OGH 28Ds5/19b

OGH28Ds5/19b15.7.2020

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 15. Juli 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden und den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm als weiteren Richter sowie die Rechtsanwälte Dr. Wippel und Dr. Strauss als Anwaltsrichter in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, AZ D 14/18 (vormals D 19/04), über die Beschwerde des Kammeranwalts gegen den Beschluss des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom 25. März 2019, GZ D 14/18-10, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH-Geo 2019 den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0280DS00005.19B.0715.000

 

Spruch:

In teilweiser Stattgebung der Beschwerde wird der angefochtene Beschluss, soweit dieser ausspricht, es liege kein Grund zur Disziplinarbehandlung des ***** wegen des Vorwurfs der Beihilfe zur Doppelveräußerung der Liegenschaft EZ ***** Grundbuch ***** vor, aufgehoben und die Sache an den Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich zur neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.

Im Übrigen wird der Beschwerde nicht Folge gegeben.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Beschluss sprach der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich aus, dass kein Grund zur Disziplinarbehandlung des Rechtsanwalts ***** wegen des Vorwurfs bestehe, er habe

[1./:] am 20. Jänner 2004 treuwidrig das auf dem Konto Nr ***** bei der B***** erliegende Treuhandgeld verwendet und

[2./:] Beihilfe zur Doppelveräußerung der Liegenschaft EZ ***** Grundbuch ***** geleistet.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen gerichtete, die Fassung eines Einleitungsbeschlusses anstrebende Beschwerde des Kammeranwalts ist teilweise berechtigt:

Voranzustellen ist, dass ein Einstellungsbeschluss (§ 28 Abs 3 DSt) nur dann zu erfolgen hat, wenn kein Verdacht eines ein Disziplinarvergehen begründenden Verhaltens des angezeigten Rechtsanwalts vorliegt (RIS-Justiz RS0056969; Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek , RAO 10 § 28 DSt Rz 9). Vom – eine Verfahrenseinstellung rechtfertigenden – Fehlen eines solchen Verdachts ist (im Lichte des § 212 Z 2 StPO [§ 77 Abs 3 DSt]) auszugehen, wenn das Tatsachensubstrat Grund zur Annahme bietet, dass seine Dringlichkeit und sein Gewicht nicht ausreichen, um eine Verurteilung des Disziplinarbeschuldigten auch nur für möglich zu halten, und von weiteren Ermittlungen eine Intensivierung des Verdachts nicht zu erwarten ist. Diese Beurteilung ist Sache der Beweiswürdigung des Senats gemäß § 28 DSt, während dem erkennenden Senat gemäß § 30 DSt die Prüfung vorbehalten bleibt, ob sich der Verdacht zum Schuldbeweis verdichtet hat (RIS-Justiz RS0056973 [T5]).

Als „Beihilfe zur Doppelveräußerung“ (2./) wurde dem Disziplinarbeschuldigten vorgeworfen, er habe hinsichtlich der Liegenschaft EZ ***** Grundbuch ***** (N*****) zu einer Doppelveräußerung beigetragen.

Einerseits soll die Hypothekargläubigerin T***** Volksbank, die durch eine Verkaufsvollmacht vom grundbücherlichen Eigentümer Gottfried R***** zur Veräußerung ermächtigt war, die Liegenschaft verkauft haben. Andererseits soll Gottfried R***** selbst die Liegenschaft an Alfred K***** veräußert haben. In diesem Zusammenhang besteht der Verdacht, der Disziplinarbeschuldigte habe den zwischen Gottfried R***** und Alfred K***** am 13. Oktober 2003 (vgl Beilagen ./UK 3 und ./UK 4) geschlossenen Kaufvertrag trotz Kenntnis des bereits erfolgten Verkaufs durch die T***** Volksbank errichtet. Der Disziplinarrat stellte fest, dass Alfred K***** aufgrund des vom Disziplinarbeschuldigten errichteten Kaufvertrags grundbücherlicher Eigentümer der Liegenschaft ist. Daraus dass „nunmehr seit 15 Jahren offensichtlich unbeanstandet Herr K***** grundbücherlicher Eigentümer ist“, schloss der Disziplinarrat, die gegen den Disziplinarbeschuldigten erhobenen Vorwürfe seien unberechtigt (BS 4).

