Teil des Gesamtkonzepts des Klägers, das darin besteht, potentielle Geschäftspartner in Deutschland aufzusuchen und zum Anlageerwerb zu bewegen.
[18] Demnach hat der Kläger als Vertragspartner der Beklagten in dem Mitgliedsstaat, in dessen Hoheitsgebiet die Beklagte als Verbraucherin ihren Wohnsitz hat (hier: Deutschland) eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausgeübt (Art 17 Abs 1 lit c) erster Fall EuGVVO; vgl Mayr in Czernich/Kodek/Mayr, Art 17 Rz 31 mwN). Der zwischen den Streitteilen zustande gekommene Vertrag fällt in den Bereich dieser unternehmerischen Tätigkeit des Klägers.
[19] 6. Die Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen des Art 17 Nr 1 lit c EuGVVO hat die Anwendung des Art 18 Abs 2 EuGVVO zur Folge, wonach die Klage des anderen Vertragspartners gegen den Verbraucher nur vor den Gerichten des Mitgliedstaats erhoben werden kann, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat.
[20] Angesichts des Wohnsitzes der Beklagten in Deutschland ist Österreich für den vorliegenden Rechtsstreit schon aus diesem Grund international nicht zuständig. Daher ist die Entscheidung der Vorinstanzen im Ergebnis zu bestätigen, ohne dass es einer Auseinandersetzung mit deren inhaltlichen Argumenten bedürfte.
[21] 7. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 40, 50 ZPO.
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