European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0110OS00013.20A.0320.000
Spruch:
In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Erstangeklagten sowie aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in Ansehung dieses Angeklagten zur Gänze aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache hiezu an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.
Mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde im Übrigen und der Berufung wird der Erstangeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Die Nichtigkeitsbeschwerde des Zweitangeklagten wird zurückgewiesen.
Die Akten werden dem Landesgericht für Strafsachen Wien rückgemittelt, das entsprechende Aktenteile dem Oberlandesgericht Wien zur Erledigung der Berufung des Zweitangeklagten zuzuleiten haben wird.
Diesem fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil, das auch unbekämpft in Rechtskraft erwachsene Freisprüche des M***** enthält, wurde dieser des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I./1./), des Vergehens des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (I./2./) sowie der Vergehen der pornographischen Darstellung Minderjähriger nach § 207a Abs 3 (richtig:) zweiter Satz StGB (I./3./), Ra***** des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (II./1./) sowie des Vergehens des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (II./2./) schuldig erkannt.
Danach hat in Wien
I./ M*****
1./ mit der am ***** 2012 geborenen R***** zu einem nicht mehr festzustellenden Zeitpunkt im September 2017 eine geschlechtliche Handlung vorgenommen, indem er sie mit dem Finger im Bereich der Scheide berührte;
2./ durch die zu Punkt 1./ beschriebene Handlung mit seiner am ***** 2012 geborenen minderjährigen Stieftochter eine geschlechtliche Handlung vorgenommen;
3./ sich zwischen 13. Oktober und 8. Dezember 2018 pornographische Darstellungen minderjähriger Personen auf nicht mehr feststellbare Weise verschafft und bis 8. Dezember 2018 besessen und auf seinem Smartphone abgespeichert, nämlich fünfzig Bilddateien zeigend wirklichkeitsnahe Abbildungen von geschlechtlichen Handlungen an unmündigen Personen sowie von solchen Personen an sich selbst sowie an anderen Personen und wirklichkeitsnahe Abbildungen der Genitalien sowie der Schamgegend Minderjähriger, wobei es sich dabei um reißerisch verzerrte, auf sich selbst reduzierte und von anderen Lebensäußerungen losgelöste Abbildungen handelt, die der sexuellen Erregung des Betrachters dienen;
II./ Ra*****
1./ mit der am ***** 2012 geborenen minderjährigen R***** eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternommen, indem er am 25. November 2018 mit Penetrationsvorsatz (US 9) seinen Penis und seinen Finger im Bereich der Vagina ansetzte und den Oralverkehr an ihr vollzog;
2./ durch die in Punkt 1./ beschriebene Handlung unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber der seiner Aufsicht unterstehenden, am ***** 2012 geborenen Minderjährigen R***** eine geschlechtliche Handlung vorgenommen.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 5a und 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Erstangeklagten und die auf die Gründe des § 281 Abs 1 Z 5 und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Zweitangeklagten.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Erstangeklagten:
Die zum Schuldspruch I./3./ erstattete Mängelrüge zeigt zutreffend auf, dass der Begründung der Konstatierungen zur Verschaffung und zum Besitz der inkriminierten Bilder durch den Angeklagten (US 7, 13) Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) anhaftet. Nach § 207a Abs 3 zweiter Satz StGB handelt nur tatbildlich, wer eine pornografische Darstellung einer minderjährigen Person sich verschafft oder besitzt, somit (vorsätzlich) Gewahrsam am Tatobjekt herbeiführt oder aufrecht hält, sodass jede Form der Gewahrsamsbeendigung dem strafbaren Besitz beendet oder – bei rechtzeitiger Aufgabe von aufgedrängtem Gewahrsam – erst gar nicht entstehen lässt (Hinterhofer, SbgK § 207a Rz 30; vgl auch 11 Os 60/19m, 12 Os 148/12z zu § 27 SMG; zum Ganzen: Hochmayr, Strafbarer Besitz [2005] 56 ff, 96 ff und 145 ff).
