European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E127573
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin war von 1. 1. 2004 bis 31. 12. 2017 Mieterin dreier Büros und dreier Lager in einem Objekt in Wien. Infolge eines Sacheinlagevertrags gingen auf Vermieterseite die Bestandverhältnisse im November 2009 auf die erstbeklagte offene Gesellschaft über. Zweit- und Drittbeklagte sind Gesellschafter der Erstbeklagten. Die Nebenintervenientin verwaltet die Liegenschaft seit August 2013. Nach Beendigung des Mietverhältnisses übermittelte die Nebenintervenientin der Klägerin ein mit „Kautionsrechner“ überschriebenes Berechnungsblatt, in dem vom Beginn des Mietverhältnisses bis Ende Februar 2018 für jeweils bestimmte Zeiträume der Zinssatz, mit dem die von der Klägerin gestellte Kaution angeblich verzinst worden sei, angeführt ist. Dieses Berechnungsblatt gibt die tatsächliche Veranlagung nicht wieder.
Die Klägerin begehrte Rechnungslegung über die am 2. 3. 2004 überwiesene Kaution in Höhe von 45.224,28 EUR für den Zeitraum vom 3. 3. 2004 bis 2. 3. 2018. Nach Beendigung des Mietverhältnisses sei ein Betrag von 46.325,65 EUR an Kaution überwiesen worden, die überwiesenen Zinsen seien als zu niedrig einzustufen. Die Erstbeklagte habe keine Auskunft über die tatsächliche Veranlagung gegeben, sondern lediglich eine Onlineberechnung unter Zuhilfenahme eines allgemein verfügbaren Berechnungsprogramms erstellt und der Klägerin übermittelt. Diese Berechnung habe weder dem jeweiligen Zinsniveau entsprochen, noch Auskunft über die tatsächliche Veranlagung gegeben.
Die beklagten Parteien wendeten ein, sie hätten ihrer Informationspflicht über die erfolgte Veranlagung ausreichend entsprochen. Für den Zeitraum vor ihrer Stellung als Vermieterin sei die Erstbeklagte nicht passiv legitimiert. Es sei ihr nicht möglich, für den Zeitraum davor Rechnung zu legen.
Die Nebenintervenientin brachte vor, der Informationspflicht nach § 16b Abs 1 MRG sei entsprochen worden.
Das Erstgericht stellte zunächst mit Beschluss vom 24. 10. 2018 rechtskräftig fest, dass über das Klagebegehren im streitigen Rechtsweg zu verhandeln und zu entscheiden sei. Mit Urteil gab es dem Klagebegehren statt. Es traf die wiedergegebenen Feststellungen und führte rechtlich aus, schon vor Inkrafttreten des § 16b MRG sei allgemein eine vertragliche Nebenpflicht des Vermieters angenommen worden, über die Veranlagung des Kautionsbetrags Rechnung zu legen. Dies ergebe sich aus dem auftragsrechtlichen Charakter der Veranlagungspflicht, der Vermieter sei als Auftragnehmer über die Veranlagung gemäß § 1012 ABGB rechnungslegungspflichtig. Diese Pflicht trete neben die Informationspflichten nach § 16b Abs 1 Satz 2 MRG. Einer Kautionsabrechnung müsse der für die Veranlagung lukrierte Zinssatz samt angefallenen Zinsen, Kapitalertragssteuer und Spesen zu entnehmen sein. Die der Klägerin von der Erstbeklagten übermittelte Abrechnung entspreche diesen Kriterien nicht. Die Beklagten seien auch für den Zeitraum vor der Einzelrechtsnachfolge passiv klagslegitimiert, weil der Mietvertrag auf den Vermieter mit sämtlichen Rechten und Pflichten gemäß § 1120 ABGB bzw § 2 Abs 1 Satz 5 MRG übergegangen sei.
Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichts. Es führte in rechtlicher Hinsicht aus, § 16b MRG sei mit 1. 4. 2009 in Kraft getreten und gemäß § 49f Abs 2 MRG auch auf Mietverträge anzuwenden, die vor dem 1. 4. 2009 abgeschlossen worden seien. § 16b Abs 1 Satz 2 MRG normiere eine Informationspflicht des Vermieters über die fruchtbringende Anlage der Kaution. Die vom Vermieter auf Verlangen zu erteilende Auskunft müsse präzise und konkretisiert sein und jedenfalls Angaben über das Kreditinstitut, die Art der Veranlagung, Datum der Veranlagung und Nummer der Spareinlage oder des Kontos enthalten, weil der Mieter nur an Hand dieser Auskünfte im Fall einer Vermieterinsolvenz von seinem Absonderungsrecht Gebrauch machen könne. Komme es aufgrund eines Vermieter- oder Verwalterwechsels zu einer Änderung der ursprünglichen Veranlagung, sei der Mieter auch darüber zu informieren. Über diese Informationspflicht hinaus treffe den Vermieter aber auch die vertragliche Nebenpflicht, jederzeit über Verlangen des Mieters über die fruchtbringende Anlage der Kaution Rechnung zu legen und Auskunft über den Stand des Kautionskontos zu geben. Die Veranlagungspflicht habe auftragsrechtlichen Charakter, weshalb der Vermieter als Auftragnehmer im Sinn des § 1012 ABGB über Verlangen rechnungslegungspflichtig sei. § 16b MRG regle daher die dem Vermieter aus der Veranlagung einer übergebenen Kaution resultierenden Pflichten nicht abschließend. Mit der der Klägerin übermittelten fiktiven Veranlagung („Kautionsrechner“) habe die Erstbeklagte weder der Informationspflicht des § 16b Abs 1 Satz 2 MRG, noch der aus § 1012 ABGB abgeleiteten Rechnungslegungsverpflichtung entsprochen. Da 2013 ein Verwalterwechsel stattgefunden habe, müsse der „Kautionsrechner“ fiktiv sein, weil diese Urkunde unrichtigerweise davon ausgehe, dass die Kaution bereits 2004 auf das Konto der Nebenintervenientin eingezahlt worden sei. Gemäß § 16b Abs 2 MRG habe der Vermieter dem Mieter nach Ende des Mietverhältnisses die Kaution samt den aus ihrer Veranlagung erzielten Zinsen unverzüglich zurückzustellen, soweit sie nicht zur Tilgung berechtigter Forderungen des Vermieters herangezogen werde. Aus diesem Gesetzeswortlaut ergebe sich klar, dass dem Mieter die erzielten Zinsen, nicht aber bloß branchenüblich erzielbare Zinsen herauszugeben seien. Daraus lasse sich zwanglos ableiten, dass die tatsächliche Veranlagung offenzulegen sei, nicht aber eine bloß fiktive Veranlagung zur Feststellung üblicher Zinsen.
Das Berufungsgericht ließ nachträglich gemäß § 508 Abs 3 ZPO die Revision zu, weil zu Bestehen, Inhalt und Umfang eines Rechnungslegungsanspruchs des Mieters gemäß § 16b MRG keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege. Die einzige zum Bestehen und Inhalt eines Rechnungslegungsanspruchs im Zusammenhang mit einer Kaution ergangene Entscheidung (5 Ob 88/85) sei vor Einführung des § 16b MRG gefällt worden. Überdies sei auch die Annahme einer subsidiären Anwendbarkeit des § 1012 ABGB nicht durch oberstgerichtliche Judikatur gedeckt.
Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinn der Klageabweisung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Revisionsbeantwortung der Klägerin wurde vom Berufungsgericht rechtskräftig als verspätet zurückgewiesen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.
Die Revisionswerberin macht geltend, mit § 16b MRG habe der Gesetzgeber die die Kaution betreffenden Informationspflichten des Vermieters gegenüber dem Mieter abschließend geregelt, weshalb keine Gesetzeslücke bestehe und auch § 1012 ABGB nicht subsidiär anwendbar sei. Da § 16b MRG keine Rechnungslegungspflicht des Vermieters gegenüber dem Mieter betreffend die Veranlagung der Kaution vorsehe, sei das Klagebegehren abzuweisen.
Hierzu wurde erwogen:
1. Der erkennende Senat hält die Begründung des angefochtenen Urteils für zutreffend und verweist die Revisionswerberin darauf (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO).
Die Ausführungen des Berufungsgerichts werden folgendermaßen ergänzt:
2.1. Rechtsprechung
In der Entscheidung 5 Ob 88/85 (= JBl 1987, 248 = MietSlg 38/55; RS0011283) gab der Oberste Gerichtshof bei aufrechtem Mietverhältnis zwischen den Streitteilen der Klage der Mieter gegen den Vermieter ua insoweit statt, als betreffend die Verzinsung der Kaution ausgesprochen wurde, die beklagte Partei sei verpflichtet, den klagenden Parteien jährlich bis 30. Juni eines jeden Jahres über die Höhe des das vorangegangene Kalenderjahr betreffenden Zinsenbetrags Abrechnung zu geben. Wegen der Möglichkeit des Eintritts von Schwankungen im Zinssatz müsse angenommen werden, dass die Parteien unter den gegebenen Verhältnissen auch die Pflicht des Kautionsempfängers vereinbart hätten, dem Kautionsgeber jährlich über die Höhe des im abgelaufenen Kalenderjahr gewährten Zinsenbetrags Abrechnung zu geben, um Klarheit über die Höhe des jeweiligen Rückforderungsanspruchs des Kautionsgebers zu schaffen.
