European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0040OB00140.19W.1219.000
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Teilurteil wird in den Spruchpunkten I.1. und 2. dahin abgeändert, dass es insofern wie folgt zu lauten hat:
„1. Die Beklagte ist schuldig, der Klägerin binnen 14 Tagen 184.783,75 EUR zu zahlen.
2. Das Mehrbegehren von 53.338,58 EUR wird abgewiesen.“
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Entscheidungsgründe:
Im gegenständlichen Arzthaftungsprozess wurden die Ansprüche der Klägerin bereits dem Grunde nach rechtskräftig als zu Recht bestehend festgestellt.
Im fortgesetzten Verfahren über die Höhe des Anspruchs verpflichtete das Erstgericht die Beklagte zur Zahlung von 243.923,59 EUR und behielt die Kostenentscheidung und die Entscheidung über das Zinsenbegehren der Endentscheidung vor.
Das Berufungsgericht reduzierte den Zuspruch mittels Teilurteils und hob das erstgerichtliche Urteil hinsichtlich eines Teilbetrags auf. Die Revision gegen das Teilurteil erklärte es für nicht zulässig.
Die Beklagte macht in ihrer außerordentlichen Revision geltend, das Berufungsgericht habe einen Pflegeaufwand von 4.125 EUR zu viel zugesprochen, weil es – entgegen den unbekämpften Feststellungen des Erstgerichts – irrtümlich angenommen habe, dass in den ermittelten 104 Stunden Pflegeaufwand der Aufwand für die Durchführung der Irrigation von 25 Stunden nicht enthalten sei. Sie beantragt daher, das Berufungsurteil dahin abzuändern, dass der Klägerin ein um 4.125 EUR geringerer Betrag zuerkannt werde.
Die Beklagte beantragt in der ihr vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen bzw ihr keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig und berechtigt.
1. Die Auslegung der Urteilsfeststellungen im Einzelfall ist zwar regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage; wenn aber die Auslegung der erstrichterlichen Feststellungen durch die zweite Instanz eine unvertretbare Fehlbeurteilung darstellt, ist die Anrufung des Obersten Gerichtshofs zur Korrektur zulässig (RS0118891 [T5]).
2.1. Das Erstgericht stellte auszugsweise fest:
Die Klägerin wird seit (…) 21. 8. 2009 (…) fast rund um die Uhr betreut und gepflegt, zumindest in einem notwendigen Ausmaß von monatlich 114 Stunden einschließlich der Zeit für Reinigung bei Inkontinenz im Zeitraum August 2009 bis März 2015. Darin sind auch 25 Stunden pro Monat für die Irrigation enthalten (…). Seit März fallen daher die zusätzlichen Stunden pro Monat für die Reinigung bei Inkontinenz weg, sodass monatlich 104 Stunden anzusetzen sind.
Tatsächlich nimmt die Irrigation jeden 2. Tag durchschnittlich 3 Stunden in Anspruch, monatlich daher 20 Stunden zusätzlich. (…)
2.2. Das Berufungsgericht hingegen führte aus, dass die Klägerin in ihrem Begehren für den Zeitraum ab März 2015 von einem Aufwand von 144 Stunden ausgehe, davon 25 Stunden für die Irrigation. Auch die Beklagte beziffere den Aufwand für Irrigation mit 25 Stunden, es sei daher unstrittig, dass der Aufwand für die Irrigation 25 Stunden betrage. Es stehe außerdem unbekämpft fest, dass seit März 2015 der Aufwand von 10 Stunden monatlich für die Reinigung wegen Inkontinenz wegfiel, sodass ab diesem Zeitpunkt – noch ohne Berücksichtigung der Irrigation – monatlich 104 Stunden anzusetzen seien. Schon aus den unbekämpften Feststellungen in Zusammenhalt mit dem übereinstimmenden Parteienvorbringen ergebe sich daher ein Aufwand ab März 2015 von 104 Stunden monatlich á 15 EUR (1.560 EUR) und 25 Stunden monatlich á 30 EUR (Irrigation; 750 EUR); in Summe daher 2.310 EUR.
2.3. Das Berufungsgericht erkannte somit ab März 2015 Pflegekosten für insgesamt 129 Stunden/Monat zu, weil es neben den 104 Stunden/Monat (unbekämpft festgestellter Pflegebedarf) weitere 25 Stunden für die Irrigation (unstrittig) berücksichtigte.
3.1. Die Revision releviert nun, dass die 25 Stunden für die Irrigation nach den erstgerichtlichen Feststellungen bereits in den 104 Stunden enthalten und nicht zusätzlich zu berücksichtigen seien. Das Berufungsgericht habe der Klägerin somit an Pflegekosten für den Zeitraum 3/2015 bis 1/2016 (11 Monate abzüglich einen Monat Spitalsaufenthalt) 25 Stunden x 15 EUR x 10 Monate zuzüglich 10 % für Freizeitausgleich, sohin insgesamt 4.125 EUR zu viel zuerkannt.
3.2. Bei der oben dargestellten Ausführung, wonach 104 Stunden „noch ohne Berücksichtigung der Irrigation“ anzusetzen seien, handelt es sich um eine Fehlinterpretation der Feststellungen des Erstgerichts und damit um einen Rechenfehler, der von der Revisionswerberin ua als unrichtige rechtliche Beurteilung angegriffen wird. Das Berufungsgericht übersah nämlich, dass die unbekämpfte Feststellung richtigerweise nicht nur lautet, der Pflegebedarf habe (im relevanten Zeitraum) 104 Stunden betragen, sondern es steht ebenso unbekämpft fest, dass sich dieser Wert wie folgt berechnet:
Gesamtbedarf vor März 2015 = 114 Stunden, inklusive 25 Stunden Irrigation abzüglich Inkontinenzreinigung = Gesamtbedarf ab März 2015 104 Stunden.
3.3. Daraus folgt mathematisch zwingend, dass auch der Gesamtbedarf ab März 2015 von 104 Stunden bereits 25 Stunden für Irrigation beinhaltet und der weggefallene Aufwand für Inkontinenzreinigung 10 Stunden betragen hatte. Dies entspricht im Übrigen den Ergebnissen des unfallchirurgischen SV‑Gutachtens Dris. Knotzer (S 19 in ON 108), wo die 104 Stunden aufgeschlüsselt werden und auch 25 Stunden für die Irrigation enthalten sind.
4.1. Der Oberste Gerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass ua Rechenfehler eine unrichtige rechtliche Beurteilung bedeuten (RS0043706).
4.2. Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht aufgrund einer fehlerhaften Berechnung des Pflegebedarfs einen Betrag von 4.125 EUR zu viel zugesprochen. Der Revision ist daher Folge zu geben und der Zuspruch um den genannten Betrag zu kürzen.
5. Der Kostenvorbehalt gründet auf § 52 Abs 3 ZPO.
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