OGH 13Os43/20b

OGH13Os43/20b17.6.2020

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. Juni 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer, Mag. Michel, Mag. Fürnkranz und Dr. Brenner in Gegenwart der Schriftführerin FOI Bayer in der Strafsache gegen Erwin W***** wegen des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über den Antrag des Erwin W***** auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Geschworenengericht vom 19. Dezember 2019, GZ 19 Hv 72/19m‑46, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0130OS00043.20B.0617.000

 

Spruch:

Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird verweigert.

 

Gründe:

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Geschworenengericht vom 19. Dezember 2019 (ON 46), wurde Erwin W***** aufgrund des Wahrspruchs der Geschworenen der Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB und des Mordes nach §§ 15, 75 StGB schuldig erkannt und zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt sowie gemäß § 21 Abs 2 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen. Ein zur Begehung der Straftaten verwendetes und zur Zeit der Entscheidung erster Instanz im Eigentum des Angeklagten gestandenes Messer wurde vom Erstgericht konfisziert (§ 19 Abs 1 StGB).

Unmittelbar nach der Urteilsverkündung am 19. Dezember 2019 meldete der durch einen Wahlverteidiger (vgl ON 22) vertretene Angeklagte Nichtigkeitsbeschwerde und „Berufung“ an (ON 45 S 49).

Nach Zustellung einer Urteilsausfertigung an den Wahlverteidiger mit Wirksamkeit (§ 89d Abs 2 GOG) vom 21. Jänner 2020 gab dieser die Auflösung des Vollmachtsverhältnisses bekannt (ON 52).

Der daraufhin bestellte Verfahrenshilfeverteidiger (ON 1 S 20) brachte am 20. Februar 2020 eine Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und eine gegen den Ausspruch über die Strafe gerichtete Berufung ein (ON 55).

Mit Beschluss vom 27. März 2020, AZ 13 Os 22/20i (ON 60), wies der Oberste Gerichtshof die Rechtsmittel als verspätet zurück, weil der Angeklagte weder bei der Anmeldung noch innerhalb der vierwöchigen Ausführungsfrist Nichtigkeitsgründe deutlich und bestimmt bezeichnete noch erklärte, ob er den Strafausspruch, die vorbeugende Maßnahme oder das Konfiskationserkenntnis bekämpft.

Rechtliche Beurteilung

Mit Antrag vom 7. April 2020 begehrt Erwin W***** die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung. Vorgebracht wird, bei einem Telefonat mit der zuständigen Gerichtsabteilung sei es im Rahmen des Kanzleibetriebs des Verfahrenshilfeverteidigers zu einem Missverständnis hinsichtlich des Zeitpunkts der Urteilszustellung an den Wahlverteidiger gekommen, das zu einem Fehler bei der Fristeneintragung geführt habe.

Gemäß § 364 Abs 1 Z 1 StPO ist den Beteiligten des Verfahrens gegen die Versäumung der Frist zur (hier) Ausführung eines Rechtsmittels die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, sofern sie (neben weiteren Voraussetzungen) nachweisen, dass es ihnen durch unvorhersehbare oder unabwendbare Ereignisse unmöglich war, die Frist einzuhalten oder die Verfahrenshandlung vorzunehmen, es sei denn, dass ihnen oder ihren Vertretern, ein Versehen nicht bloß minderen Grades zur Last liegt.

Ob der Verfahrenshilfeverteidiger die Frist zur Ausführung der Rechtsmittel durch Ereignisse im Sinn des § 364 Abs 1 StPO versäumte, kann aus folgenden Erwägungen dahinstehen:

Wie im Beschluss vom 27. März 2020 (ON 60) dargelegt, hat die Auflösung des Vollmachtsverhältnisses zum Wahlverteidiger gemäß § 63 Abs 2 StPO keinen Einfluss auf eine bereits laufende Frist im Sinn des § 285 Abs 1 StPO. Vielmehr hat der Wahlverteidiger weiterhin die Interessen des Angeklagten zu wahren und innerhalb der Frist erforderliche Prozesshandlungen vorzunehmen, es sei denn, der Angeklagte hätte ihm dies ausdrücklich untersagt (§ 63 Abs 2 zweiter Satz StPO; Fabrizy, StPO13 § 63 Rz 2; Murschetz, WK-StPO § 84 Rz 4). Dass Letzteres der Fall gewesen wäre, ist hier – nach Lage der Akten – ebenso wenig ersichtlich wie sonstige Umstände, die den Wahlverteidiger von seinen diesbezüglichen Pflichten entbunden hätten. Hiervon ausgehend wäre es Sache des Wahlverteidigers gewesen, die angemeldeten Rechtsmittel zur Ausführung zu bringen.

Das aufgezeigte Versäumnis des gewählten Verteidigers ist dem Angeklagten zuzurechnen und stellt kein Versehen bloß minderen Grades dar (RIS-Justiz RS0101272). Schon deshalb war die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – zu verweigern.

Die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung wurden bereits zurückgewiesen (ON 60).

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