OGH 4Ob216/19x

OGH4Ob216/19x28.1.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.‑Prof. Dr. Brenn, Priv.‑Doz. Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj N* P*, geboren am *, vertreten durch Mag. Alexander Ertl, Rechtsanwalt in Perg, wohnhaft bei seiner Mutter S* P*, geboren am *, vertreten durch Mag. Thomas Hansa, Rechtsanwalt in Linz, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Rekursgericht vom 9. Oktober 2019, GZ 15 R 372/19k‑55, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Freistadt vom 16. Juli 2019, GZ 1 Ps 129/11g‑40, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E127691

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben; die Pflegschaftssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

 

Begründung:

Der 14‑jährige Minderjährige ist das zweite Kind der S* P* und des J* G*; er hat auch noch eine Halbschwester. Die Obsorge über den Minderjährigen steht der Mutter alleine zu, er wird in ihrem Haushalt betreut.

Beim Minderjährigen wurde ADHS diagnostiziert. Sein Pflege- und Betreuungszustand (Kleidung, Sauberkeit, Verpflegung) weist keine Probleme auf; sein Erscheinungsbild ist gepflegt und ordentlich. Es bestehen keine Hinweise auf Entwicklungsstörungen, aber psychosozial belastende Umstände, die sich in einer Verantwortungsübernahme des Minderjährigen für das Wohlergehen der Mutter äußern („Rollenumkehr“). In der Schule zeigt der Minderjährige Konzentrationsschwierigkeiten; die Lernziele werden durch einen Förderunterricht erreicht.

Die Mutter, die eine schwere Kindheit erlebte, hat neben leichten körperlichen Problemen eine psychische Erkrankung, die sich als Depression bzw Burnout zeigt. Aus diesem Grund nimmt sie seit neun Jahren Antidepressiva. Die teilweise hygienischen Mängel im Haushalt der Mutter, die durch zahlreiche Haustiere, vor allem Katzen, entstanden sind, haben sich verringert, weil die Mutter mehrere Tiere weggegeben hat; ihre Cousine unterstützt sie beim Putzen. Die Mutter ist um eine Verbesserung der Lebenssituation des Minderjährigen bemüht. Aus Sicht des Kinder- und Jugendhilfeträgers hat sich die Zusammenarbeit mit der Mutter im Jahr 2018 deutlich verschlechtert.

Am 17. Juli 2018 beantragte der Kinder- und Jugendhilfeträger, der Mutter die Obsorge im Bereich der Pflege und Erziehung zu entziehen und diese an ihn zu übertragen. Die Mutter nehme gegenüber dem Kinder- und Jugendhilfeträger eine Abwehrhaltung ein. Ihre Persönlichkeitsstruktur bedinge Trennungs- und Verlustängste des Minderjährigen, zumal dieser bereits einen Selbstmordversuch der Mutter mitbekommen habe. Die Verschlechterung der Situation ab 2018 zeige sich vor allem in einer „Rollenumkehr“, die zwischen der Mutter und dem Minderjährigen stattgefunden habe. Außerdem betreibe die Mutter eine Katzenzucht mit hygienischen Mängeln; eine Problemeinsicht sei bei ihr in dieser Hinsicht nicht vorhanden. Die sozialpädagogische Familienbetreuung werde von der Mutter vereitelt.

Die Mutter sprach sich gegen die beantragte Änderung der Obsorge aus. Eine Gefährdung des Kindeswohls liege nicht vor. Für das Wohl ihres Sohnes sei es notwendig und fördernd, dass er im Familienverband verbleibe. Der Antrag auf Entziehung der Obsorge sei nur deshalb eingebracht worden, weil sie das schulmeisterliche Auftreten diverser Personen nicht akzeptiere. Wenn überhaupt, sei eine qualifizierte ambulante Unterstützung vollkommen ausreichend.

