OGH 8ObA31/19w

OGH8ObA31/19w24.9.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Korn als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Bernhard Gruber (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wolfgang Jelinek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Mag. D***** M*****, vertreten durch Dr. Martin Riedl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, 1014 Wien, Minoritenplatz 5, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1010 Wien, Singerstraße 17–19, wegen 14.441,70 EUR brutto sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 21. Dezember 2015, GZ 7 Ra 104/15p‑18, mit dem das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 11. Juni 2015, GZ 41 Cga 1/14p‑13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:008OBA00031.19W.0924.000

 

Spruch:

I. Das unter der AZ 8 ObA 18/16d unterbrochene Verfahren wird fortgesetzt.

II. Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

I . Das Revisionsverfahren wurde mit Beschluss vom 20. Dezember 2016, AZ 8 ObA 18/16d, bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) über den vom Obersten Gerichtshof am 19. 12. 2016 zu AZ 9 ObA 141/15y gestellten Antrag auf Vorabentscheidung nach Art 267 AEUV unterbrochen.

Der EuGH hat mit Urteil vom 8. Mai 2019, C‑24/17, Österreichischer Gewerkschaftsbund , über diesen Antrag entschieden. Das Revisionsverfahren war daher von Amts wegen fortzusetzen.

II . Der Kläger ist Lehrer an einem Bundesgymnasium. Auf sein Dienstverhältnis kommt das VBG 1948 (VBG) zur Anwendung.

Am 14. 3. 2008 setzte der Landesschulrat den Vorrückungsstichtag des Klägers gemäß § 26 Abs 1 und 2 sowie Abs 6 und 7 VBG mit 15. 6. 1993 fest. Zur Ermittlung dieses Vorrückungsstichtags wurden nach der Vollendung des 18. Lebensjahres des Klägers erworbene Vordienstzeiten dem Tag der Aufnahme in das Dienstverhältnis vorangestellt.

Der Kläger begehrte am 22. 11. 2010 die Neufeststellung des Vorrückungsstichtags unter Berücksichtigung weiterer Zeiten, die er vor der Vollendung des 18. Lebensjahres erworben hatte. Mit 16. 3. 2011 wurde diesem Begehren stattgegeben. Aufgrund der Neuregelung der §§ 19, 26 Abs 1 VBG mit der Novelle BGBl I 2010/82 führte die Neufeststellung jedoch nicht zu einer Änderung der besoldungsrechtlichen Situation des Klägers.

Wäre die Regelung des § 19 Abs 1 zweiter Satz VBG idF des BGBl I 2010/82 über die Verlängerung des ersten Vorrückungszeitraums auf fünf Jahre nicht angewendet worden, hätte sich durch die Neufestsetzung eine besoldungsrechtliche Verbesserung ergeben. Zugunsten des Klägers hätte sich in diesem Fall für den Zeitraum vom 1. 7. 2009 bis 30. 6. 2013 eine Differenz zum tatsächlich bezogenen Entgelt in Höhe des Klagsbetrags errechnet.

Der Kläger begehrt die Nachzahlung dieser Entgeltdifferenz. Mit der Novelle BGBl I 2010/82 hätte nach dem Willen des Gesetzgebers eine vom EuGH festgestellte Altersdiskriminierung aufgrund der Nichtanrechnung der bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres erworbenen Vordienstzeiten beseitigt werden sollen. Dieses Ziel werde verfehlt, weil die Verlängerung des ersten Vorrückungszeitraums die unzulässige Diskriminierung prolongiere. Nach dem mit BGBl I 2015/32 neu geschaffenen Besoldungssystem sei gemäß § 94a VBG iVm §§ 169c ff GehG für die Überleitung der Vertragsbediensteten nur das bisher bezogene Gehalt für die Überleitung maßgeblich. Eine Überprüfung der Richtigkeit der zugrundeliegenden Einstufung nach den rückwirkend aufgehobenen besoldungsrechtlichen Regelungen werde von § 169c Abs 6 GehG idF BGBl I 2015/32 ausschließlich auf die Wahrnehmung von Eingabe- und Rechenfehlern beschränkt. Auch diese Rechtslage prolongiere daher im Ergebnis wieder die unionsrechtlich unzulässige Diskriminierung. Sie sei außerdem rechtsstaatlich bzw verfassungsrechtlich bedenklich.

Die Beklagte wandte ein, spätestens mit der Neuregelung des Besoldungsrechts in BGBl I 2015/32 sei die Vordienstzeitenanrechnung unabhängig vom Lebensalter und damit diskriminierungsfrei geregelt worden. Diese Rechtslage sei aufgrund der Übergangsbestimmungen auf das Dienstverhältnis des Klägers rückwirkend anzuwenden, womit seinem Zahlungsbegehren die Grundlage entzogen sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Die Inkrafttretens- und Übergangsbestimmungen des BGBl I 2015/32 seien unionsrechtskonform dahin zu reduzieren, dass sie sich nur auf nach dem Inkrafttreten des Gesetzes am 12. 2. 2015 entstandene Ansprüche beziehen.

Das Berufungsgericht gab dem gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittel der Beklagten keine Folge und erklärte die ordentliche Revision wegen Fehlens einschlägiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung für zulässig. Den Rechtsausführungen des Erstgerichts, die im Ergebnis auch mit der die gleiche Problematik betreffenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts übereinstimmen, sei beizupflichten.

Mit ihrer Revision aus dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung strebt die Beklagte die Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinne einer Klagsabweisung an. Der Kläger hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.

