European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0120OS00036.20S.0528.000
Spruch:
Im Verfahren AZ 14 Hv 41/19s des Landesgerichts für Strafsachen Graz verletzen
1./ die Urteile des Landesgerichts für Strafsachen Graz
a./ vom 6. Juni 2019, GZ 14 Hv 41/19s‑38a, und
b./ vom 4. Juli 2019, GZ 14 Hv 41/19s‑49,
soweit sie jeweils keinen Ausspruch über die Kostenersatzpflicht der Angeklagten enthalten, § 260 Abs 1 Z 5 StPO iVm § 389 Abs 1 StPO,
2./ das Urteil des Oberlandesgerichts Graz vom 20. Dezember 2019, AZ 1 Bs 156/19d (ON 77), soweit darin dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens auferlegt wurden, § 390a Abs 1 StPO iVm § 389 Abs 1 StPO,
3./ die Kostenbestimmungsbeschlüsse des Landesgerichts für Strafsachen Graz
a./ vom 19. Juni 2019 (ON 58),
b./ vom 20. September 2019 (ON 57),
c./ vom 20. September 2019 (ON 59),
d./ vom 20. September 2019 (ON 60) und
e./ vom 27. Jänner 2020 (ON 78),
§ 381 Abs 1 StPO iVm § 389 Abs 1 StPO.
Es werden
a./ das Urteil des Oberlandesgerichts Graz vom 20. Dezember 2019, AZ 1 Bs 156/19d, das im Übrigen unberührt bleibt, im Kostenausspruch sowie
b./ die unter 3./ angeführten Beschlüsse des Landesgerichts für Strafsachen Graz, jeweils ersatzlos,
aufgehoben.
Gründe:
Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 6. Juni 2019, GZ 14 Hv 41/19s-38a, wurden – soweit hier von Bedeutung – Oliver K*****, Benjamin S*****, Horst P***** und Sophie D***** verschiedener strafbarer Handlungen schuldig erkannt und zu (zum Teil oder zur Gänze bedingt nachgesehenen) Freiheitsstrafen verurteilt.
Einen Ausspruch über die Verpflichtung zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens (§ 389 Abs 1 StPO) enthält das Urteil nicht (ON 38a S 5 f; vgl auch ON 38 S 11 ff). In den Entscheidungsgründen findet sich in diesem Zusammenhang nur der Satz „Kostenersatz sowie Vorhaftanrechnung gründen sich auf die angeführten Gesetzesstellen und sind Folgen der Schuldsprüche“ (ON 38a S 18; vgl auch den handschriftlichen Vermerk „389 StPO“ „zu ON 38“ [letztes Blatt der ON 38]).
In Ansehung der genannten Angeklagten erwuchs das Urteil unbekämpft in Rechtskraft.
Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 4. Juli 2019, GZ 14 Hv 41/19s‑49, wurde Patrick L***** mehrerer Vergehen schuldig erkannt, hiefür zu einer (bedingt nachgesehenen) Freiheitsstrafe verurteilt und nach § 22 Abs 1 StGB in eine Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher eingewiesen.
Auch dieses Urteil enthält keinen Ausspruch über die Verpflichtung zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens gemäß § 389 Abs 1 StPO (ON 49 S 1 ff, insbesondere S 3; vgl auch ON 48 S 7 f), sondern gleichfalls nur den Satz „Kostenersatz sowie Vorhaftanrechnung gründen sich auf die angeführten Gesetzesstellen und sind Folgen des Schuldspruches“ in den Entscheidungsgründen (ON 49 S 10).
Der gegen dieses Urteil von Patrick L***** erhobenen Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe (ON 51, 71) gab das Oberlandesgericht Graz mit Urteil vom 20. Dezember 2019, AZ 1 Bs 156/19d (ON 77), keine Folge und sprach gestützt auf § 390a Abs 1 StPO aus, dass dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last fallen (ON 77 S 1 und 3).
Mit – unbekämpft gebliebenen – Beschlüssen des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 19. Juni 2019 hinsichtlich Benjamin S***** (ON 58), je vom 20. September 2019 hinsichtlich Oliver K***** (ON 57), Horst P***** (ON 59) und Sophie D***** (ON 60) und vom 27. Jänner 2020 hinsichtlich Patrick L***** (ON 78) wurden die von den genannten Angeklagten jeweils zu tragenden Kosten des Strafverfahrens gemäß § 381 Abs 1 Z 1 StPO ziffernmäßig bestimmt.
