OGH 8Ob2/20g

OGH8Ob2/20g24.4.2020

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely‑Kristöfel als weitere Richter in der Pflegschaftssache der 1. mj M* K*, geboren am * 2009, 2. mj K* K*, geboren am * 2010, wohnhaft bei ihrem Vater W* K*, vertreten durch Winkler & Riedl Rechtsanwälte OG in Tulln, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter Mag. A* K*, vertreten durch Mag. Alfons Umschaden, MBA, M.B.L., Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 23. Oktober 2019, GZ 23 R 426/19y‑278, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E128442

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

 

Begründung:

Die Ehe der Eltern der beiden mj Kinder ist seit 2011 geschieden. Die Mädchen lebten nach der endgültigen Trennung der Eltern zunächst bei ihrer aus Polen stammenden Mutter. Mit Beschluss des Erstgerichts vom 10. 7. 2019 wurde der Mutter wegen massiver Gefährdung des Kindeswohls die Obsorge entzogen und dem Vater allein übertragen. Seither leben die Kinder im Haushalt des Vaters.

Ab dem Aufenthaltswechsel waren tägliche Telefonate zwischen den Kindern und der Mutter vereinbart. Die Mutter tätigte in diesen Telefonaten, die in polnischer Sprache geführt wurden, immer wieder besorgniserregende Aussagen gegenüber den Kindern. In den ersten Telefonaten äußerte sie beispielsweise, dass der Hund so traurig wäre und die Kinder in der Wohnung überall suchen würde. Weiters würden der Großvater und Onkel mütterlicherseits so furchtbar leiden, dass sie in Lebensgefahr wären. Die Mutter behauptete auch, dass die Behörden sowie der Sachverständige derzeit eine Fremdunterbringung der Mädchen in einer muslimischen Familie organisieren würden. Der Vater, der nicht polnisch spricht, hielt mit den Kindern nach den Telefonaten Rücksprache, weil sie in Tränen ausbrachen, woraufhin sie ihm die Gesprächsinhalte schilderten. Die Kinder waren nach diesen Telefonaten massiv belastet und hatten Angst.

Beide Kinder sind durch die hochstrittige Beziehung der Eltern in ihrer psychischen Entwicklung beeinträchtigt und zeigen in unterschiedlichem Ausmaß bereits deutliche Hinweise auf die Entstehung psychischer Störungen. Die eigene psychische Konstitution der Kindesmutter trägt dazu bei, dass die Kinder sich nicht gesund entwickeln können. Die Bindungstoleranz der Mutter ist nicht gegeben. Ein Kontaktrecht ohne Begleitung ist derzeit mit der erheblichen Gefahr verbunden, dass die Mutter weiterhin die Kinder in den Konflikt miteinbezieht und die Gefährdungsmomente, die derart gravierend waren, dass sie zur Entziehung der Obsorge geführt haben, weiterhin nicht hintangehalten werden. Es bedarf der Begleitung der Kontakte, um diese unterbrechen oder auch abbrechen zu können, sobald suggestives oder Ängste und Loyalitätskonflikte förderndes Verhalten von der Mutter zutage tritt.

Mit dem hier gegenständlichen Beschluss vom 16. 9. 2019 regelte das Erstgericht das vorläufige Kontaktrecht der Mutter zu den Kindern in Form eines zweistündigen begleiteten Besuchsrechts in einer Betreuungseinrichtung alle 14 Tage, wobei ihr die Auflage erteilt wurde, in dieser Zeit mit den Kindern nur dann polnisch zu sprechen, wenn die Besuchsbegleitung polnischsprachiges Personal zur Verfügung stellen kann, sonst aber lediglich deutsch zu sprechen. Zusätzlich wurde der Mutter das Recht auf wöchentliche telefonische Kontakte in der Dauer von 30 Minuten mit den Minderjährigen eingeräumt, mit der Auflage, in dieser Zeit mit den Kindern ebenfalls deutsch zu sprechen.

Rechtlich argumentierte das Erstgericht, die verfügten Auflagen und Einschränkungen des Kontaktrechts der Mutter seien notwendig, um die andernfalls zu bestehende konkrete Gefährdung der psychischen Integrität der Kinder hintanzuhalten.

Das Rekursgericht gab dem Rechtsmittel der Mutter gegen diesen Beschluss nicht Folge und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Der Rekurs wende sich nicht gegen die angeordnete Besuchsbegleitung oder das zeitliche Ausmaß des eingeräumten Kontaktrechts, sondern ausschließlich gegen die Auflage, die deutsche Sprache zu verwenden. Das Rekursgericht verkenne durchaus nicht, dass die Pflege der polnischen Sprache und Kultur für die Kinder grundsätzlich wertvoll und wünschenwert sei. Nach den im Rekurs unbekämpft gebliebenen Tatsachenfeststellungen sei aber die der Mutter auferlegte Beschränkung derzeit im Sinne des massiv gefährdeten Kindeswohls notwendig und gerechtfertigt.

