OGH 20Ds2/19b

OGH20Ds2/19b29.10.2019

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 29. Oktober 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras als weiteren Richter und die Rechtsanwälte Dr. Grassner und Dr. Rothner als Anwaltsrichter in Gegenwart der OKontr. Trsek als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes über die Berufung des Beschuldigten gegen das Erkenntnisdes Disziplinarrats der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 21. Jänner 2019, AZ D 17/18 (2 DV 20/18), TZ 24, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Stani, des Kammeranwalts Mag. Haumer und des Beschuldigten zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0200DS00002.19B.1029.000

 

Spruch:

 

In Stattgebung der Berufung wegen Schuld wird das angefochtene Erkenntnis aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:

***** wird von demwider ihn erhobenen Vorwurf, er habe als Errichtereines am 10. Oktober 2017 abgeschlossenenKaufvertrags zwischen Mag. Dr. Gunther W*****, Mag.a pharm. Gerlinde S*****, Univ.‑Prof. Mag. pharm. Dr. Reiner F***** und Maga. pharm. Almut N***** als Verkäufer und der C*****‑GmbH als Käuferin betreffend die Liegenschaften EZ ***** und EZ ***** je KG ***** und als am 10. Oktober 2017 für die Kaufpreisabwicklung von den Vertragsparteien bestellter Treuhänder den am 8. Februar 2018 fälligen Kaufpreisteil von 150.000 Euro, entgegen dem Treuhandauftrag weder anteilig an die Verkäufer ausbezahlt noch gerichtlich hinterlegt und zwar

a) bis 15. November 2018 150.000 Euro;

b) ab 16. November 2018 75.309,45 Euro,

gemäß § 38 Abs 1 erster Fall DSt iVm § 54 Abs 3 DSt freigesprochen.

Mit seiner übrigen Berufung wird der Rechtsmittelwerber auf diese Entscheidung verwiesen.

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde Rechtsanwalt ***** der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes (nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt iVm § 9 RAO, § 13 RL‑BA 2015) schuldig erkannt und zu einer Geldbuße von 5.000 Euro und gemäß § 38 Abs 2 DSt zum gänzlichen Ersatz der Verfahrenskosten verurteilt, weil er die im Spruch beschriebenen Disziplinarvergehen begangen habe.

 

Inhaltlich des Schuldspruchs hat er als von den dort genannten Parteien eines Liegenschaftskaufvertrags bestellter Vertragsverfasser und Treuhänder die ebenfalls aus dem Spruch ersichtlichen Kaufpreisteile entgegen dem ihm unwiderruflich erteilten Treuhandauftrag, wonach er den von der Käuferin in Empfang genommenen Kaufpreis nach Vorliegen des Beschlusses des Grundbuchgerichts, mit dem das lastenfreie Eigentumsrecht der Käuferin am Kaufgegenstand rechtskräftig einverleibt wurde, an die Verkäufer nicht ausbezahlt und auch nicht gerichtlich hinterlegt.

Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die keine Nichtigkeitsgründe ausdrücklich bezeichnende, das Erkenntnis „in vollem Umfang“ anfechtende Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen des Ausspruchs über die Schuld und die Strafe.

Der Kammeranwalt beantragte, der Berufung keine Folge zu geben.

Bei mehrseitigen Treuhandverhältnissen stehen zwei oder mehrere von gegensätzlichen Interessen geleitete Treugeber – wie im vorliegenden Fall die Parteien eines Kaufvertrags – einem Treuhänder gegenüber (1 Ob 667/87). Bei einer mehrseitigen Treuhand hat der Treuhänder Interessen in mehrere Richtungen zu wahren (ÖBA 1993, 991; 3 Ob 570/92).

Allen Formen von Treuhandschaften ist gemein, dass der Treuhänder im Interesse des oder der Treugeber und nicht im eigenen Interesse zu handeln verpflichtet ist. Die Treuhandschaft ist geprägt von Uneigennützigkeit und Vertrauenswürdigkeit bei der Wahrnehmung fremder Interessen.

Bei der Abwicklung von Immobilienkauf-verträgen ist es Standard, die Transaktion über einen Treuhänder durchzuführen. Hierbei wird der Treuhänder von sämtlichen Vertragsparteien beauftragt und bevollmächtigt, einerseits zur Sicherstellung der Interessen des Käufers, andererseits zu denen des Verkäufers tätig zu werden (Rohregger in Engelhart et al,RAO9 § 10a RAO Rz 5).

In der Entscheidung 7 Ob 272/01b verwies der Oberste Gerichtshof unter Bezug auf die Entscheidung 5 Ob 588/87 darauf, dass der von den Parteien eines Liegenschaftskaufvertrags unter Einschaltung eines Rechtsanwalts abgeschlossene Treuhandvertrag nicht isoliert betrachtet werden darf, sondern im Zusammenhang mit dem ihm zugrundeliegenden Kaufvertrag beurteilt werden muss.Ein mehrseitiger offener Treuhänder (SZ 71/12; 1 Ob 119/01h) darf bei Auftreten eines Konflikts zwischen seinen Treugebern den strittigen Betrag bei Gericht erlegen, wenn unklar bzw bei zumutbarer Prüfung nicht zu klären ist, ob die Ausfolgungsbedingungen erfüllt sind (7 Ob 523/91; 5 Ob 309/00b; RIS‑Justiz RS0010415). Zwar muss der offene Treuhänder zweier Vertragspartner spätere Dispositionen eines Treugebers, die dem anderen offenbar zum Nachteil gereichen, grundsätzlich unberücksichtigt lassen (JBl 1958, 122); bei Auftreten eines Konflikts zwischen den Treugebern kann der Treuhänder bei unklarer Sach- oder Rechtslage den Gerichtserlag wählen, ist jedoch (mangels anderslautender Vereinbarung) hiezu nicht verpflichtet (7 Ob 523/91), muss er doch die (gegensätzlichen) Interessen aller Treugeber bestmöglich wahren (RIS‑Justiz RS0107334).