Rechtliche Beurteilung
Wie die Generalprokuratur in ihrer gemäß § 23 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt, stehen die dargestellten Urteile und Beschlüsse des Landesgerichts für Strafsachen Graz sowie das genannte Urteil des Oberlandesgerichts Graz mit dem Gesetz nicht im Einklang:
1./ Im Fall eines Schuldspruchs ist der Angeklagte gemäß § 389 Abs 1 StPO auch zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens zu verpflichten. Die Entscheidung über die Prozesskosten ist gemäß § 260 Abs 1 Z 5 StPO notwendiger Bestandteil des Strafurteils. Demgemäß wäre das Landesgericht für Strafsachen Graz dazu verhalten gewesen, die Verpflichtung der (sämtlich schuldig gesprochenen) Angeklagten zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens im Erkenntnis auszusprechen. Dieses Unterbleiben des Ausspruchs über die Kostentragung ist mangels Anfechtung nicht mehr nachzuholen (vgl Lendl , WK‑StPO § 260 Rz 49; § 389 Rz 4). Der in den Entscheidungsgründen angeführte Hinweis, wonach sich (auch) der Kostenersatz auf die „jeweilige“ Gesetzesstelle gründet und Folge des Schuldspruchs ist (ON 38a S 18, ON 49 S 10), vermag – ebenso wie die handschriftliche Anführung der betreffenden Gesetzesstelle im Aktenvermerk „zu ON 38“ – einen Ausspruch gemäß § 260 Abs 1 Z 5 StPO nicht zu ersetzen.
In der Unterlassung des Ausspruchs über die Verpflichtung der Angeklagten zum Kostenersatz verletzen daher die Urteile des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 6. Juni 2019, GZ 14 Hv 41/19s‑38a, und vom 4. Juli 2019, GZ 14 Hv 41/19s‑49, jeweils § 389 Abs 1 StPO iVm § 260 Abs 1 Z 5 StPO.
2./ Voraussetzung für eine Kostenersatzpflicht im Rechtsmittelverfahren (§ 390a Abs 1 StPO) ist – sofern das Rechtsmittelgericht nicht in der Sache selbst erkennt – ein grundsätzlicher Ausspruch derselben gemäß § 389 StPO (oder § 390 StPO) in der Entscheidung erster Instanz (RIS‑Justiz RS0101332; Lendl , WK‑StPO § 389 Rz 4 f und § 390a Rz 4; Fabrizy, StPO 13 § 389 Rz 3).
Zufolge unbekämpft gebliebener Unterlassung des Ausspruchs der allgemeinen Kostenersatzpflicht im Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 4. Juli 2019, GZ 14 Hv 41/19s‑49, verletzt der Ausspruch der Ersatzpflicht auch der Kosten des Rechtsmittelverfahrens in der Berufungsentscheidung des Oberlandesgerichts Graz vom 20. Dezember 2019, AZ 1 Bs 156/19d (ON 77), somit § 390a Abs 1 StPO.
3./ Mangels grundsätzlicher Entscheidung über die Kostenersatzpflicht entbehren überdies die Beschlüsse des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 19. Juni 2019 (ON 58), vom 20. September 2019 (ON 57, 59 und 60) sowie vom 27. Jänner 2020 (ON 78), in denen jeweils die Kosten des Strafverfahrens gemäß § 381 Abs 1 Z 1 StPO ziffernmäßig bestimmt wurden, einer Grundlage (RIS‑Justiz RS0101304) und stehen daher mit den Bestimmungen der §§ 389 Abs 1, 381 Abs 1 StPO nicht im Einklang (vgl Lendl , WK‑StPO § 381 Rz 3, § 389 Rz 6).
Da sich die unter 2./ und 3./ aufgezeigten Gesetzesverletzungen zum Nachteil der Verurteilten auswirkten, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, deren Feststellung – wie im Spruch ersichtlich – mit konkreter Wirkung zu verbinden (§ 292 letzter Satz StPO).
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