Auch der Minderjährige sprach sich gegen den Antrag des Kinder- und Jugendhilfeträgers aus. Er möchte bei seiner Mutter leben und würde es nicht verstehen, wenn er von der Mutter weg müsse und in eine Betreuungseinrichtung komme.

Der Vater hat sich am Verfahren nicht beteiligt.

Das Erstgericht gab dem Entziehungsantrag statt. Anhand des Kriterienkatalogs des § 138 ABGB seien jene Punkte herauszuarbeiten, die für den Verbleib der Obsorge bei der Mutter sprächen. Diesen Punkten seien jene gegenüberzustellen, die eine Obsorgeübertragung nahelegten. Bei einer Abwägung dieser Gründe würden jene für eine Fremdunterbringung überwiegen, zumal nach dem Sachverständigengutachten eine Rollenumkehr im Mutter-Kind-Verhältnis vorliege.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung mit der Maßgabe, dass der Mutter die Obsorge im Bereich der Pflege und Erziehung samt gesetzlicher Vertretung in diesen Bereichen entzogen und an den Kinder- und Jugendhilfeträger übertragen werde. Die gerügten Verfahrensmängel lägen nicht vor. Die angebliche Befangenheit der gerichtlichen Sachverständigen sei verspätet geltend gemacht worden, weil die Mutter an der Erörterung des Sachverständigengutachtens teilgenommen habe. Auch die Rechtsrüge sei nicht berechtigt, weil die allgemeine und spezielle Erziehungsfähigkeit der Mutter nicht in ausreichendem Maß gegeben sei und sie eine reduzierte „Compliance“ für die weitere Inanspruchnahme von Unterstützungen aufweise. Alternative Betreuungsformen seien nicht ersichtlich. Der ordentliche Revisionsrekurs sei mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Minderjährigen, der auf eine Abweisung des Entziehungsantrags abzielt.

Mit seiner Revisionsrekursbeantwortung beantragt der Kinder- und Jugendhilfeträger, dem Revisionsrekurs den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Rekursgerichts zulässig, weil sich die Entscheidung über den Antrag des Kinder- und Jugendhilfeträgers auf Übertragung der Obsorge als noch nicht spruchreif erweist. Dementsprechend ist der Revisionsrekurs im Sinn des subsidiären Aufhebungsantrags berechtigt.

1. Der Minderjährige beschwert sich in seinem Revisionsrekurs darüber, dass die Entziehung der Obsorge nicht verhältnismäßig sei. Im Fall einer Fremdunterbringung habe er keine emotionale Ansprechperson; die Fürsorge, Geborgenheit und seelische Integrität sei bei einer Fremdunterbringung nicht in jenem Maß gegeben, wie dies bei der Mutter der Fall sei. Außerdem sei sein Wille bei der Obsorgeentscheidung zu berücksichtigen. Es liege auch eine relevante Sachverhaltsänderung vor, weil sich seine Tauf- und Firmpatin (Cousine der Mutter) zwischenzeitlich bereiterklärt habe, die Obsorge zu übernehmen. Darüber hinaus erblickt der Minderjährige Verfahrensmängel darin, dass die Entscheidung des Erstgerichts nicht überprüfbar sei, der Verfahrenshelfer für das Kind zu spät bestellt worden sei, ein Kinderbeistand nicht beigezogen worden sei und ihm nach Erreichen des 14. Lebensjahrs keine Gelegenheit gegeben worden sei, sich zum Sachverständigengutachten zu äußern. Schließlich sei die gerichtliche Sachverständige befangen; ihr Gutachten weise erhebliche Widersprüche auf.

2. Mit seinen der Rechtsrüge zuzuordnenden Ausführungen ist der Minderjährige im Ergebnis im Recht. Für die Entziehung der Obsorge und deren Übertragung an den Kinder- und Jugendhilfeträger reicht die bisher ermittelte Tatsachengrundlage nicht aus.

