European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0140OS00076.20P.0819.000
Spruch:
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Zur Entscheidung über die Beschwerde gegen Punkt I./ des Beschlusses des Landesgerichts Feldkirch vom 15. Juli 2020, GZ 18 Hv 29/18p‑343, sowie über die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Schöffengericht vom 27. Mai 2020, GZ 18 Hv 29/18p‑329, und über die Beschwerde des Angeklagten gegen den gleichzeitig gefassten Beschluss auf Widerruf einer bedingten Strafnachsicht werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.
Gründe:
Mit Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Schöffengericht vom 27. Mai 2020, GZ 18 Hv 29/18p‑329, wurde ***** I***** – im zweiten Rechtsgang (vgl zum ersten 14 Os 36/18b) – je eines Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter Fall, Abs 2 Z 1, Abs 4 Z 1 und 3 SMG (A./) und der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB (B./) schuldig erkannt.
Unmittelbar nach Urteilsverkündung meldete der durch einen Wahlverteidiger vertretene Angeklagte dagegen Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an (ON 328 S 12).
Ausfertigungen von Urteil und Hauptverhandlungsprotokoll wurden dem Verteidiger am 29. Mai 2020 zugestellt (vgl ON 329 S 18 und den dort angeschlossenen Zustellnachweis).
Mit – jeweils am 2. Juni 2020 beim Landesgericht Feldkirch eingelangten – „Vorführscheinen“ ersuchte der Angeklagte (soweit hier wesentlich) um „persönliche Aushändigung des Urteils“ („Ausfolgung“ einer Urteilsabschrift) und merkte dazu an, darauf zu bestehen, dass nicht nur seinem Rechtsanwalt, sondern auch ihm eine Abschrift des Urteils zugestellt werde (ON 332 f).
Am 8. Juni 2020 gab der Verteidiger in einem dem Gericht per Fax übermittelten Schreiben bekannt, die Vertretung für den Angeklagten „hiermit“ zurückzulegen (ON 334).
In Stattgebung seines (am 12. Juni 2020 bei Gericht eingelangten) Antrags vom 10. Juni 2020 (ON 335) wurde I***** mit Beschluss der Vorsitzenden des Schöffengerichts vom 13. Juni 2020 gemäß § 61 Abs 2 StPO ein Verfahrenshilfeverteidiger „für das Rechtsmittelverfahren gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 27. Mai 2020 zu 18 Hv 29/18p“ beigegeben (ON 336). Am 19. Juni 2020 wurden dem bestellten Verfahrenshilfeverteidiger Ausfertigungen von Urteil und Hauptverhandlungsprotokoll unter Hinweis auf die schon am 29. Mai 2020 an den (damaligen) Wahlverteidiger erfolgte Zustellung erneut zugestellt (ON 336 S 3; vgl den dort angeschlossenen Zustellnachweis).
Der Verfahrenshilfeverteidiger brachte am (richtig:) 2. Juli 2020 die Ausführung der angemeldeten Rechtsmittel im elektronischen Rechtsverkehr ein und beantragte unter einem die Berichtigung des Hauptverhandlungsprotokolls (ON 341).
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 15. Juli 2020 (ON 343) wies die Vorsitzende des Schöffengerichts sowohl den Protokollberichtigungsantrag (I./) also auch – gemäß § 285a Z 2 StPO – die Nichtigkeitsbeschwerde zurück (II./).
Rechtliche Beurteilung
Gegen Punkt II./ des Beschlusses richtet sich die Beschwerde des Angeklagten vom 17. Juli 2020 (ON 344; § 285b Abs 2 StPO).
Ihr kommt keine Berechtigung zu.
Nach der Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde hat der Beschwerdeführer das Recht, binnen vier Wochen nach Zustellung einer Urteilsabschrift eine Ausführung seiner Beschwerdegründe bei Gericht zu überreichen (§ 285 Abs 1 StPO).
Diese vierwöchige Frist begann mit der Zustellung der Urteilsausfertigung an den Wahlverteidiger am 29. Mai 2020 und endete demzufolge (§ 84 Abs 1 StPO) mit Ablauf des 26. Juni 2020. Durch Auflösung des Vollmachtsverhältnisses zum Wahlverteidiger und neuerliche Urteilszustellung an den nachfolgend bestellten Verfahrenshilfeverteidiger wurde diese Frist nicht beeinflusst (§ 63 Abs 2 StPO; RIS‑Justiz RS0125686, Soyer/Schuhmann , WK‑StPO § 63 Rz 29 f; Murschetz , WK‑StPO § 84 Rz 4).
