OGH 3Ob4/20i

OGH3Ob4/20i22.1.2020

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat Dr. Roch als Vorsitzenden sowie den Hofrat Priv.‑Doz. Dr. Rassi, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen 1. I*, geboren am * 2002, 2. I*, geboren am * 2005, *, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter E*, vertreten durch Dr. Michael Stögerer, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 27. März 2019, GZ 43 R 79/19i‑53, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Meidling vom 3. Dezember 2018, GZ 2 Ps 98/16w‑46, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E127333

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs vom 30. Dezember 2019 wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

Mit Beschluss vom 13. Mai 2018 wies das Erstgericht den Antrag der Mutter auf Übertragung der alleinigen Obsorge für die beiden Minderjährigen ab. Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Mutter mit Beschluss vom 9. August 2018 nicht Folge, und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zu.

Gegen die Rekursentscheidung erhob die Mutter einen – nicht anwaltlich unterfertigten – „Einspruch“ (ON 44; richtig: außerordentlichen Revisionsrekurs), den ihr das Erstgericht mit Beschluss vom 9. Oktober 2018 zur Verbesserung binnen 14 Tagen durch Unterfertigung durch einen Rechtsanwalt zurückstellte.

Mangels Verbesserung wies das Erstgericht mit Beschluss vom 3. Dezember 2018 den außerordentlichen Revisionsrekurs ON 44 gemäß § 67 AußStrG zurück.

Die Mutter erhob dagegen einerseits „Einspruch“ (richtig: Rekurs) und beantragte andererseits die Bewilligung der Verfahrenshilfe im Umfang des § 64 Abs 1 Z 1, 2 und 3 ZPO zur weiteren Führung des Verfahrens.

Das Rekursgericht gab dem – ihm vom Erstgericht vor Entscheidung über den Verfahrenshilfeantrag vorgelegten – Rekurs mit Beschluss vom 27. März 2019 (ON 53) nicht Folge und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zu.

In der Folge wies das Erstgericht den Verfahrenshilfeantrag der Mutter mit Beschluss vom 15. April 2019 ab. Die Beigebung eines Rechtsanwalts im Rahmen der Verfahrenshilfe sei nicht erforderlich, zumal keine absolute Anwaltspflicht bestehe. Dieser Beschluss wurde der Mutter gemeinsam mit der Rekursentscheidung ON 53 zugestellt.

Die Mutter erhob in der Folge (in einem einzigen Schriftsatz) „Einspruch“ sowohl gegen die Rekursentscheidung ON 53 als auch gegen die Abweisung ihres Verfahrenshilfeantrags (ON 56).

Das Erstgericht trug der Mutter daraufhin mit Beschluss vom 3. Mai 2019 die Verbesserung dieses Rechtsmittels durch Unterfertigung durch einen Rechtsanwalt binnen 14 Tagen auf. Die Mutter erhob auch gegen den Verbesserungsauftrag „Einspruch“ (ON 60).

Mit Beschluss vom 21. Juni 2019 (ON 61) wies das Erstgericht – noch vor Vorlage des Rekurses an das Rekursgericht, das diesen in der Folge als unzulässig zurückwies – den als außerordentlicher Revisionsrekurs zu wertenden Einspruch der Mutter ON 56 gegen die Rekursentscheidung ON 53 mangels Verbesserung gemäß § 67 AußStrG zurück. Dieser Beschluss wurde der Mutter am 1. Juli 2019 zugestellt und ist unbekämpft in Rechtskraft erwachsen.

Dessen ungeachtet gab das Rekursgericht dem Rekurs der Mutter gegen die Abweisung ihres Verfahrenshilfeantrags ON 56 mit Beschluss vom 22. Oktober 2019 dahin teilweise Folge, dass es den angefochtenen Beschluss im Umfang der Abweisung des Verfahrenshilfeantrags nach § 64 Abs 1 Z 3 ZPO aufhob und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung darüber auftrug, weil die Mutter erkennbar einen außerordentlichen Revisionsrekurs gegen die Rekursentscheidung ON 53 erheben wolle und insoweit absolute Anwaltspflicht bestehe. Gleichzeitig wurde der Rekurs ON 60 zurückgewiesen.

