OGH 11Os25/20s

OGH11Os25/20s15.4.2020

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. April 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in der Strafsache gegen Jasmin N***** und Patrick G***** wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1, Abs 2 erster Fall StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der beiden Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Schöffengericht vom 9. Dezember 2019, GZ 37 Hv 89/19m‑17, sowie die Beschwerde des Angeklagten G***** gegen den zugleich ergangenen Beschluss gemäß § 494a StPO nach Anhörung der Generalprokuratur gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo 2019 den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0110OS00025.20S.0415.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Den Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Jasmin N***** des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1, Abs 2 erster Fall StGB (A) und Patrick G***** jeweils eines Vergehens der Unterdrückung eines Beweismittels nach (gemeint) §§ 15, 12 zweiter Fall, 295 StGB (B 1) und der Begünstigung nach §§ 15, 299 Abs 1 StGB (B 2) schuldig erkannt.

Danach haben am 9. Juni 2019 in L*****

(A) Jasmin N***** der Carmen W***** eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB), nämlich eine „stark blutende Schnittwunde“, absichtlich zugefügt, indem sie der Genannten ein Glas ins Gesicht schlug, das durch die Wucht des Aufpralls zerbrach, wobei die Tat für zumindest eine lange Zeit eine auffallende Verunstaltung des Opfers in Form einer gut sichtbaren, drei bis fünf Zentimeter langen Narbe im Bereich des linken Mundwinkels, somit eine schwere Dauerfolge (§ 85 Abs 1 Z 2 StGB), nach sich zog;

(B) Patrick G*****

(1) den Johannes K***** mit Gebrauchsverhinderungsvorsatz dazu zu bestimmen versucht, ein Beweismittel, das zur Verwendung in einem gerichtlichen Verfahren oder in einem Ermittlungsverfahren nach der Strafprozessordnung bestimmt war und über das er nicht oder nicht allein verfügen durfte, zu unterdrücken, indem er ihn aufforderte, Jasmin N***** im Sinn des Schuldspruchs A belastendes Überwachungsmaterial in seinem Lokal [dem Tatort] „verschwinden zu lassen“;

(2) durch die vom Schuldspruch B 1 umfasste Tat Jasmin N*****, die eine mit Strafe bedrohte Handlung, nämlich das Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1, Abs 2 erster Fall StGB begangen hatte (A), der Verfolgung absichtlich ganz zu entziehen versucht.

 

Rechtliche Beurteilung

Dagegen wenden sich die von N***** auf Z 11, von G***** auf Z 5, 5a, 9 und 11 jeweils des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden der beiden Angeklagten.

 

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Jasmin N*****:

Die Beschwerdeführerin reklamiert (aus Z 11 zweiter Fall) den Milderungsgrund nach § 34 Abs 1 Z 13 StGB, indem sie die rechtliche Annahme von Versuch (§ 15 StGB) statt Vollendung anstrebt (dazu RIS‑Justiz RS0122137; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 712).

Zutreffend führt sie aus, dass § 87 Abs 1, Abs 2 erster Fall StGB (bloß) im Entwicklungsstadium des Versuchs (§ 15 StGB) verwirklicht sein könnte, wenn durch die Tat zwar eine schwere Dauerfolge im Sinn des § 85 (hier: Abs 1 Z 2 zweiter Fall) StGB, aber keine schwere Körperverletzung im Sinn des § 84 Abs 1 StGB (tatsächlich) herbeigeführt worden wäre (RIS‑Justiz RS0115024; Burgstaller/Fabrizy in WK2 StGB § 87 Rz 14).

Die Annahme einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit im Sinn des § 84 Abs 1 erster oder zweiter Fall StGB scheidet hier– worauf das Rechtsmittel ebenfalls zutreffend hinweist – mangels diesbezüglichen Feststellungssubstrats von vornherein aus. Ebenso zutreffend referiert die Beschwerde Rechtsprechung, wonach es für die Beurteilung, ob eine Verletzung – im Sinn des dritten Falls des § 84 Abs 1 StGB – an sich schwer ist, (ua) auf die Wichtigkeit des verletzten Körperteils und auf die Schwere des gesundheitlichen Schadens ankommt (RIS‑Justiz RS0092473, RS0092440).

Das Erstgericht hat dazu festgestellt, dass Carmen W***** durch die Tat eine „stark blutende“, „ausgedehnte Schnittwunde im linken Mundwinkelbereich/Wangenbereich“ erlitt, die „innen und außen“ mit Nähten versorgt werden musste, wovon eine „etwa drei bis fünf Zentimeter lange Narbe im Bereich des linken Mundwinkels“ zurückblieb (US 4). Damit ging es deutlich genug (vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 19) von einer im Mundwinkel beginnenden – und solcherart die Mundöffnung erweiternden – vollständigen Durchtrennung der Wange über eine Länge von (zumindest) drei Zentimetern aus.