2.2. Lehre
In der Lehre wird sowohl zur Rechtslage vor Einführung des § 16b MRG durch die Wohnrechtsnovelle 2009 (WRN 2009, BGBl I 2009/25) als auch zur Rechtslage danach – soweit zu sehen – einhellig die Ansicht vertreten, dem Mieter stehe gegenüber dem Vermieter jederzeit das Recht auf Rechnungslegung über die fruchtbringende Anlage der Kaution und über die gezogenen Zinsen zu (G. Graf, Die Pflicht des Vermieters zur Veranlagung und Verzinsung der Barkaution, wobl 1990, 88 [92, 94]; O. Riss in Hausmann/Vonkilch³ [2013] § 16b MRG Rz 45; Schinnagl in GeKo Wohnrecht I § 16b MRG [Stand 1. 10. 2017] Rz 35). Graf begründet dies mit der (zumindest analogen) Anwendbarkeit des § 1012 ABGB und hält einen Verzicht des Mieters auf die Rechnungslegung als Leistung gemäß § 27 Abs 1 MRG ohne entsprechende Gegenleistung sogar für unzulässig (FN 32). Auch Riss hält § 1012 ABGB „zwanglos“ für anwendbar und bejaht diese Pflicht auch außerhalb des Anwendungsbereichs des § 16b MRG.
2.3. Wohnrechtsnovelle 2009
Mit der Wohnrechtsnovelle 2009 (WRN 2009, BGBl I 2009/25) wurde die mit „Kaution“ überschriebene Bestimmung des § 16b MRG eingeführt. Dessen Absatz 1 Satz 2 lautet:
„Wenn die Kaution dem Vermieter nicht ohnehin bereits in Gestalt eines Sparbuchs, sondern als Geldbetrag übergeben wird, hat sie der Vermieter auf einem Sparbuch fruchtbringend zu veranlagen und den Mieter darüber auf Verlangen schriftlich zu informieren.“
Sonstige Informations- oder Rechnungslegungspflichten sieht § 16b MRG nicht vor.
Gemäß § 49f Abs 2 MRG idF der WRN 2009 ist die Novelle und somit auch § 16b MRG auch auf Mietverträge anzuwenden, die vor dem Inkrafttreten der Novelle (1. 4. 2009) abgeschlossen wurden, somit auch im vorliegenden Fall.
Nach den Materialien zur WRN 2009 sollte mit § 16b MRG erstmals „ein gesetzlicher Rahmen für das in der Praxis überaus wichtige Phänomen der Kaution“ geschaffen werden (IA 513/A 24. GP 4). Insbesondere sollte der Mieter im Fall der Insolvenz des Vermieters durch ein Absonderungsrecht hinsichtlich der Kaution geschützt werden (§ 16b Abs 3 MRG; IA 513/A 24. GP 5).
Die Bestimmung des § 16b MRG normiert im Zusammenhang mit der Kaution keinerlei Pflichten des Mieters, sondern nur solche des Vermieters. Weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus der aus den Materialien ersichtlichen Absicht des Gesetzgebers der WRN 2009 kann abgeleitet werden, dass schon bisher dem Mieter zustehende Rechte im Zusammenhang mit der Kaution wie etwa hier das Recht auf Rechnungslegung in irgendeiner Weise beschränkt oder beschnitten werden sollten. Eine solche Absicht kann schon deshalb ausgeschlossen werden, weil der Gesetzgeber des MRG generell von der Schutzbedürftigkeit des Mieters ausgeht (vgl nur Würth/Zingher/Kovanyi, Miet- und Wohnrecht I23 [2015] Vor § 1 Rz 7 mwN). Die von der Revisionswerberin vertretene Meinung, § 16b MRG regle alle Informationspflichten des Vermieters gegenüber dem Mieter im Zusammenhang mit der Kaution abschließend, ist daher unzutreffend. Es besteht kein Grund, nach Einführung von § 16b MRG von der unter 2.1. und 2.2. dargestellten Rechtsprechung und einhelligen Lehre abzugehen.
3. Ergebnis
Dem Mieter steht sowohl jederzeit während des Mietverhältnisses als auch nach dessen Beendigung gegenüber dem Vermieter das Recht auf Rechnungslegung über die fruchtbringende Anlage der Kaution und über die gezogenen Zinsen zu.
Die Entscheidung des Berufungsgerichts steht damit im Einklang, weshalb der Revision nicht Folge zu geben war.
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