OGH 10Nc2/20f

OGH10Nc2/20f6.3.2020

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr.

 Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Fichtenau und den Hofrat Mag. Ziegelbauer als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj Kindes L*****, geboren ***** 2015, wegen § 111 Abs 2 JN, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0100NC00002.20F.0306.000

 

Spruch:

Die mit Beschluss des Bezirksgerichts Floridsdorf vom 5. Dezember 2019, GZ 13 Ps 76/16z-83, gemäß § 111 Abs 1 JN verfügte Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache hinsichtlich der Personensorgesache an das Bezirksgericht Feldkirch wird gemäß § 111 Abs 2 JN genehmigt.

 

Begründung:

Das Kind hält sich mit seiner Mutter nicht mehr im Sprengel des Bezirksgerichts Floridsdorf auf, sondern lebt seit 11. 11. 2019 in G*****. Der Vater wohnt weiterhin im Burgenland. Die Obsorge kommt der Mutter zu.

Die Entscheidung über mehrere Anträge steht noch aus. Unerledigt ist insbesondere der Antrag des Vaters auf „gemeinsame Obsorge“ vom 7. 6. 2016 (ON 6); unerledigt sind weiters (ua) der Antrag des Vaters auf ein Kontaktrecht in Ferienzeiten (ON 82), und die Anträge der Mutter, dem Vater und ihr eine verpflichtende Elternberatung aufzutragen (ON 56), den Vater zur Inanspruchnahme von Erziehungsberatung zu verpflichten (ON 84), sowie dem Vater für den Fall, dass sein Kontaktwochenende durch einen Urlaub der Mutter entfällt, zusätzliche Nachmittagskontakte einzuräumen (ON 64).

Das Bezirksgericht Floridsdorf holte zur Frage, ob die Erweiterung des Kontaktrechts um einen wöchentlichen Kontakt im Interesse des Kindeswohls liege, das Gutachten einer Sachverständigen für klinische Psychologie ein.

Die Mutter beantragte die Übertragung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Feldkirch (ON 77). Sie habe einen Arbeitsplatz in Feldkirch mit passenden Arbeitszeiten angenommen und eine Wohnung in einem Ort im Sprengel des Bezirksgerichts Feldkirch angemietet, der über hochwertige und gut ausgestattete Kindergärten verfügt. Sie sei am 11. 11. 2019 dorthin gezogen und habe mit 18. 11. 2019 ihren Dienst in Feldkirch angetreten. Die Anreise zum Bezirksgericht Floridsdorf wäre für sie untunlich und für das Kind übermäßig anstrengend.

Der Vater erklärte sich mit der Übertragung der Zuständigkeit an das Bezirksgericht Feldkirch einverstanden.

Das Bezirksgericht Floridsdorf übertrug seine Zuständigkeit zur Besorgung der Pflegschaftssache mit rechtskräftigem Beschluss vom 5. 12. 2019 (ON 83) an das Bezirksgericht Feldkirch, weil sich das Kind jetzt ständig in dessen Sprengel aufhalte. Es sei daher zweckmäßiger, wenn dieses Gericht die Pflegschaftssache führe.

Das Bezirksgericht Feldkirch stellte dem Bezirksgericht Floridsdorf den Akt zur Entscheidung über die offenen Anträge zurück. Die Übertragung der Zuständigkeit sei unzweckmäßig und widerspreche im Hinblick auf das bereits vorliegende Gutachten dem Gebot einer effizienten Verfahrensführung und dem Unmittelbarkeitsgrundsatz. Ein gewöhnlicher Aufenthalt des Kindes liege noch nicht in ausreichend verfestigter Weise vor.

Das Bezirksgericht Floridsdorf legte den Akt dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung gemäß § 111 Abs 2 JN vor.

Rechtliche Beurteilung

Die Voraussetzungen für eine Übertragung der Zuständigkeit nach dieser Bestimmung liegen vor.