Im Urteil blieben in diesem Zusammenhang erhebliche Teile der Angaben des Sachverständigen für elektronische Datenverarbeitung sowie – zur Gänze – die diesbezügliche Verantwortung des Beschwerdeführers, wonach er unaufgefordert und ungewollt Fotos bzw Videos über WhatsApp erhalten, diese nach einem kurzen Blick zur Abklärung des Inhalts aber gelöscht habe, womit sie für ihn „weg“ gewesen seien (ON 85 S 9 f, 12, 26), unerörtert (RIS‑Justiz RS0118316, RS0116877). Der Sachverständige führte hiezu in der Hauptverhandlung am 4. Juni 2019 unter anderem aus (ON 85 S 21 ff), die aufgefundenen Fragmente von Vorschaubildern seien derart „gut gelöscht“ gewesen, „dass nichts mehr übrig“ geblieben und eine Aussage dazu, ob diese nach Empfang automatisch „heruntergeladen“ worden seien bzw wie lange sie sich auf dem Mobiltelefon befunden hätten, deshalb nicht (mehr) möglich sei.
Da nicht auszuschließen ist, dass die Tatrichter bei Berücksichtigung dieser Aussage des Sachverständigen im Zusammenhalt mit der Verantwortung des Angeklagten zu einem für diesen günstigeren Ergebnis gekommen wären, erfordert der aufgezeigte Urteilsmangel die Aufhebung des Schuldspruchs I./3./ bereits bei nichtöffentlicher Beratung (§ 285e StPO). Einer Erörterung des weiteren darauf bezogenen Vorbringens bedarf es daher nicht.
Um sicher zu gehen, dass dieser Angeklagte durch bloß formal trennbare Aussprüche des angefochtenen Urteils keine inhaltlichen Nachteile erleide, hat der Oberste Gerichtshof von der ihm durch § 289 StPO eingeräumten Befugnis Gebrauch gemacht, auch nicht von der erforderlichen Aufhebung betroffene Verfügungen zu beheben (vgl RIS‑Justiz RS0120632; Ratz, WK-StPO § 289 Rz 3).
Demgemäß war – in weitgehender Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – in teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Erstangeklagten sowie aus deren Anlass das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, in Ansehung dieses Angeklagten zur Gänze aufzuheben, eine neue Hauptverhandlung anzuordnen und die Sache hiezu an das Landesgericht für Strafsachen Wien zu verweisen. Dieses wird im zweiten Rechtsgang bei einer allfälligen Sanktionsfindung zu beachten haben, dass die erschwerende Wertung „der Tatbegehung gegenüber einer Angehörigen betreffend § 207 StGB“ (US 16) – ungeachtet dieser Einschränkung – angesichts der bereits für die Subsumtion nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB essentiellen Angehörigeneigenschaft einen Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot darstellen würde (§ 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO).
Mit seinen Rechtsmitteln im Übrigen war der Erstangeklagte hierauf zu verweisen.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Zweitangeklagten:
Nominell geltend gemachte Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) liegt nur bei (erheblicher) unrichtiger Wiedergabe des Inhalts von Beweismitteln vor (RIS‑Justiz RS0099431), was der Beschwerdeführer mit dem Vorbringen, die Tatrichter hätten sich „über die reine Textierung der Aussage“ des Opfers hinweggesetzt, gerade nicht behauptet. Mit den Argumenten, das Opfer verfüge nicht über „100% klare“ Deutschkenntnisse, seine Antworten seien unschlüssig und es hätte nicht sehen oder spüren können, mit welchem Körperteil des Zweitangeklagten es berührt worden wäre, weswegen das Erstgericht „strafbare Handlungen wie beim Erstangeklagten … nach § 207 Abs 1 StGB festzustellen gehabt“ hätte, wird bloß die Beweiswürdigung der Tatrichter nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren gesetzlich nicht vorgesehenen Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld bekämpft.
Die daran – selbst argumentationslos – anknüpfende Subsumtionsrüge (Z 10) bleibt jede Ableitung aus dem Gesetz schuldig, weshalb „aufgrund der dort getroffenen Feststellungen“ eine Unterstellung des Urteilssachverhalts (bloß) unter § 207 Abs 1 StGB vorzunehmen gewesen wäre. Solcherart ist sie nicht gesetzmäßig ausgeführt (RIS‑Justiz RS0116565; vgl im Übrigen RIS‑Justiz RS0095114 [T5, T6, T10]).
Die Nichtigkeitsbeschwerde des Zweitangeklagten war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d StPO).
Diesen betreffend wird das Landesgericht für Strafsachen Wien die entsprechenden Aktenteile dem Oberlandesgericht Wien zur Erledigung der Berufung zuzuleiten haben (§ 9 Abs 2 StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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