Zutreffend kritisiert die Beschwerde des Kammeranwalts, dass aus der Stellung des Alfred K***** als Liegenschaftseigentümer aufgrund des vom Disziplinarbeschuldigten verfassten Vertrags kein Schluss auf eine allfällige Mitwirkung an einer Doppelveräußerung gezogen werden kann. Berechtigt ist vielmehr der Hinweis des Beschwerdeführers auf die im Akt erliegende und bereits im Antrag des Kammeranwalts auf Bestellung eines Untersuchungskommissärs angesprochene (TZ 1) Korrespondenz zu diesem Vorgang. Insbesondere widerspricht ein an den Disziplinarbeschuldigten gerichtetes, mit 25. September 2003 datiertes und einen Eingangsstempel der „R***** Rechtsanwälte“ vom 1. Oktober 2003 aufweisendes Informationsschreiben der Volksbank T*****, wonach der „N*****“ um 260.000 Euro verkauft worden sei (Beilage zu TZ 1), dessen Darstellung. Zu diesem Schreiben gibt es bisher aber weder eine Stellungnahme des Disziplinarbeschuldigten noch hat sich der Disziplinarrat damit auseinandergesetzt. Es sind daher mangels Erhebungen zu einer dadurch indizierten Kenntnis des Disziplinarbeschuldigten von dem bereits erfolgten Verkauf, Sachverhalte, die zur Beurteilung einer allfällig disziplinarrechtlichen Verantwortung des Beschuldigten maßgeblich sind, ungeklärt, weshalb sich die Fällung des Einstellungsbeschlusses in Ansehung dieses Vorwurfs als verfehlt erweist (vgl Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek , RAO 10 § 28 DSt Rz 10 mwN). Insofern handelt es sich beim Hinweis des Disziplinarrats, dass „auch infolge des Zeitablaufes“ ein „disziplinarrechtliches Fehlverhalten“ nicht festgestellt werden könne, um eine in einem Einstellungsbeschluss unstatthafte, weil vorgreifende und daher unzulässige Beweiswürdigung (RIS-Justiz RS0057005 [T3]).

Die gegen die Verfahrenseinstellung zum Vorwurf „treuwidrige Verwendung von Treuhandgeld“ (1./) gerichtete Beschwerde des Kammeranwalts schlägt dagegen fehl:

Der Disziplinarrat ging davon aus, dass nach einer zwischen Horst S***** als Treugeber und dem Disziplinarbeschuldigten als Treuhänder abgeschlossenen Treuhandvereinbarung vom 26. November 2003, sich dieser als Treuhänder verpflichtet habe, einen Treuhanderlag von 106.000 Euro zu verwahren und nach rechtskräftigem Abschluss einer gerichtlichen Auseinandersetzung des Treugebers auf dessen Geschäftskonto bei der B***** zu überweisen. Am 20. Jänner 2004 habe der Disziplinarbeschuldigte zum einen 6.000 Euro vom Treuhandkonto bar behoben und zum anderen 90.000 Euro auf ein Konto des Treugebers bei der Raiffeisenbank – insofern abweichend von der schriftlichen Treuhandvereinbarung – überwiesen. Zwar bestreite Horst S***** den Erhalt der 6.000 Euro, es liegt jedoch eine von ihm unterschriebene Zahlungsquittung vor (BS 2 f).

Der Disziplinarrat sah keine Anhaltspunkte für die Widerlegung der ein Fehlverhalten bestreitenden Darstellung *****, der sich darauf berief, dass weder Rechtsanwalt Dr. Werner P***** bei der Treuhandrevision noch der (nach Rücklegung der Anwaltschaft durch den Disziplinarbeschuldigten) mittlerweilige Stellvertreter Rechtsanwalt Dr. Martin L***** Unregelmäßigkeiten feststellen konnten. Vom Disziplinarrat wurde vielmehr ausdrücklich festgehalten, dass die Treuhandschaft durch die Genannten geprüft und unbeanstandet erledigt worden sei (BS 3).

Die Beschwerde vermisst „eine Einvernahme des Treugebers Horst S*****“ und eine Überprüfung von „Hintergrund und Zweck der Treuhandvereinbarung“ sowie eine Abklärung, inwieweit die B***** in die Treuhandvereinbarung eingebunden war. Weshalb die aus einem Zwischenbericht Dris. P***** vom 12. Mai 2004 (Beilage zu TZ 1) zunächst deduzierte Verdachtslage ungeachtet dessen Schreiben vom 10. September 2003 (Beilage ./UK 2) dennoch weiter aufrecht zu halten sein soll, legt das Rechtsmittel jedoch nicht dar. Unberücksichtigt lässt der Beschwerdeführer zudem den Wortlaut des Treuhandvertrags vom 26. November 2003 (Beilage ./UK 5), wonach der Erlag von 106.000 Euro auf ausdrücklichen Wunsch des Treugebers Horst S***** erfolgte. Eine Einbindung auch der B***** in diese Vereinbarung oder gar deren Begünstigung daraus lässt sich dem Treuhandvertrag nicht entnehmen und erweist sich daher mangels entsprechender aktenkundiger Hinweise als bloße Spekulation.

Dementsprechend gelingt es der Beschwerde nicht, in Ansehung dieser Treuhandschaft konkrete Anhaltspunkte für eine (schuldhafte) Verletzung von Standesvorschriften durch den angezeigten Rechtsanwalt aufzuzeigen.

In teilweiser Stattgebung der Beschwerde des Kammeranwalts war daher der angefochtene Beschluss, soweit dieser ausspricht, es liege kein Grund zur Disziplinarbehandlung des ***** wegen des Vorwurfs der Beihilfe zur Doppelveräußerung der Liegenschaft EZ ***** Grundbuch ***** vor, aufzuheben und die Sache an den Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich zur neuerlichen Entscheidung zurückzuverweisen.

Im Übrigen war der Beschwerde nicht Folge zu geben.

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