OGH 11Os55/20b

OGH11Os55/20b23.6.2020

Der Oberste Gerichtshof hat am 23. Juni 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Kontr Fleischhacker als Schriftführerin in der Verbandsverantwortlichkeitssache der P***** GmbH wegen des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1, Abs 3 zweiter Fall StGB, AZ 222 Hv 15/18w des Landesgerichts für Strafsachen Graz, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil dieses Gerichts vom 19. September  2019 (ON 88 der Hv‑Akten), erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin MMag. Sauter‑Longitsch, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0110OS00055.20B.0623.000

 

Spruch:

 

Das gegen den belangten Verband ergangene Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 19. September 2019, GZ 222 Hv 15/18w‑88, verletzt §§ 1 Abs 1, 61 StGB iVm § 12 Abs 1 VbVG und § 28 Abs 1 VbVG.

Dieses Urteil wird aufgehoben und der Antrag der Staatsanwaltschaft vom 1. März 2018 auf Verhängung einer Verbandsgeldbuße über die P***** GmbH abgewiesen.

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 19. September 2019, GZ 222 Hv 15/18w‑88, das zwar § 22 Abs 2 VbVG entsprechend gesondert verkündet (ON 87 S 6), aber verfehlt (RIS-Justiz RS0130765) gemeinsam mit dem Urteil gegen die natürliche Person (ON 87 S 5 f) zur Ausfertigung gelangte, wurde die P***** GmbH „gemäß“ § 3 Abs 1 Z 1, (zu ergänzen:) Abs 2 VbVG für ein Verbrechen der Untreue nach § 153 Abs 1, Abs 3 zweiter Fall StGB verantwortlich erkannt, das ihr Entscheidungsträger, nämlich Mag. Walter M***** als Geschäftsführer dieser Gesellschaft, zu ihren Gunsten rechtswidrig und schuldhaft begangen hätte.

Dabei ging das Schöffengericht davon aus, dass Mag. M***** im Zeitraum vom 18. Juli 2003 bis zum 6. August 2004 in G***** als Geschäftsführer der P***** GmbH, die Komplementärin der S***** GmbH & Co KEG war, seine durch den Gesellschaftsvertrag vom 20. Dezember 2002 über die Gründung der angeführten KEG eingeräumte Befugnis, über deren Vermögen zu verfügen oder diese zu verpflichten, wissentlich missbrauchte, indem er entgegen den Bestimmungen des Gesellschaftsvertrags ohne Information und Zustimmung der Kommanditisten im Ausmaß von 85 % der Gesellschaftereinlage in vierzehn Angriffen (US 5) den Betrag von insgesamt 340.000 Euro vom Konto der KEG behob und der P***** GmbH als Darlehen gewährte, wodurch die Kommanditisten der KEG (bzw diese [vgl US 5]) mangels Rückzahlung in einem 300.000 Euro übersteigenden Betrag an ihrem Vermögen geschädigt wurden (US 1 f; US 4 bis US 6).

Während das gegen Mag. M***** ergangene Urteil von der Staatsanwaltschaft mit einer auf § 281 Abs 1 Z 11 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde bekämpft wurde (ON 1 S 25, ON 89; vgl 11 Os 32/20w), blieb das Urteil gegen den belangten Verband unangefochten.

 

Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, verletzt das gegen den belangten Verband ergangene Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 19. September 2019, GZ 222 Hv 15/18w- 88 (ON 87 S 6), das Gesetz:

Das Verbandsverantwortlichkeitsgesetz (VbVG; BGBl I 2005/151), das unter spezifischen Voraussetzungen eine Verantwortlichkeit von Verbänden für von natürlichen Personen begangene, mit gerichtlicher Strafe bedrohte Handlungen normiert, ist mit 1. Jänner 2006 in Kraft getreten (§ 28 Abs 1 VbVG) und stand demnach zum Zeitpunkt der unter Anklage gestellten Tatbegehungen durch Mag. M***** in den Jahren 2003 und 2004 noch nicht in Geltung.

Der im Tatzeitraum geltenden Rechtslage war eine strafrechtliche Verantwortlichkeit von Verbänden fremd.

Nach dem zufolge § 12 Abs 1 VbVG auch für Verbände geltenden Gesetzlichkeitsgebot und Rückwirkungsverbot der §§ 1 Abs 1, 61 StGB kommt eine Verantwortlichkeit von Verbänden für vor Inkrafttreten des VbVG begangene Taten natürlicher Personen nicht in Betracht.

Das gegen die P***** GmbH als belangtem Verband ergangene Urteil verletzt demnach §§ 1 Abs 1, 61 StGB iVm § 12 Abs 1 VbVG und § 28 Abs 1 VbVG.

Da sich diese Gesetzesverletzung zum Nachteil des belangten Verbands (§ 13 Abs 1 letzter Satz VbVG) auswirkt, war ihre Feststellung mit konkreter Wirkung wie aus dem Spruch ersichtlich zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO iVm § 14 Abs 1 VbVG).

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