OGH 8Ob81/19y

OGH8Ob81/19y16.12.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Insolvenzsache der Schuldnerin I***** K*****, vertreten durch Dr. Christoph Naske, Rechtsanwalt in Wien, Insolvenzverwalterin Dr. Ulla Reisch, Rechtsanwältin in Wien, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Schuldnerin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 15. Mai 2019, GZ 46 R 65/19b‑80, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Floridsdorf vom 22. Jänner 2019, GZ 31 S 143/16f‑76, ersatzlos behoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0080OB00081.19Y.1216.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluss des Rekursgerichts wird dahin abgeändert, dass der zweite Satz seines Spruchs ersatzlos aufgehoben wird.

 

Begründung:

Über das Vermögen der Schuldnerin wurde am 11. 7. 2016 das Schuldenregulierungsverfahren eröffnet. Die Schuldnerin teilte in ihrem Eröffnungsantrag mit, dass sie Eigentümerin einer kontaminierten Liegenschaft sei. Diese sei wegen Unverwertbarkeit bereits in einem früheren Insolvenzverfahren der Schuldnerin zu 36 S 48/10s des Landesgerichts Korneuburg nach § 119 Abs 5 IO ausgeschieden worden.

Die Liegenschaft ist mit Pfandrechten in den Verkehrswert weit übersteigendem Ausmaß belastet. Darüber hinaus wurde eine Kontaminierung des Bodens festgestellt, deren Entsorgungskosten voraussichtlich den Verkehrswert übersteigen würden.

Das Erstgericht bestellte eine Rechtsanwältin zur Insolvenzverwalterin mit dem beschränkten Geschäftskreis (§ 190 Abs 2 IO) der Verwaltung und allfälligen Verwertung der Liegenschaft sowie zur Prüfung allfälliger Ansprüche gegen deren früheren Eigentümer aus dem Kaufvertrag.

In der Tagsatzung vom 28. 9. 2016 (offenkundig unrichtig datiert mit „2017“) trug das Erstgericht der Insolvenzverwalterin auf, bis längstens 31. 3. 2017 zu berichten, ob ein Verkauf der Liegenschaft endgültig als aussichtslos erscheine. In diesem Fall werde dem von der Schuldnerin gestellten Antrag auf Ausscheidung stattgegeben werden.

Nachdem sich die weiteren Verwertungsbemühungen ebenfalls zerschlagen hatten, regte die Insolvenzverwalterin die Überlassung der Liegenschaft gemäß § 119 Abs 5 IO an.

Mit Beschluss vom 17. 3. 2017 schied das Erstgericht die Liegenschaft aus der Insolvenzmasse aus und überließ sie der Schuldnerin zur freien Verfügung. Trotz Veröffentlichung in der Ediktsdatei und intensiver Bemühungen der Insolvenzverwalterin habe kein Käufer gefunden werden können.

Das Rekursgericht wies die gegen diesen Beschluss erhobenen Rekurse der Insolvenzverwalterin und einer Gläubigerin jeweils mangels Rechtsmittellegitimation zurück. Der Oberste Gerichtshof hob diesen Beschluss in Ansehung des Rekurses der Insolvenzverwalterin auf und trug dem Rekursgericht die Erledigung des Rechtsmittels unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund auf.

Noch vor der neuerlichen Entscheidung des Rekursgerichts zog die Insolvenzverwalterin mit Eingabe vom 22. 3. 2018 ihren Antrag auf Ausscheidung der Liegenschaft sowie ihren Rekurs zurück. Das Rekursgericht nahm die Rückziehung des Rechtsmittels zur Kenntnis und stellte den Akt an die erste Instanz zurück.

Das Erstgericht wies mit dem nunmehr gegenständlichen Beschluss vom 22. 1. 2019 „die Erklärung der Insolvenzverwalterin, den Antrag auf Ausscheidung der genannten Liegenschaft (…) zurückzuziehen“, zurück. Ein solcher Verfahrensschritt sei einseitig nicht mehr zulässig, weil auch die Schuldnerin bereits Rechte aus dem Beschluss vom 17. 3. 2017 erworben habe.

Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rechtsmittel der Insolvenzverwalterin Folge und hob den angefochtenen Beschluss ersatzlos auf. Darüber hinaus sprach es aus, dass der Beschluss des Erstgerichts vom 17. 3. 2017 wirkungslos sei und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs bei einem 30.000 EUR übersteigenden Entscheidungsgegenstand für nicht zulässig.

Rechtlich vertrat das Rekursgericht die Ansicht, die Rückziehung des Antrags nach § 119 Abs 5 IO sei dem Fall einer Klagsrückziehung nach § 483 Abs 3 ZPO gleichzuhalten. Diese Bestimmung sei im Insolvenzverfahren mangels gegenteiliger Anordnung subsidiär anzuwenden. Die Notwendigkeit einer analogen Anwendung dieser Bestimmung ergebe sich hier schon daraus, dass mit den Rückziehungen nur eine Verfahrensbeschleunigung erreicht werden sollte, aber nicht bezweckt worden sei, die Liegenschaft endgültig aus dem Verfahren auszuscheiden.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diesen Beschluss erhobene Revisionsrekurs der Schuldnerin ist entgegen dem Ausspruch des Rekursgerichts zulässig, weil dessen Entscheidung teilweise mit der Rechtslage nicht im Einklang steht.

