OGH 8Nc27/19s

OGH8Nc27/19s30.9.2019

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*****, vertreten durch Heinke . Skribe + Partner Rechtsanwaelte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei U*****, Deutschland, wegen 600 EUR sA, über den Ordinationsantrag nach § 28 JN den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0080NC00027.19S.0930.000

 

Spruch:

Als örtlich zuständiges Gericht wird das Bezirksgericht Schwechat bestimmt.

 

Begründung:

Der Kläger strebt die Verpflichtung des beklagten Flugunternehmens mit Sitz in der Ukraine zur Zahlung von 600 EUR aufgrund der Verordnung (EG) Nr 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. 2. 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen (FluggastrechteVO) an. Die bei der Beklagten gebuchten Flüge von Wien nach Kiew-Boryspil und von Kiew-Boryspil nach Bangkok hätten ihr Endziel Bangkok erst mit mehr als vier Stunden Verspätung erreicht.

Das vom Kläger angerufene Bezirksgericht Schwechat wies – bestätigt durch das Landesgericht Korneuburg – die Klage mit rechtskräftigem Beschluss vom 10. 1. 2019 mangels internationaler Zuständigkeit zurück.

Am 28. 1. 2019 beantragte der Kläger beim Obersten Gerichtshof gemäß § 28 JN die Ordination des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien als örtlich zuständiges Gericht in Österreich.

Rechtliche Beurteilung

Die Voraussetzungen für eine Ordination durch den Obersten Gerichtshof sind gegeben.

1. Der Kläger stützt seinen Ordinationsantrag auf § 28 Abs 1 Z 2 JN, also auf den Fall der Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im Ausland. Die nach der in Rede stehenden Bestimmung erforderliche allgemeine Voraussetzung des Naheverhältnisses zum Inland ist hier schon im Hinblick auf den Wohnsitz des Klägers in Österreich erfüllt; zudem lag der Abflugort in Wien‑Schwechat.

2. Die Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im Ausland liegt nach der Rechtsprechung insbesondere dann vor, wenn die ausländische Entscheidung in Österreich nicht anerkannt oder vollstreckt würde und eine Exekutionsführung im Inland geplant ist (RIS-Justiz RS0046148 [T10]).

Zwischen Österreich und der Ukraine besteht kein bilaterales Abkommen oder multilaterales Übereinkommen über die Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen bzw von Entscheidungen über Ansprüche aus Flugverspätungen (7 Nc 21/19a).

Aus dem Vorbringen des Klägers im Ordinationsantrag ergibt sich, dass er die Durchsetzung seiner ihm durch die FluggastrechteVO eingeräumten Rechte in der Ukraine für aussichtslos hält. Daraus lässt sich (noch) ausreichend deutlich ableiten, dass er die Vollstreckung in Österreich anstrebt, was bei einem Exekutionstitel aus der Ukraine – mangels Gegenseitigkeit (vgl Garber in Angst/Oberhammer , EO 3 § 79 Rz 19) – allerdings nicht möglich ist. Der Ordinationsantrag ist daher berechtigt (s auch zur selben Beklagten bei einem praktisch identen Sachverhalt 7 Nc 21/19a).

3. Dieses Ergebnis wird durch folgende – vom Ordinationswerber aufgezeigten und mittlerweile von der herrschenden Rechtsprechung geteilten (7 Nc 21/19a; 6 Nc 19/19z; 6 Nc 25/19g) – unionsrechtlichen Überlegungen bekräftigt:

Der Kläger leitet seine Ansprüche aus der FluggastrechteVO, also aus einem unionsrechtlichen Sekundärrechtsakt ab. Für solche Ansprüche haben die Mitgliedstaaten nach Art 47 GRC einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz sicherzustellen (vgl RS0132702). Diesem Unions‑Verfahrensgrundrecht kommt insbesondere dann Bedeutung zu, wenn der Kläger sonst gehalten wäre, seine Ansprüche außerhalb der Europäischen Union geltend zu machen (vgl 4 Nc 11/19h mwN). Aus diesem Grund sind alle interpretativen Möglichkeiten auszuschöpfen, um – bei einem ausreichenden Inlandsbezug – Fluggästen, die von einem in der Europäischen Union gelegenen Flughafen abfliegen, die Durchsetzung von in der FluggastrechteVO normierten Ansprüchen grundsätzlich auch gegen ein Flugunternehmen mit Sitz in einem Drittstaat zu ermöglichen (6 Nc 1/19b = ZVR 2019/114 [zust Mayr ]; siehe allgemein EuGH C‑274/16, flightright ), zumal eine Verweigerung der Ordination geradezu einer Rechtsschutzverweigerung gleichkäme ( Mayr , ZVR 2019, 261 [263]).

4. Für die Auswahl des zu ordinierenden Gerichts ist nach der Rechtsprechung auf die Kriterien der Sach- und Parteinähe sowie der Zweckmäßigkeit Bedacht zu nehmen (RS0106680 [T13]).

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben hat eine Zuweisung der vorliegenden Rechtssache an das Bezirksgericht Schwechat zu erfolgen, weil der Abflugort im Sprengel dieses Gerichts gelegen war; zudem wurde die vorliegende Klage bei diesem Gericht bereits behandelt (vgl etwa 4 Nc 11/19h; 6 Nc 1/19b ua).

Stichworte