Bedauerlicherweise werden in der Praxis in Treuhandvereinbarungen die Pflichten des Treuhänders zumeist nicht umfassend geregelt (vgl zB 20 Ds 9/18f), insbesondere finden sich – wie im Gegenstand – oftmals keine Regelungen über den Einfluss von Leistungsstörungen auf die Auszahlung des Treuhanderlags durch den Treuhänder. Wiewohl dies nicht vom aktuellen Disziplinarvorwurf umfasst ist, ist zu bemerken, dass eine auf den Fall (Verkauf einer vorher als Tankstelle genutzten Liegenschaft) zugeschnittene Formulierung (insbesondere zur sinnfällig bedeutenden Gewährleistungsproblematik) der anwaltlichen Diligenzpflicht besser entsprochen hätte.

Wenn – wie vorliegend – die Anweisungs‑ oder Ausfolgungspflicht des Treuhänders nach dem (reinen) Wortlaut der Treuhandvereinbarung (Beilage ./5; ES 10) ausschließlich vom Vorliegen einer Urkunde (nämlich eines Grundbuchbeschlusses) abhängig gemacht wurde, bedeutet dies nicht, dass dieser damit quasi eine „Erfüllungsgarantie“ für die Kaufpreiszahlung übernommen hat. Bei ganz ähnlichen Sachverhaltskonstellationen (5 Ob 309/00b; 7 Ob 272/01b; 1 Ob 89/08g; 8 Ob 39/07b) hat der Oberste Gerichtshof wiederholt die Ansicht vertreten, dass der Treuhänder nach dem Geschäftszweck die Mängelfreiheit oder eine bestimmte Eigenschaft des Kaufgegenstands (in Punkt III.2. des Kaufvertrags hatten die Käufer eine genau definierte Kontaminationsfreiheit des Kaufgegenstands zugesagt – vgl ES 10, 2. Spiegelstrich) als Bedingung für die Ausfolgung des treuhändisch erlegten Kaufpreises (Kaufpreisrestes) miteinzubeziehen hat, sodass mittlerweile festgestellte bzw behauptete Mängel des Kaufgegenstands jedenfalls eine unklare Lage (einen „Konfliktsfall“) für den Treuhänder schaffen, die ihn zum Erlag bei Gericht berechtigen.

Nach den erstinstanzlichen Sachverhalts-feststellungen wurde dem Beschuldigten nach allseitiger Unterfertigung von Kaufvertrag und Treuhandvereinbarung von der Käuferin ein geologisches Gutachten vom 11. Oktober 2017 übermittelt, wonach ein nicht unerheblicher Anteil des für das geplante Bauvorhaben auszuhebenden Bodenmaterials der kaufgegenständlichen Liegenschaft nicht der vertraglich bedungenen Bodenaushubqualität entspricht. Daher ist unter Berücksichtigung des bisher Gesagten die rechtliche Begründung des angefochtenen Erkenntnisses, wonach ein Treuhänder den ihm erteilten Treuhandauftrag jedenfalls buchstäblich genau zu erfüllen habe (ES 16), fallbezogen nicht zutreffend. Soweit in der Literatur vertreten wird, Treuhandbedingungen seien immer „wort- und buchstabengetreu zu erfüllen“ (bspw Vitek in Engelhart et al, RAO9 § 10a RAO Rz 23), trifft dies in Anbetracht der erwähnten ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nur auf Treuhandschaften mit insgesamt klaren Regelungen zu, nicht aber auf „Konfliktsfälle“, in denen solche fehlen.

Ein Treuhänder kann also bei unklarer Sach- und Rechtslage – etwa im Fall des Auftretens eines Konflikts zwischen seinen Treugebern, welche ihm von gegensätzlichen Interessen geleitet gegenüberstehen – Anlass haben, von der Möglichkeit des gerichtlichen Erlags des Treuhandgeldes Gebrauch machen; er ist hierzu jedoch nicht verpflichtet (ecolex 1991, 682; 1 Ob 89/08g mwN).

Dass gerade im Gegenstand die Hinterlegung nicht im wirtschaftlichen Interesse der Treugeber gewesen wäre, diesem vielmehr das – erfolgte und letztlich erfolgreiche – Anstreben einer gütlichen Einigung diente, hat der Beschuldigte (dSn Z 9 lit a) zutreffend hervorgehoben.

Demnach war in Stattgebung der Berufung wegen Schuld das angefochtene Erkenntnis aufzuheben, in der Sache selbst mangels des vom Einleitungsbeschluss umfassten disziplinären Fehlverhaltens auf Freispruch zu erkennen und der Beschuldigte mit seinem weiteren Berufungsvorbringen darauf zu verweisen.

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