Das Erstgericht bewilligte der Mutter daraufhin– nach auftragsgemäßer Verbesserung des Vermögensbekenntnisses – mit Beschluss vom 2. Dezember 2019 die Verfahrenshilfe im Umfang des § 64 Abs 1 Z 3 ZPO durch Beigebung eines Rechtsanwalts für die Einbringung eines außerordentlichen Revisionsrekurses gegen den Beschluss des Rekursgerichts ON 53 und das weitere Verfahren. Der der Mutter von der Rechtsanwaltskammer beigegebene Verfahrenshelfer brachte am 30. Dezember 2019 (innerhalb von 14 Tagen nach Zustellung des Bestellungsbescheids an ihn) einen (zweiten) außerordentlichen Revisionsrekurs gegen die Rekursentscheidung ON 53 ein (ON 73), den das Erstgericht dem Obersten Gerichtshof vorlegte.

Rechtliche Beurteilung

Dieses (zweite) Rechtsmittel ist unzulässig und daher zurückzuweisen:

1. Gemäß § 7 Abs 1 AußStrG sind die Bestimmungen der ZPO über die Verfahrenshilfe sinngemäß anzuwenden. Beantragt eine Partei innerhalb einer verfahrensrechtlichen Notfrist oder einer für eine solche eingeräumten Verbesserungsfrist die Beigebung eines Rechtsanwalts im Wege der Verfahrenshilfe, so beginnt für sie gemäß § 7 Abs 2 AußStrG die Frist mit der Zustellung des Bescheids über die Bestellung des Rechtsanwalts und, wenn ein Schriftstück fristauslösend war, mit Zustellung auch dieses an den bestellten Rechtsanwalt neu zu laufen; der Bescheid ist durch das Gericht zuzustellen. Wird der rechtzeitig gestellte Antrag auf Beigebung eines Rechtsanwalts abgewiesen, so beginnt die Frist mit dem Eintritt der Rechtskraft des abweisenden Beschlusses.

2. Die Mutter hat zwar innerhalb der 14‑tägigen Frist zur Erhebung eines außerordentlichen Revisionsrekurses gegen die Rekursentscheidung ON 53 keinen (weiteren) Verfahrenshilfeantrag gestellt. Allerdings tritt die Unterbrechungswirkung nach ständiger Rechtsprechung auch dann ein, wenn über einen schon zuvor im Verfahren erster Instanz gestellten Verfahrenshilfeantrag erst nach der Sachentscheidung erster Instanz entschieden wird. In einem solchen Fall beginnt die Rechtsmittelfrist für die Sachentscheidung daher erst mit Eintritt der Rechtskraft der abweisenden Entscheidung über den Verfahrenshilfeantrag zu laufen (RIS‑Justiz RS0111923 [T6, T9]; RS0120072).

3. Daraus folgt, dass die Frist zur Erhebung des außerordentlichen Revisionsrekurses an sich erst mit Zustellung des Bestellungsbescheids an den Verfahrenshelfer (neu) zu laufen begonnen hätte (§ 7 Abs 2 AußStrG). Im vorliegenden Fall ist allerdings zu beachten, dass der (erste, anwaltlich nicht unterfertigte) außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter vom Erstgericht mit Beschluss ON 61 rechtskräftig zurückgewiesen wurde. Die damit eingetretene Rechtskraft der angefochtenen Rekursentscheidung ON 53 macht den nunmehr vorgelegten (zweiten) außerordentlichen Revisionsrekurs unzulässig. Die Bewilligung der Verfahrenshilfe vermag nämlich die bereits eingetretene Rechtskraft einer Entscheidung nicht zu beseitigen (9 Ob 8/17t; 3 Ob 50/15x; RS0036251 [T13]: RS0036235).

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