Rechtliche Beurteilung

Der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter, mit dem sie eine Abänderung des Beschlusses im Sinne des Entfalls der Auflage (nur) bezüglich der in den Telefonaten zu verwendenden Sprache, hilfsweise die Aufhebung der Entscheidung anstrebt, spricht keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG an.

1. Die Entscheidung, ob und welche vorläufige Maßnahmen zur Förderung des Kindeswohls erforderlich sind und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen, ist immer von den Umständen des Einzelfalls abhängig. Es kommt ihr keine erhebliche Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG zu, sofern dabei ausreichend auf das Kindeswohl Bedacht genommen wurde und keine leitenden Grundsätze der Rechtsprechung verletzt wurden (RIS‑Justiz RS0130780 [T3]; RS0115719 [T5]; RS0007101).

Im Anlassfall liegt eine Fehlbeurteilung, die vom Obersten Gerichtshof aus Gründen der Rechtssicherheit oder der Einzelfallgerechtigkeit korrigiert werden müsste, nicht vor.

Im Rechtsmittelverfahren steht unbekämpft und bindend fest, dass die Mutter nach der Überstellung der Kinder in den Haushalt des Vaters die telefonischen Kontakte in einer für die Kinder nachteiligen Weise ausgeübt hat. Sie hat sich dabei den Umstand zunutze gemacht, dass die Kinder und sie selbst polnisch sprechen, der Vater diese Sprache aber nicht bzw nur in geringem Umfang beherrscht, und die Kontakte dazu verwendet, die Kinder mit sie belastenden Gesprächsinhalten zu konfrontieren und gegen den Vater zu beeinflussen.

Die im Interesse des Kindeswohls gebotene Unterbindung eines derartigen Missbrauchs stellt keine Diskriminierung der Mutter aufgrund ihrer Herkunft und Sprache dar. Der Revisionsrekurs vermag weder eine konkrete Einschränkung der Kommunikation noch ein anderes, gelinderes Mittel aufzuzeigen, mit dem der Gefährdung durch die Mutter bei der Ausübung ihres Kontaktrechts effizient begegnet werden könnte. Dem im Revisionsrekurs wiederholten Vorbringen, der Vater könne mit Zustimmung der Mutter Tonbandaufnahmen der polnisch geführten Telefonate zwecks nachfolgender Übersetzung herstellen, ist schon das Rekursgericht mit zutreffender Begründung entgegengetreten. Auf das Problem, dass jede erst nachträgliche Feststellung einer neuerlichen Verunsicherung und Verängstigung der Kinder durch die Mutter den dadurch entstandenen Schaden nicht mehr beseitigen könnte, geht der Revisionsrekurs nicht ein.

Soweit im Revisionsrekurs ein Verlust der „Nationalität“ und des kulturellen Hintergrundes der Kinder behauptet wird, der nach Ansicht der Mutter einen Verstoß gegen Art 8 Abs 2 EMRK sowie auch gegen Art 3, 8, 13 und 16 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes (Kinderrechtskonvention) darstellen solle, ist ein Zusammenhang mit der hier strittigen vorläufigen Ausübung des telefonischen Kontaktrechts nicht nachvollziehbar. Eine Pflege fremder kultureller Wurzeln und Sprachkenntnisse ist auf mannigfache Weise, über Literatur, Medien und insbesondere über Gespräche mit anderen Personen möglich. Anhaltspunkte dafür, dass den Kindern ein Zugang zu solchen Möglichkeiten verwehrt würde, ist im Verfahren weder behauptet worden noch sonst hervorgekommen.

2. Die Bekämpfung von Tatsachenfeststellungen ist im Revisionsrekurs nicht mehr möglich (RS0108449).

Die Feststellung, die Mutter weise eine „schizotype Persönlichkeitsstörung“ auf, kann daher in dritter Instanz ebensowenig angefochten werden wie die Beweiswürdigung des Erstgerichts, auf deren Grundlage sie getroffen wurde.

Der Revisionsrekurs verkennt auch, dass die auferlegten Beschränkungen des Kontaktrechts nicht auf der genannten Persönlichkeitsdiagnose als solche beruhen, sondern auf dem tatsächlichen, die Kinder schädigenden Verhalten der Mutter, das sie gar nicht bestreitet und dessen künftige Änderung in ihrem eigenen Verantwortungsbereich liegt.

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