European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0120OS00106.19H.1107.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen 2./ und 3./ und demgemäß auch im Strafausspruch aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.
Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Benjamin W***** des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (1./), des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (2./) und des Vergehens des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (3./) schuldig erkannt.
Danach hat er am 9. Juli 2018 in W***** in Bezug auf die am ***** geborene Sarah W*****
1./ mit einer unmündigen Person dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen unternommen, indem er sie mit einem Finger vaginal penetrierte und einen Oralverkehr mit Penetrationsvorsatz (US 4) an ihr durchführte;
2./ außer dem Fall des § 206 StGB eine geschlechtliche Handlung von einer unmündigen Person an sich vornehmen lassen, indem er sie aufforderte, seinen Penis anzufassen, sie am Handgelenk packte, sodass diese letztlich ihre Hand auf seinen entblößten erigierten Penis legte;
3./ durch die zu 1./ und 2./ beschriebenen Taten unter Ausnutzung seiner Stellung gegenüber einer minderjährigen Person von dieser eine geschlechtliche Handlung an sich vornehmen lassen sowie an ihr vorgenommen.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen aus Z 4, 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten versagt.
Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wurden Verteidigungsrechte des Angeklagten durch die Abweisung von Beweisanträgen nicht verletzt.
Die unter Hinweis darauf, dass der Angeklagte „die sexuellen Übergriffe an Sarah nicht getätigt hat“ (ON 24 S 19), gestellten Anträge auf Vernehmung der Volksschullehrer des Opfers zum Beweis dafür, dass Sarah W***** immer wieder „Geschichten ohne wahren Hintergrund erzählt“ und der „zuständigen Jugendbeamten“ zum Beweis dafür, dass „Sarah immer wieder Erwachsene gegeneinander ausspielt und falsche Geschichten erzählt“ (ON 24 S 18 f), verfielen schon deshalb zu Recht der Abweisung, weil der Angeklagte nicht bekannt gab, aus welchem Grund die Durchführung der begehrten Beweisaufnahmen das behauptete Ergebnis hätte erwarten lassen (vgl RIS‑Justiz RS0118444).
Eine Beweisführung über die Beweiskraft von Beweisen, etwa zur
Glaubwürdigkeit von Zeugen, ist grundsätzlich zulässig, jedoch kommt zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen die Hilfestellung durch einen Sachverständigen nur ausnahmsweise, etwa bei Entwicklungsstörungen oder geistigen Defekten unmündiger oder jugendlicher Zeugen, in Betracht (RIS‑Justiz RS0120634).
Schon aus diesem Grund blieb auch der – solche Umstände gar nicht behauptende – weitere Antrag auf „Einholung eines kinderpsychologischen SV-GA zum Beweis dafür, dass Sarah keinen erlebten Sexualvorfall schildert, sondern eine Nacherzählung von entweder selbst beobachteten sexuellen Handlungen oder ihr erzählte Handlungen wiedergibt“, zu Recht ohne Erfolg. Abgesehen davon hatte der Beschwerdeführer auch nicht vorgebracht, dass die unmündige Zeugin und deren gesetzliche Vertreterin die erforderliche Zustimmung zur psychologischen Exploration erteilt hätten oder erteilen würden (RIS‑Justiz RS0118956).
Die Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) behauptet unvollständige Berücksichtigung von Verfahrensergebnissen betreffend die Tatzeit, ohne deutlich zu machen, weshalb diese für die Lösung der Schuld- oder Subsumtionsfrage entscheidend sein soll (vgl Hinterhofer/Oshidari , Strafverfahren Rz 9.114).
Indem die Tatsachenrüge (Z 5a) bloß nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung die der Zeugin Sarah W***** attestierte Glaubwürdigkeit in eigenständiger Bewertung der Verfahrensergebnisse in Zweifel zu ziehen versucht, weckt sie keine erheblichen Bedenken gegen den Ausspruch über entscheidende Tatsachen.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof davon, dass die Schuldsprüche 2./ und 3./ nicht geltend gemachte Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) zum Nachteil des Angeklagten aufweisen, die von Amts wegen wahrzunehmen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).
Die strafbare Handlung des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB wird von jener des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB infolge scheinbarer Realkonkurrenz (Konsumtion in Form einer typischen „Begleittat“ – vgl RIS‑Justiz RS0115643 [T1]; Ratz in WK 2 StGB Vor §§ 28–31 Rz 60) verdrängt, wenn diese strafbaren Handlungen sowohl zeitlich als auch derart in Verbindung stehen, dass der Vorsatz des Täters von Anfang an auf Beischlaf oder eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung mit dem unmündigen Opfer gerichtet war (RIS‑Justiz RS0115643, RS0090814 [T8]; Philipp in WK² StGB § 206 Rz 32, § 207 Rz 25).
In den Entscheidungsgründen ist nur davon die Rede, dass der Angeklagte gegenüber der Unmündigen zunächst geschlechtliche (§ 207 Abs 1 StGB) und „in der Folge“ dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen (§ 206 Abs 1 StGB) setzte (vgl US 4). Im Hinblick auf den zeitlichen Konnex dieser kriminellen Verhaltensweisen wäre aber durch Feststellungen zu klären gewesen, ob die subjektive Ausrichtung des Angeklagten von vornherein auf Tathandlungen im Sinn des § 206 Abs 1 StGB gerichtet war oder er einen solchen Vorsatz erst nach Abschluss der Übergriffe im Sinn des § 207 Abs 1 StGB entwickelte.
Zudem haftet dem Schuldspruch 3./ (§ 212 Abs 1 Z 2 StGB) ein Rechtsfehler mangels Feststellungen an, weil das Erstgericht weder in objektiver noch subjektiver Hinsicht Konstatierungen dazu traf, ob der Angeklagte die Tathandlungen unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber dem Opfer setzte (vgl RIS‑Justiz RS0095264; Philipp in WK 2 StGB § 212 Rz 9 mwN).
Insoweit war daher die Urteilsaufhebung und Rückverweisung unvermeidlich.
Die Kostenentscheidung gründet auf § 390a Abs 1 StPO. Sie bezieht sich nicht auf die amtswegige Maßnahme ( Lendl , WK‑StPO § 390a Rz 12).
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