Die Beschwerde vermeint, das angefochtene Urteil enthalte „keine Feststellungen“, aus denen sich der Eintritt einer an sich schweren Körperverletzung (§ 84 Abs 1 dritter Fall StGB) „in rechtlicher Hinsicht ableiten ließe“; die „Feststellung, dass die ausgedehnte Schnittwunde im linken Mundwinkelbereich der Carmen W***** in stationärer Behandlung im Landeskrankenhaus L***** mit Nähten versorgt wurde“, sei „nicht geeignet“, eine solche „zu begründen“. Indem sie es solcherart verabsäumt, ihre Argumentation auf der Basis der Gesamtheit der (oben referierten) Urteilskonstatierungen zu Art und Ausmaß der Verletzung des Opfers zu entwickeln, bringt sie den herangezogenen materiell-rechtlichen Nichtigkeitsgrund nicht zu prözessförmiger Darstellung (RIS-Justiz RS0099810 [insbesondere T15]).

Im Übrigen erweist sich die Beurteilung einer Verletzung von Wange und Mund – somit einer besonders sensiblen und wichtigen Körperregion – im konstatierten Ausmaß als an sich schwer (§ 84 Abs 1 dritter Fall StGB) im Grunde der von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien (dazu auch Burgstaller/Fabrizy in WK2 StGB § 84 Rz 19 f) als rechtsrichtig.

 

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Patrick G*****:

Die – Schuldsprüche B 1 und 2 (mit-)tragende – Feststellung, der Beschwerdeführer habe Johannes K***** „via Facebook-Messenger“ „sinngemäß“ aufgefordert, „das Überwachungsmaterial [...], das die Erstangeklagte [N*****] belastete, verschwinden zu lassen“ (US 4), stützte das Erstgericht nicht nur auf den aktenkundigen (ON 2 S 39) Wortlaut der fraglichen Textbotschaft, sondern auch auf das Geständnis des Beschwerdeführers (US 5, 6).

Ohne an der Gesamtheit dieser Beweiswerterwägungen Maß zu nehmen (siehe aber RIS‑Justiz RS0118780 [insbesondere T1]) will die Tatsachenrüge (Z 5a) jener Textbotschaft einen anderen Sinngehalt beimessen als das Erstgericht. Damit erschöpft sie sich in einem Angriff auf die tatrichterliche Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld.

Das gegen den Schuldspruch B 2 (wegen des Vergehens der Begünstigung nach § 299 Abs 1 StGB) gerichtete Beschwerdevorbringen reklamiert Straflosigkeit nach § 299 (richtig) Abs 3 erster Fall StGB.

Danach wäre der Beschwerdeführer nach § 299 Abs 1 StGB nicht zu bestrafen, wenn er und Jasmin N***** zur Tatzeit miteinander in Lebensgemeinschaft gelebt hätten (§ 72 Abs 2 StGB), er (somit) die Tat in der Absicht begangen hätte, eine Angehörige zu begünstigen (§ 299 Abs 3 erster Fall StGB; vgl Jerabek/Ropper in WK2 StGB § 72 Rz 13 ff).

Der Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) zuwider blieb die dazu getroffene Urteilsaussage, die beiden Angeklagten hätten sich „in einer Beziehung aber in keiner Lebensgemeinschaft“ befunden (US 4), keineswegs unbegründet. Das Erstgericht konnte sie vielmehr– willkürfrei (vgl ON 16 S 6 iVm ON 2 S 26) – (mit den übrigen „Feststellungen zu den Personen“) aus den „glaubhaften Angaben“ des Beschwerdeführers „in der Hauptverhandlung am 9. Dezember 2019“ ableiten (US 5).

Soweit die Rechtsrüge (nominell „Z 9“, inhaltlich [mit Blick auf das zu Schuldspruch B 1 als in Idealkonkurrenz begründet erachtete Vergehen der Unterdrückung eines Beweismittels nach § 295 StGB] Z 10) die – mit Mängelrüge erfolglos bekämpfte (vgl RIS‑Justiz RS0099810, RS0118580 [T14]) – Feststellung als (infolge Verwendung eines verbum legale) gar nicht getroffen bezeichnet, legt sie nicht dar, weshalb es dieser am gebotenen Sachverhaltsbezug fehlen sollte (vgl RIS‑Justiz RS0119090 [T3]).

Außerdem wird – anders als zur prozessförmigen Geltendmachung des (der Sache nach) behaupteten Feststellungsmangels jedoch erforderlich (RIS‑Justiz RS0118580, RS0122332 [insbesondere T4]) – ohnedies kein in der Hauptverhandlung vorgekommenes (§ 258 Abs 1 StPO) Verfahrensergebnis aufgezeigt, das den reklamierten Ausnahmesatz indiziert hätte (vgl im Übrigen abermals die Verantwortung des Beschwerdeführers, wonach kein gemeinsamer Wohnsitz bestand [ON 2 S 26]).

Mit der argumentationslosen Behauptung, die vom Schöffengericht verhängte Strafe verstoße „in unvertretbarer Weise gegen die Bestimmung über die Strafbemessung“, wird Nichtigkeit aus Z 11 nicht geltend gemacht. Der weitere Einwand, „weder der Erfolgs- noch der Gesinnungs- und Handlungsunwert“ würden die verhängte Strafe „rechtfertigen“, bedeutet bloß ein Berufungsvorbringen.

 

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher– in Überstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufungen und der Beschwerde folgt (§§ 285i, 498 Abs 3 letzter Satz StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO).

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