2.1 Nach § 181 Abs 1 ABGB kann das Gericht, wenn die Eltern durch ihr Verhalten das Kindeswohl gefährden, die Obsorge dem bisherigen Berechtigten ganz oder teilweise entziehen und an den Kinder- und Jugendhilfeträger übertragen (§ 211 ABGB) oder sonst zur Sicherung des Kindeswohls geeignete sichernde oder unterstützende Maßnahmen treffen. Bei der Anordnung von solchen Maßnahmen ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und der Familienautonomie zu berücksichtigen. Durch eine solche Verfügung darf das Gericht die Obsorge nur insoweit beschränken, als dies zur Sicherung des Wohls des Kindes erforderlich ist (RIS‑Justiz RS0048736). Eine Verfügung, mit der die Obsorge entzogen wird, kommt nur als ultima ratio in Betracht. Zuvor hat das Gericht alle anderen Möglichkeiten zu prüfen, die dem Kindeswohl gerecht werden können und eine Belassung des Kindes in der Familie ermöglichen. Nur dann, wenn bei einer im Interesse des Kindes gebotenen Beschränkung der Obsorge die jeweils gelindesten Mittel angewandt werden, wird der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt. Eine Gefährdung des Kindeswohls ist dann gegeben, wenn die Obsorgeberechtigten ihre Pflichten objektiv nicht erfüllen oder diese subjektiv gröblich vernachlässigen und durch ihr Verhalten schutzwürdige Interessen des Kindes wie die physische oder psychische Gesundheit, die altersgemäße Entwicklung und Entfaltungsmöglichkeit oder die soziale Integration oder die wirtschaftliche Sphäre des Kindes konkret gefährden (RS0048633; 4 Ob 83/18m; 4 Ob 144/19h).

2.2 Nach Maßgabe dieser Grundsätze erfordert eine Entscheidung über die Entziehung der Obsorge, die einen tiefgreifenden Einschnitt in die Eltern-Kind-Beziehung bedeutet, eine sorgfältig erhobene Tatsachengrundlage, aus der sich aufgrund des anzulegenden strengen Maßstabs (vgl RS0048699; RS0047841) mit der nötigen Sicherheit eine konkrete und aktuelle Gefahrenlage für das Kindeswohl ableiten lässt. Es müssen daher insbesondere zu den Fragen der Erziehungsfähigkeit der Eltern sowie des Gesundheitszustands, des intellektuellen und sozialen Entwicklungsstands, der emotionalen Bindungssituation und der besonderen (auch wirtschaftlichen) Betreuungssituation des Kindes und darüber hinaus zu aktuellen Konflikt- und Gefahrenpotenzialen in der Eltern-Kind-Beziehung konkrete Feststellungen getroffen werden, die eine verlässliche Beurteilung zur aktuellen und zur erwartbaren Kindeswohlgefährdung zulassen. Demgegenüber genügen nur pauschale Aussagen, wonach die Erziehungsfähigkeit eingeschränkt sei und gelindere Mittel nicht ausreichten, für die Entziehung der Obsorge nicht aus. Eine vom Erstgericht unzureichend erhobene Tatsachengrundlage kann auch nicht etwa vom Rekursgericht durch Auszüge aus einem kinderpsychologischen Sachverständigengutachten ergänzt werden. Darüber hinaus besteht auch an ein Sachverständigengutachten die Anforderung, dass die Problembereiche und Ursachen in der Eltern-Kind-Beziehung klar und nachvollziehbar dargelegt und die Schlussfolgerungen zur Betreuungssituation und den Betreuungsleistungen der Eltern verständlich begründet werden, sodass sie vom Entscheidungsorgan logisch nachvollzogen werden können.