1.1 Gemäß § 111 Abs 1 JN kann das Pflegschaftsgericht seine Zuständigkeit einem anderen Gericht übertragen, wenn dies im Interesse des Minderjährigen oder sonstigen Pflegebefohlenen gelegen erscheint, insbesondere wenn dadurch die wirksame Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird.

1.2 Ausschlaggebendes Kriterium einer Zuständigkeitsübertragung nach § 111 Abs 1 JN ist stets das Kindeswohl (RS0047074). Dabei ist in der Regel das Naheverhältnis zwischen Kind und Gericht von wesentlicher Bedeutung; im Allgemeinen ist daher das Gericht am besten geeignet, in dessen Sprengel das Kind seinen Wohnsitz oder (gewöhnlichen) Aufenthalt hat (3 Nc 13/19w mwN).

1.3 Offene Anträge sind kein grundsätzliches Übertragungshindernis, sondern es hängt von den Umständen des einzelnen Falls ab, ob eine Entscheidung darüber durch das bisherige Gericht zweckmäßiger ist, etwa weil dieses zur Erledigung effizienter geeignet wäre (4 Nc 14/17x mzwH).

2.1 Richtig ist, dass sich das Bezirksgericht Floridsdorf im vorliegenden Fall bereits einen umfassenden persönlichen Eindruck von allen Beteiligten verschaffen konnte und ein Sachverständigengutachten zur Frage der Erweiterung des Kontaktrechts einholte. Allerdings kommt es nicht entscheidend darauf an, ob und wie lange sich das bisher zuständige Gericht um die Ermittlung von Sachverhaltsgrundlagen bemüht hat, sondern ausschließlich darauf, welches Gericht eher in der Lage ist, die aktuelle Lebenssituation aller Beteiligten zu erforschen (5 Nc 103/02w; 4 Nc 14/17x).

2.2 Im vorliegenden Fall ist nach den Angaben der Mutter von einem stabilen Aufenthalt des Kindes im Sprengel des Bezirksgerichts Feldkirch auszugehen. Gegenteilige Hinweise ergeben sich nicht aus dem Akt, der Vater hat sein Einverständnis zur Übertragung der Rechtssache erklärt. Die Übertragung der Rechtssache an dieses Bezirksgericht entspricht schon im Hinblick auf die große räumliche Distanz zum bisher zuständigen Bezirksgericht dem Kindeswohl.

2.3 Der Umstand, dass – lediglich zur Frage des Kontaktrechts – ein Sachverständigengutachten eingeholt wurde, hat nicht zur Folge, dass das Bezirksgericht Floridsdorf zur Erledigung der offenen Anträge, die über das Kontaktrecht hinausreichen, besser geeignet wäre. Die nunmehr gegebene räumliche Distanz führt gerade auch für die Entscheidung über die noch offenen Anträge zumindest zu einer Änderung der Rahmenbedingungen. Eine allfällige Ergänzung oder Erörterung des Gutachtens der Sachverständigen sowie die Wahrnehmung weiterer Gerichtstermine in Wien wären im konkreten Fall jedoch für die Mutter und vor allem das Kind belastend, weil die Mutter das gerade erst fünfjährige Kind weder in Vorarlberg noch in Wien einer vertrauten Person zur Betreuung überlassen könnte.

Im konkreten Einzelfall hat es daher – gerade auch im Hinblick auf das Einverständnis des Vaters für die Übertragung der Rechtssache an das Bezirksgericht Feldkirch – zur Wahrung des im Vordergrund stehenden Kindeswohls bei der allgemeinen Regel zu bleiben, dass das Naheverhältnis zwischen Pflegebefohlenem und Gericht von wesentlicher Bedeutung und daher das Gericht besser zur Führung des Verfahrens geeignet ist, in dessen Sprengel das Kind seinen Wohnsitz oder (gewöhnlichen) Aufenthalt hat (8 Nc 2/08y). Der Übertragungsbeschluss des Bezirksgerichts Floridsdorf ist daher zu genehmigen.

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