Der Oberste Gerichtshof hat das Verfahren vorweg bis zur Entscheidung des EuGH über die Anfrage zu 9 ObA 141/15y unterbrochen. Nachdem die Entscheidung des EuGH vorliegt, ist das Verfahren fortzusetzen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und im Sinne des in jedem Abänderungsantrag enthaltenen Aufhebungsantrags (5 Ob 234/10p; 7 Ob 269/08x) auch berechtigt.

Der EuGH erkannte in der Rechtssache C‑24/17, Österreichischer Gewerkschaftsbund , über die Vorlagefragen wie folgt:

1.   Die Art. 1, 2 und 6 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. 11. 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf sind in Verbindung mit Art 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass sie einer rückwirkend in Kraft gesetzten nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, wonach zur Beseitigung einer Diskriminierung wegen des Alters die Überleitung von Bestandsvertragsbediensteten in ein neues Besoldungs- und Vorrückungssystem vorgesehen ist, in dem sich die erste Einstufung dieser Vertragsbediensteten nach ihrem letzten gemäß dem alten System bezogenen Gehalt richtet.

2. Das nationale Gericht ist, wenn nationale Rechtsvorschriften nicht im Einklang mit der Richtlinie 2000/78 ausgelegt werden können, verpflichtet, im Rahmen seiner Befugnisse den Rechtsschutz, der dem Einzelnen aus dieser Richtlinie erwächst, zu gewährleisten und für ihre volle Wirkung zu sorgen, indem es erforderlichenfalls jede entgegenstehende nationale Vorschrift unangewendet lässt. Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass die Wiederherstellung der Gleichbehandlung in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens, wenn eine unionsrechtswidrige Diskriminierung festgestellt wurde und solange keine Maßnahmen zur Wiederherstellung der Gleichbehandlung erlassen wurden, voraussetzt, dass den durch das alte Besoldungs- und Vorrückungssystem benachteiligten Vertragsbediensteten die gleichen Vorteile gewährt werden wie den von diesem System begünstigten Vertragsbediensteten, sowohl in Bezug auf die Berücksichtigung vor Vollendung des 18. Lebensjahrs zurückgelegter Vordienstzeiten als auch bei der Vorrückung in der Gehaltstabelle, und dass den diskriminierten Vertragsbediensteten infolgedessen ein finanzieller Ausgleich in Höhe der Differenz zwischen dem Gehalt, das der betreffende Vertragsbedienstete hätte beziehen müssen, wenn er nicht diskriminiert worden wäre, und dem tatsächlich von ihm bezogenen Gehalt gewährt wird. ...“

Infolge dieser Entscheidung wurde das Besoldungsrecht des Bundes zur Herstellung seiner Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht mit BGBl I 58/2019 (2. Dienstrechts-Novelle 2019) umfassend novelliert. Für Vertragsbedienstete, deren Vorrückungsstichtag bei der Anrechnung unter Ausschluss der vor dem 18. Geburtstag zurückgelegenen Zeiten festgesetzt wurde (Z 3) und bei denen nach der erstmaligen Festsetzung nach Z 3 nicht die vor Vollendung des 18. Lebensjahres zurückgelegten Zeiten nach den Bestimmungen des Bundesgesetzes BGBl I Nr 82/2010 vorangestellt und durch Außerachtlassung der mit diesem Bundesgesetz bewirkten Verlängerung des für die erste Vorrückung erforderlichen Zeitraums zur Gänze für die Einstufung wirksam geworden sind, ist nach Maßgabe der §§ 94b ff VBG 1948 („Umsetzung der Richtlinie 2000/78 “) eine Neueinstufung nach einem einheitlichen Regelwerk vorgesehen. Diese Regelungen idF der 2. Dienstrechts‑Novelle 2019 wurden mit 1. 1. 2004 in Kraft gesetzt (§ 100 Abs 89 Z 1 VBG 1948).

Sie betreffen ua am Tag der Kundmachung der 2. Dienstrechts-Novelle 2019 (8. 7. 2019) anhängige einschlägige Verfahren, wobei die Neufestsetzung im Rahmen dieser Verfahren zu erfolgen hat (§ 94b Abs 3 VBG 1948). Das neu festgesetzte Besoldungsdienstalter ist nach Maßgabe des § 94b Abs 6 VBG 1948 auch ausdrücklich rückwirkend für die Bemessung der Bezüge maßgeblich (s auch AB 675 BlgNR XXVI. GP  S 7).

Auf eine Änderung der Rechtslage hat das Gericht in jeder Lage des Verfahrens Bedacht zu nehmen, sofern die neuen Bestimmungen nach ihrem Inhalt auf das in Streit stehende Rechtsverhältnis anzuwenden sind. Diese Frage ist grundsätzlich nach den Übergangsbestimmungen zu beurteilen (RIS‑Justiz RS0031419; 9 ObA 134/15v mwN) und hier zu bejahen.

Nach § 182a ZPO hat das Gericht das Sach- und Rechtsvorbringen der Parteien mit diesen zu

erörtern und darf seine Entscheidung auf rechtliche Gesichtspunkte, die eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, nur stützen, wenn es diese mit den Parteien

erörtert und ihnen Gelegenheit zur Äußerung gegeben hat (RS0037300 [T46]). Das hat umso mehr bei geänderter Rechtslage zu gelten. Die Parteien müssen Gelegenheit haben, zur neuen Rechtslage ein Vorbringen zu erstatten (RS0037300 [T26]).

Daraus folgt, dass das Klagebegehren nach Maßgabe der neuen Rechtslage zur Neufestsetzung der besoldungsrechtlichen Stellung des Klägers und der Bemessung seiner Bezüge zum Gegenstand einer Erörterung vor dem Erstgericht zu machen ist (vgl 9 ObA 63/19h).

Der Revision war daher im Ergebnis Folge zu geben und die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 2 ASGG, § 52 ZPO.

Stichworte