2.3 Bei den vom Erstgericht übernommenen Aussagen der gerichtlichen Sachverständigen, wonach sich in der Gesamtheit eine Vielzahl an Schwierigkeiten in der Bindung zwischen dem Minderjährigen und seiner Mutter zeigten, es Defizite in der Qualität der Mutter-Kind-Bindung gäbe, nur eine geringe Verlässlichkeit der Mutter als Bindungsperson vorliege, die Mutter-Kind-Beziehung keinesfalls als stabil beurteilt werden könne, es die Mutter aktuell nicht schaffe, dem Minderjährigen einen für eine gesunde Entwicklung nötigen Rahmen zu bieten und bei der Mutter Umstände vorlägen, die ihre Erziehungsfähigkeit beschränkten, handelt es sich um zusammenfassende bzw pauschale Schlussfolgerungen, die nicht durch gesonderte Tatsachengrundlagen untermauert sind und keinen selbständigen Tatsachenkern enthalten. In ihrer Allgemeinheit stehen diese Aussagen mit den konkret ermittelten Tatsachengrundlagen nicht im Einklang, sodass sie in dieser Form nicht nachvollzogen werden können und unbeachtlich bleiben müssen.

2.4 Als Fazit bleibt, dass beim Minderjährigen psychosozial belastende Umstände dahin bestehen, dass er eine Verantwortungsübernahme für das Wohlergehen seiner Mutter zeigt („Rollenumkehr“), der Pflege- und Betreuungszustand aber keine Probleme aufweist und keine Hinweise auf eine Entwicklungsstörung bestehen und auch die Lernziele mit dem unterstützenden Förderunterricht erreicht werden. Bei der Mutter liegen ausreichende emotionale Elemente für die Erziehung (Zuneigung, körperliche Zuwendung, liebevoller Umgang, mütterliche Fürsorge) vor. Sie ist um die Verbesserung der Lebenssituation des Minderjährigen bemüht und hat auch auf die bestehenden hygienischen Mängel im Zusammenhang mit ihrer Katzenzucht reagiert. Sie zeigt aber Tendenzen zur Relativierung und Bagatellisierung von Problemen.

2.5 Für eine mangelnde oder in relevanter Weise eingeschränkte Erziehungsfähigkeit der Mutter sowie für eine aktuelle Gefahr für die persönliche oder soziale Entwicklung des Minderjährigen bieten die bisherigen Feststellungen keine ausreichende Grundlage. Eine konkrete Gefährdung der Interessen des Minderjährigen, die die Entziehung der Obsorge als ultima ratio unumgänglich machen würde, ohne dass unterstützende Maßnahmen zur Verbesserung der Situation als gelindere Mittel zu bedenken wären, lässt sich aus den Feststellungen nicht ableiten. Hinzu kommt, dass der 14‑jährige Minderjährige nach dem von ihm geäußerten Wunsch bei seiner Mutter bleiben will.

3. Wie bereits ausgeführt wurde, ist nach dem Verhältnismäßigkeitsgebot vor der endgültigen Entziehung der Obsorge von geeigneten gelinderen Mitteln Gebrauch zu machen. Der Gesetzgeber sieht dafür unterschiedliche unterstützende oder sichernde Maßnahmen vor, die sich mit einer Beschränkung der Obsorge begnügen.

3.1 In dieser Hinsicht stehen dem Gericht zunächst (schon zur Sicherung des Kindeswohls, aber auch bei einer Kindeswohlgefährdung als gelindere Mittel zur Vermeidung einer Entziehungsmaßnahme) – im Zusammenhang mit einem Obsorge- und Kontaktrechtsverfahren (RS0131142) – unterstützende Maßnahmen nach § 107 Abs 3 AußStrG, wie der verpflichtende Besuch einer Familien-, Eltern- oder Erziehungsberatung (Z 1), die Teilnahme an einem Erstgespräch über Mediation oder über ein Schlichtungsverfahren (Z 2) oder die Teilnahme an einer Beratung oder Schulung zum Umgang mit Gewalt und Aggression (Z 3), zur Verfügung.

Die Aufzählung dieser unterstützenden Maßnahmen ist zwar demonstrativ. Es entspricht aber der Rechtsprechung, dass andere geeignete Maßnahmen sowohl nach ihrer Art und in ihrem Umfang, aber auch in ihrer Qualität den gesetzlich angeordneten Maßnahmen gleichwertig sein müssen. Die gesetzlichen Maßnahmen betreffen demnach solche, die im weiteren Sinn der Beratung bzw Schulung, der Streitschlichtung oder der Verhinderung einer unzulässigen Verbringung des Kindes in das Ausland dienen sollen (4 Ob 83/18m; 4 Ob 201/19s).