1. Die Schuldnerin macht geltend, die Zurückziehung eines Antrags nach § 119 Abs 5 IO stelle eine Situation dar, die mit der Rückziehung einer Klage nicht vergleichbar sei. Jedenfalls habe das Rekursgericht aber übersehen, dass auch eine Klagsrückziehung bei fehlendem Einverständnis des Beklagten nur unter Anspruchsverzicht zulässig wäre. Die Insolvenzverwalterin habe aber gerade nicht auf den Anspruch der Masse auf Einbeziehung der Liegenschaft verzichtet. Durch die Rückziehung des Rekurses sei der Beschluss vom 17. 3. 2017 vielmehr in Rechtskraft erwachsen.

2. Nach § 483 Abs 3 ZPO kann die Klage auch noch bis zum Schluss der mündlichen Berufungsverhandlung, soweit sie dort Gegenstand ist, zurückgenommen werden, wenn der Beklagte zustimmt oder wenn gleichzeitig auf den Anspruch verzichtet wird.

Nach § 119 Abs 5 IO kann der Gläubigerausschuss mit Genehmigung des Insolvenzgerichts beschließen, dass von der Veräußerung von Forderungen, deren Eintreibung keinen ausreichenden Erfolg verspricht, und von der Veräußerung von Sachen unbedeutenden Werts abzusehen sei und dass diese Forderungen und Sachen dem Schuldner zur freien Verfügung überlassen werden.

Wenn kein Gläubigerausschuss bestellt ist, hat gemäß § 90 IO das Insolvenzgericht die dem Gläubigerausschuss zugewiesenen Obliegenheiten wahrzunehmen (vgl 8 Ob 2085/96t; 8 Ob 37/15x; 8 Ob 30/18x).

3. Der Beschluss des Gläubigerausschusses, dass Bestandteile der Masse nach § 119 Abs 5 IO ausgeschieden werden, ist nicht von einer Antragstellung abhängig (vgl schon 8 Ob 2085/96t = SZ 69/124). Der Gläubigerausschuss entscheidet nach Maßgabe der gesetzlichen Voraussetzungen und unterliegt der nachfolgenden Kontrolle durch das Gericht.

Die Frage, ob das Insolvenzgericht mangels Einrichtung eines Gläubigerausschusses einen Beschluss nach § 119 Abs 5 IO von Amts wegen fassen kann, muss hier nicht untersucht werden, weil neben der Anregung der Insolvenzverwalterin auch eine gleichgerichtete Anregung der Schuldnerin auf Ausscheidung der Liegenschaft vorliegt. Diese hat bereits in ihrem Eröffnungsantrag auf die Unverwertbarkeit der Liegenschaft und die aus diesem Grund erfolgte Ausscheidung in einem vorangegangenen Insolvenzverfahren hingewiesen. Das Erstgericht hat bereits in der Prüfungstagsatzung angekündigt, dass es aufgrund dieses als Antrag gewerteten Vorbringens der Schuldnerin die Ausscheidung beschließen werde, falls die Bemühungen der Insolvenzverwalterin um eine Verwertung innerhalb der eingeräumten Frist scheitern sollten. Mit dem Beschluss vom 17. 3. 2017 hat es diese angekündigte Entscheidung getroffen.

4. Davon ausgehend argumentiert der Revisionsrekurs zutreffend, dass für die analoge Anwendung der Regelung über die Klagsrückziehung nach § 483 Abs 3 ZPO hier keine tragfähige Rechtsgrundlage besteht.

Die Durchführung einer bestimmten Verwertungshandlung ist im Unterschied zu einem Klagebegehren insoweit kein der Parteiendisposition unterliegender Anspruch. Die Entscheidung des Rekursgerichts lässt auch unberücksichtigt, dass die Insolvenzverwalterin ihren so bezeichneten „Antrag“ nicht erst nach der Entscheidung über den Revisionsrekurs zurückgenommen hat, sondern bereits mit der Erhebung des Rekurses, in dem sie einen entgegengesetzten, auf Abweisung des eigenen Begehrens zielenden Rechtsmittelantrag gestellt hat (vgl 8 Ob 86/17y).

Die ausdrückliche Wiederholung der Erklärung bewirkte allerdings noch nicht die Unzulässigkeit eines solchen Vorbringens und die Notwendigkeit seiner Zurückweisung.

5. Das Erstgericht hat die Zurückweisung auch erkennbar nur deswegen für notwendig erachtet, weil es so wie das Rekursgericht von der Annahme ausgegangen ist, eine Wirksamkeit der Antragsrücknahme würde dem Beschluss vom 17. 3. 2017 die Grundlage entziehen.

Dies trifft jedoch schon deswegen nicht zu, weil diese Entscheidung nicht allein über die zurückgezogene Anregung, sondern auch aufgrund der aufrecht gebliebenen Anregung der Schuldnerin ergangen ist. Die geänderte Position der Insolvenzverwalterin hat auf die Entscheidungsgrundlage daher keinen Einfluss. Nachdem sie ihren Rekurs zurückgezogen hat, ist der Beschluss vom 17. 3. 2017 in Rechtskraft erwachsen.

6. Daraus folgt, dass die Entscheidung des Rekursgerichts, wenn auch nur im Ergebnis, insoweit bestätigt werden konnte, als sie die ersatzlose Aufhebung der Zurückweisung der Rücknahme des Antrags der Insolvenzverwalterin ausgesprochen hat.

Im Übrigen war die Entscheidung des Rekursgerichts jedoch dahin abzuändern, dass der Ausspruch der Unwirksamkeit des Beschlusses vom 17. 3. 2017 zu entfallen hat.

Dem Revisionsrekurs war daher in dem aus dem Spruch ersichtlichen Umfang Folge zu geben.

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