European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0120OS00115.20H.1015.000
Spruch:
In der Strafsache AZ 64 Hv 6/20h des Landesgerichts Klagenfurt verletzt das Urteil dieses Gerichts als Jugendschöffengericht vom 15. Mai 2020 (ON 54) in seinem nachträglichen Strafausspruch zum Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 22. August 2016, GZ 38 Hv 26/16b-19, den im 16. Hauptstück der Strafprozessordnung verankerten Grundsatz der Bindungswirkung gerichtlicher Entscheidungen, das in Art 4 Abs 1 7. ZPMRK und in § 17 Abs 1 StPO normierte Verbot der Doppelbestrafung sowie § 15 Abs 1 JGG.
Dieses Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, wird in seinem Strafausspruch ebenso wie die zugleich ergangenen Beschlüsse gemäß § 494a Abs 1 Z 3 zweiter Halbsatz StPO und gemäß § 494a Abs 1 Z 2 StPO aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Klagenfurt verwiesen.
Gründe:
Mit Urteil des Einzelrichters des Landesgerichts Klagenfurt vom 22. August 2016, GZ 38 Hv 26/16b-19, wurde der am 3. Jänner 2001 geborene Alvi I***** des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB idF vor BGBl I 2015/112 schuldig erkannt und zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt. In Stattgebung der dagegen gerichteten Berufung des Angeklagten wegen des Ausspruchs über die Strafe (ON 21) hob das Oberlandesgericht Graz als Berufungsgericht mit Urteil vom 11. November 2016, AZ 10 Bs 289/16z (ON 26 in AZ 38 Hv 26/16b), den erstinstanzlichen Strafausspruch auf und behielt gemäß § 13 Abs 1 JGG den Ausspruch der zu verhängenden Strafe für eine Probezeit von drei Jahren vor.
Mit Urteil des Einzelrichters des Landesgerichts Klagenfurt vom 10. Jänner 2018, GZ 79 Hv 85/17g-55 (ON 37 in AZ 64 Hv 6/20h dieses Gerichts), wurde – soweit hier von Bedeutung – Alvi I***** des Vergehens der Körperverletzung nach §§ 15, 83 Abs 1 StGB und des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 5 Z 2 StGB schuldig erkannt und hiefür „unter Straffestsetzung zum Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 22. August 2016, 38 Hv 26/16b“ (US 3) zu einer unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt. Ein beschlussmäßiger Ausspruch gemäß § 494a Abs 1 Z 3 zweiter Halbsatz StPO unterblieb.
Mit gleichfalls unangefochten in Rechtskraft erwachsenem Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Jugendschöffengericht vom 15. Mai 2020, GZ 64 Hv 6/20h‑54, wurde – soweit hier von Relevanz – Alvi I***** des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB schuldig erkannt und – im Übrigen ohne einen darauf gerichteten Antrag der Staatsanwaltschaft (vgl aber § 16 Abs 1 erster Satz JGG) – „unter gleichzeitiger nachträglicher Straffestsetzung zum Schuldspruch des Landesgerichts Klagenfurt AZ 38 Hv 26/16b“ sowie unter Bedachtnahme (§ 31 StGB) auf das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 4. Dezember 2018, AZ 38 Hv 46/18x, zu einer Zusatzfreiheitsstrafe in der Dauer von 24 Monaten verurteilt. Mit (deklarativem [vgl Schroll in WK² JGG § 16 Rz 10]) Beschluss wurde ausgesprochen, dass ein nachträglicher Strafausspruch im Verfahren AZ 38 Hv 26/16b des Landesgerichts Klagenfurt nicht mehr in Betracht kommt. Weiters wurde mit Beschluss gemäß § 494a Abs 1 Z 2 StPO vom Widerruf der Alvi I***** mit Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 10. Jänner 2018, GZ 79 Hv 85/17g-55, gewährten bedingten Strafnachsicht abgesehen.
Rechtliche Beurteilung
Wie die Generalprokuratur zutreffend aufzeigt, steht das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Jugendschöffengericht vom 15. Mai 2020, GZ 64 Hv 6/20h‑54, in seinem Strafausspruch mit dem Gesetz nicht im Einklang:
Der mit Urteil des Einzelrichters des Landesgerichts Klagenfurt vom 10. Jänner 2018, GZ 79 Hv 85/17g-55, erfolgte nachträgliche Strafausspruch zum Verfahren AZ 38 Hv 26/16b des Landesgerichts Klagenfurt entfaltete Bindungswirkung (vgl RIS-Justiz RS0101270).
Indem das Landesgericht Klagenfurt mit Urteil vom 15. Mai 2020, GZ 64 Hv 6/20h-54, nochmals nachträglich die Strafe zum Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 22. August 2016, GZ 38 Hv 26/16b-19, aussprach, verletzte es den im 16. Hauptstück der Strafprozessordnung verankerten Grundsatz der Bindungs- bzw Sperrwirkung gerichtlicher Entscheidungen sowie § 15 Abs 1 JGG (RIS‑Justiz RS0075175, RS0086998). Zudem verstieß es durch die abermalige Sanktionierung einer bereits abgeurteilten Tat gegen das in Art 4 Abs 1 7. ZPMRK und in § 17 Abs 1 StPO normierte Verbot der Doppelbestrafung (RIS‑Justiz RS0075175, RS0124619).
Der in Rede stehende Strafausspruch wirkte sich zum Nachteil des Verurteilten aus. Gemäß § 292 letzter Satz StPO sah sich der Oberste Gerichtshof daher veranlasst, den aufgezeigten Gesetzesverletzungen die im Spruch ersichtliche konkrete Wirkung zu verleihen.
Hinzuzufügen bleibt, dass der im Verfahren AZ 38 Hv 26/16b des Landesgerichts Klagenfurt ergangene Beschluss vom 30. April 2020 (ON 40) auf endgültiges Absehen von der Verhängung einer Strafe (iSd § 15 Abs 3 letzter Satz JGG) – angesichts der bereits mit Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 10. Jänner 2018, GZ 79 Hv 85/17g-55, erfolgten nachträglichen Straffestsetzung – über einen nicht mehr existenten Entscheidungsgegenstand ergangen ist und solcherart keine Wirksamkeit zu entfalten vermochte (vgl Jerabek, WK-StPO § 494a Rz 13). Einer klarstellenden Beseitigung dieses Beschlusses bedurfte es daher nicht (vgl 13 Os 64/09z).
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