Entgegen der auf einen offenkundigen Schreibfehler in der angefochtenen Entscheidung (ON 343 S 2: „02. 06. 2020“) rekurrierenden Beschwerdebehauptung ging die Vorsitzende des Schöffengerichts daher zutreffend davon aus, dass die nach dem Vorgesagten tatsächlich erst am 2. Juli 2020 eingebrachte Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde verspätet ist (BS 4 f).
Zu einer Auseinandersetzung mit den – von der Beschwerde ersichtlich angesprochenen (vgl dazu auch ON 344 S 4) – „handschriftlichen Mitteilungen“ des I***** auf den Vorführscheinen bestand keine Verpflichtung. Diese erschöpfen sich nämlich in einer neuerlichen Anmeldung von Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung, einem Antrag auf Zustellung von Kopien einzelner Aktenstücke sowie – wie bereits dargelegt – dem Begehren, eine Abschrift des Urteils nicht nur an seinen Verteidiger, sondern auch an den Angeklagten persönlich zuzustellen (vgl erneut ON 332 f), womit sie – dem unsubstantiierten Beschwerdestandpunkt zuwider – einer Interpretation als Bekanntgabe des Widerrufs der dem Wahlverteidiger erteilten Vollmacht (vor Urteilszustellung) oder als Antrag auf Verlängerung der Frist des § 285 Abs 1 StPO (§ 285 Abs 2 und 3 StPO) nicht zugänglich sind.
Die darauf aufbauende Behauptung des Beschwerdeführers, die Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde durch das Landesgericht Feldkirch sei im vorliegenden Fall „nicht zulässig“, weil die Zustellung an den (ehemaligen) Wahlverteidiger (mangels aufrechter Vollmacht am 29. Mai 2020) nicht rechtswirksam erfolgt sei, sodass der „Rechtsmittellauf“ erst durch die Zustellung des Urteils an den Verfahrenshilfeverteidiger begonnen habe und die Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde zudem aufgrund offener Fristverlängerungsanträge rechtzeitig eingebracht worden sei (§ 285 Abs 3 letzter Satz StPO), geht demzufolge ebenso ins Leere wie der Hinweis auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (SSt 29/4; SSt 48/4), wonach Rechtsmittel des Angeklagten im – hier eben gerade nicht vorliegenden – Zweifel als rechtzeitig eingebracht gelten.
Die in § 285a StPO normierte Verpflichtung des Landesgerichts, Nichtigkeitsbeschwerden bei Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen zurückzuweisen, besteht – entgegen dem weiteren Rechtsmittelstandpunkt – auch bei (wie hier) ergriffener Berufung, weil in einem solchen Fall gerade nicht „über eine Nichtigkeitsbeschwerde zu entscheiden“ ist (§ 296 Abs 1 erster Satz StPO; Ratz , WK‑StPO § 285a Rz 3). Die Berufung hat das Erstgericht im Übrigen – gesetzeskonform – nicht zurückgewiesen.
Weil die Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde – wie dargelegt – am 2. Juli 2020 verspätet überreicht wurde, der Angeklagte auch bei deren Anmeldung keine Nichtigkeitsgründe deutlich und bestimmt bezeichnet hat und auf die in der verspäteten Ausführung (sowie in der Beschwerde) geltend gemachten Gründe nicht Bedacht zu nehmen ist, erfolgte die Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde daher zu Recht (§ 285a Z 2 iVm § 285b Abs 1 StPO; RIS‑Justiz RS0100168).
Über die gegen Punkt I./ des Beschlusses des Landesgerichts Feldkirch vom 15. Juli 2020, GZ 18 Hv 29/18p‑343, gerichtete Beschwerde des Angeklagten vom 20. Juli 2020 (ON 347) sowie über die Berufungen gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Schöffengericht vom 27. Mai 2020, GZ 18 Hv 29/18p‑329, und über die Beschwerde des Angeklagten gegen den gleichzeitig gefassten Beschluss auf Widerruf einer bedingten Strafnachsicht hat das Oberlandesgericht zu entscheiden (§ 271 Abs 7 vorletzter Satz iVm § 270 Abs 3 zweiter und dritter Satz, §§ 285i, 498 Abs 3 StPO; RIS‑Justiz RS0100545).
Eine Kostenentscheidung hatte nicht zu ergehen ( Lendl , WK‑StPO § 390a Rz 11).
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