3.2 Darüber hinaus ermöglicht § 181 Abs 1 ABGB im Fall einer Kindeswohlgefährdung (als gelindere Mittel) weitergehende Anordnungen. So kann das Gericht den Eltern etwa den Auftrag erteilen, mit dem Kind ärztliche Termine wahrzunehmen bzw mit ihm bestimmte Untersuchungen oder Therapien zu absolvieren oder mit dem Kinder- und Jugendhilfeträger in einer bestimmten Art und Weise in Kontakt zu bleiben (4 Ob 201/19s mwN).

3.3 Reichen die geschilderten unterstützenden oder sichernden Maßnahmen nicht aus, so können dem Obsorgeberechtigten bei einer Kindeswohlgefährdung als Beschränkung der Obsorge auch nur einzelne Rechte entzogen werden; dies gilt etwa für notwendige Einwilligungs- und Zustimmungsrechte des Obsorgeberechtigten. Solche Maßnahmen können auch vorübergehend getroffen werden (4 Ob 83/18m mwN).

4. Ausgehend von diesen Grundsätzen folgt im Ergebnis, dass die endgültige Entziehung der Obsorge und Übertragung an den Kinder- und Jugendhilfeträger auf Basis der getroffenen Feststellungen nicht gerechtfertigt ist. Die Entscheidungen der Vorinstanzen müssen demnach – in Stattgebung des Revisionsrekurses des Minderjährigen – aufgehoben werden.

Im fortgesetzten Verfahren ist zunächst zu prüfen, ob zur Sicherung des Kindeswohls beratende Maßnahmen im Sinn des § 107 Abs 3 AußStrG in Betracht kommen. Sollten sich derartige Maßnahmen als sinnvoll und ausreichend erweisen, so wäre die Betreuungssituation des Minderjährigen nach Ablauf einer angemessenen Zeit zu überprüfen. In diesem Fall wäre erst nach einer solchen „Prüfphase“ über den Antrag auf Entziehung der Obsorge endgültig zu entscheiden (4 Ob 83/18m).

Sollten Maßnahmen nach § 107 Abs 3 AußStrG nicht ausreichend erscheinen, so wären die Feststellungen zur Kindeswohlgefährdung nach den hier dargelegten Kriterien zu ergänzen und zu verdeutlichen. Bei Annahme einer Kindeswohlgefährdung wäre vorrangig zu prüfen, ob anstelle der Entziehung der Obsorge unterstützende Maßnahmen im Sinn des § 181 Abs 1 ABGB oder allenfalls eine vorübergehende Entziehung nur einzelner Rechte des obsorgeberechtigten Elternteils zur Beseitigung der Kindeswohlgefährdung genügen. In dieser Hinsicht wären im Anlassfall vor allem folgende Maßnahmen zu erwägen:

‑ sozialpädagogische Familienbetreuung zur Entwicklung einer kindgerechten Mutter-Kind-Beziehung durch eine neutrale (von der Mutter nicht bereits abgelehnte) Betreuungseinrichtung,

‑ kinderpsychologische Betreuung des Minderjährigen im Zusammenhang mit der „Rollenumkehr“,

‑ schulpädagogische Betreuung des Minderjährigen in schulischen Belangen und/oder

‑ Anordnungen zur Verbesserung der hygienischen Verhältnisse insbesondere im Zusammenhang mit der Tierhaltung durch die Mutter.

5. Da die Entscheidungen der Vorinstanzen schon aus den dargelegten rechtlichen Erwägungen aufzuheben waren, erübrigt sich ein gesondertes Eingehen auf die übrigen Ausführungen im Rechtsmittel des Minderjährigen.

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