OGH 7Ob174/19t

OGH7Ob174/19t27.11.2019

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Heimaufenthaltssache des minderjährigen  Bewohners J* C*, geboren am * 2009, *, vertreten durch den Verein VertretungsNetz – Erwachsenenvertretung, Patientenanwaltschaft, Bewohnervertretung, 5020 Salzburg, Petersbrunnstraße 9 (Bewohnervertreter Mag. C* K*), obsorgeberechtigt: Kinder‑ und Jugendhilfeträger, Magistrat der Stadt Wels, Referat für Jugendwohlfahrt, 4600 Wels, Traungasse 6, Einrichtungsleiter Mag. W* A*, vertreten durch Gehmacher Hüttinger Hessenberger Kommandit‑Partnerschaft in Salzburg, wegen freiheitsbeschränkender Maßnahmen, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Einrichtungsleiters gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom 5. September 2019, GZ 21 R 210/19g‑26, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Neumarkt bei Salzburg vom 7. Juni 2016, GZ 11 Ha 1/19f‑15 (19), bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E127127

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

Das Erstgericht qualifizierte das Verabreichen der Dauermedikation Risperidon ab Jänner 2019 in der „angeführten Dosierung“ als Freiheitsbeschränkung (Punkt 1.), erkannte diese Beschränkung der Freiheit des Bewohners bis zur Kenntnisnahme durch die Bewohnervertretung, somit bis 24. April 2019, formal für unzulässig (Punkt 2.), erklärte im Übrigen gemäß § 15 Abs 2 HeimAufG die Verabreichung der Dauermedikation Risperidon im „angeführten Ausmaß“ für materiell zulässig (Punkt 3.), wobei es aussprach, dass gemäß § 15 Abs 2 HeimAufG die Weiterverabreichung dieser Medikation in Hinkunft unter der Auflage von jedenfalls sechswöchigen Kontrollen ärztlich dokumentierter Evaluierung der Wirkung und Notwendigkeit der Weiterverabreichung zu gestalten sei (Punkt 4.) und befristete diese Zulässigkeitserklärung bis 5. Dezember 2019 (Punkt 5.).

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Der Beschluss des Rekursgerichts wurde dem Vertreter des Einrichtungsleiters am 25. 9. 2019 zugestellt. Am 8. 10. 2019 brachte er im Elektronischen Rechtsverkehr den Revisionsrekurs beim Erstgericht ein.

Der Revisionsrekurs ist verspätet.

Rechtliche Beurteilung

1. § 16 HeimAufG enthält Sonderregeln für den Rekurs, soweit er sich gegen bestimmte erstgerichtliche Beschlüsse richtet, die Rekurslegitimation, die Rekurs- und Rekursbeantwortungsfrist sowie die Einseitig- bzw Zweiseitigkeit des Rekurses betrifft. Die Bestimmung bezieht sich abschließend auf Rekurse gegen Beschlüsse, mit denen eine Freiheitsbeschränkung für zulässig (Abs 1) oder für unzulässig (Abs 2) erklärt wird (Höllwerth in Gitschthaler/Höllwerth, Kommentar zum Außerstreitgesetz II [2017] § 16 HeimAufG Rz 2, 3).

2. § 16 HeimAufG räumt dem Einrichtungsleiter in seinem Absatz 2 die Rekurslegitimation gegen Beschlüsse ein, mit denen die Freiheitsbeschränkung für unzulässig erklärt wird. In § 16 Abs 2 und 3 HeimAufG verkürzte der Gesetzgeber die 14‑tägige Rechtsmittelfrist im Sonderfall, dass der Leiter der Einrichtung die ausgesprochene Unzulässigkeit einer noch aktuellen Freiheitsbeschränkung bekämpft, auf sieben Tage; und zwar ausdrücklich sowohl für dessen Rekurs, für die Beantwortung dessen Rekurses und für die Beantwortung dessen Revisionsrekurses. Der Gesetzgeber sah also offensichtlich die Herstellung von Rechtsklarheit speziell in jenem Fall als besonders dringlich an, in dem eine vom Pflegepersonal (vgl § 5 HeimAufG) und vom Leiter der Einrichtung (vgl § 7 HeimAufG) zur Gefahrenabwehr notwendig erachtete freiheitsbeschränkende Maßnahme (die ja von einer ernstlichen Selbst- oder Fremdgefährdung schützen soll; vgl § 4 HeimAufG) gegen den Willen des Leiters der Einrichtung vom Gericht aufgehoben wird (7 Ob 111/14w). Die 7-tägige Rechtsmittelfrist des § 16 Abs 2 HeimAufG gilt – nach ständiger Rechtsprechung – auch im Revisionsrekursverfahren (RS0121356).

2. Wird die Zulässigkeit der Freiheitsbeschränkung an eine Auflage geknüpft, bedeutet dies eine eingeschränkte Zulässigerklärung und gleichzeitig eine Unzulässigerklärung im Umfang der Einschränkung, die § 16 Abs 2 HeimAufG zu unterstellen ist. Dabei besteht, der Intention des Gesetzgebers folgend, die oben dargestellte Dringlichkeit bei der Unzulässigerklärung einer freiheitsbeschränkenden Maßnahme auch in dem Fall, in dem sich das Rechtsmittel – unter anderem – gegen die Anwendung des HeimAufG an sich wendet. Die Frist für den Revisionsrekurs des Leiters der Einrichtung gegen einen Unzulässigkeitsbeschluss bei einer – wie hier – aktuellen Freiheitsbeschränkung beträgt demnach sieben Tage. Sein nach Ablauf dieser Frist eingebrachter Revisionsrekurs ist verspätet.

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