OGH 3Nc18/19f

OGH3Nc18/19f2.8.2019

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr.

 Hoch als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Roch und Priv.‑Doz. Dr. Rassi als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. R***** und 2. M*****, beide vertreten durch Heinke . Skribe + Partner Rechtsanwaelte GmbH in Wien, wider die beklagte Partei T***** A.O. *****, vertreten durch Stolitzka & Partner Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 800 EUR sA, über den Ordinationsantrag der klagenden Parteien nach § 28 JN in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0030NC00018.19F.0802.000

 

Spruch:

Der Antrag, der Oberste Gerichtshof möge eine Ordination des Rechtsstreits an das Bezirksgericht für Handelssachen Wien vornehmen, wird abgewiesen.

 

Begründung:

Die Kläger mit Wohnsitz in Österreich begehrten mit Mahnklage vom beklagten Flugunternehmen mit Sitz in der Türkei die Zahlung von je 400 EUR sA aufgrund der Verordnung (EG) Nr 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. 2. 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste (Fluggastrechteverordnung). Sie bezeichneten die beklagte Partei mit „T***** A.O. Direktion für Österreich, Wien *****“ und behaupteten eine von der beklagten Aktiengesellschaft zu verantwortende verspätete Erreichung ihres Endziels. Zur Zuständigkeit des angerufenen Gerichts, in dessen Sprengel sich der Abflugort befinde, brachten die Kläger vor, der Erfüllungsort liege sowohl im Sinne des § 88 JN als auch im Sinne des Art 5 Abs 1 EuGVVO am Ort des Abflugs als auch am Ort der Ankunft des betreffenden Fluges.

Das Erstgericht erließ einen Zahlungsbefehl, worauf die Beklagte einen fristgerechten Einspruch einbrachte, ohne Unzuständigkeitseinrede zu erheben.

Sodann erklärte sich das Erstgericht für unzuständig und wies die Klage zurück. Es sei gerichtsbekannt, dass die Beklagte ihren Sitz in der Türkei habe. Der Gerichtsstand nach § 88 Abs 1 JN sei nur bei ausdrücklicher und urkundlich nachweisbarer Vereinbarung des Erfüllungsorts gegeben. Dem Klagevorbringen sei nur zu entnehmen, dass der Abflug von Wien-Schwechat erfolgen sollte. Dass es eine konkrete Vereinbarung im Sinne des obigen Ausführungen über einen bestimmten Erfüllungsort gegeben hätte, sei nicht behauptet worden.

Der Rekurs der Kläger blieb erfolglos, sodass die Klagezurückweisung rechtskräftig ist.

In ihrem Rekurs stellten die Kläger für den Fall, dass dem Rekurs nicht Folge gegeben werden sollte, den Antrag, der Oberste Gerichtshof möge eine Ordination des Rechtsstreits an das Bezirksgericht für Handelssachen Wien vornehmen. Der allgemeine Gerichtsstand der beklagten Partei mit Sitz in der Türkei befinde sich dort. Das angerufene Bezirksgericht habe zwar als das für das Gebiet des Flughafens Wien-Schwechat zuständige Gericht die engste Verbindung zum vorliegenden Rechtsstreit, jedoch sei keine Norm ersichtlich, welche seine örtliche Zuständigkeit begründen könnte. Österreich sei aufgrund des im Anwendungsvorrang stehenden Gemeinschaftsrechts jedenfalls verpflichtet sicherzustellen, dass ein Fluggast seine Rechte nach der EU‑VO 261/2004 wirksam wahrnehmen und auch effektiv (gerichtlich) durchsetzen könne. Eine Klageführung gegen die Beklagte vor ihrem Sitzgericht erscheine mangels Anwendung der EU‑VO 261/2004 durch türkische Gerichte aussichtslos. Türkische Gerichte würden nämlich die „Verordnung über Fluggastrechte des türkischen Generaldirektorats für Zivilluftfahrt (kurz SHY‑Verordnung)“ anwenden, die eine Ausgleichsleitsung für den hier gegebenen Fall großer Verspätung nicht gewähre. Nach Art 5 Abs 2 Rom I (EU‑VO 593/2008 ) komme auf den streitgegenständlichen Beförderungsvertrag österreichisches Recht zur Anwendung, türkische Gerichte würden aber türkisches nationales Recht anwenden. Auch wenn türkische Gerichte die EU‑VO 261/2004 anwenden würden, wäre dennoch von einer übermäßigen Erschwernis für Verbraucher auszugehen, wenn diese ihre Rechte nur in einem Drittstaat und nicht innerhalb der EU wahrnehmen könnten.

Da das Ordinationsverfahren vor dem Obersten Gerichtshof ein einseitiges Verfahren ist, dem die Gegenseite nicht beigezogen wird (RIS‑Justiz RS0114932 [insb T2]), muss die von der Beklagten im Rahmen der Rekursbeantwortung erstattete Äußerung zum Ordinationsantrag unbeachtet bleiben.

Rechtliche Beurteilung

Der Ordinationsantrag ist abzuweisen.

Die Ordination hat nach § 28 JN zu unterbleiben, wenn ohnehin ein Gerichtsstand im Inland besteht, was der Oberste Gerichtshof anhand der Angaben im Ordinationsantrag zu prüfen hat (RS0117256, RS0114391). Ergeben sich aus dem Vorbringen des Antragstellers Anhaltspunkte für das Vorliegen des Gerichtsstands, so ist die beantragte Ordination entbehrlich und der Antrag daher abzuweisen (7 Nd 503/96; RS0102084; Garber in Fasching/Konecny³ § 28 JN Rz 13).

Gemäß § 99 Abs 3 JN können ausländische Anstalten, Vermögensmassen, Gesellschaften, Genossenschaften und andere Personenvereine bei dem inländischen Gerichte geklagt werden, in dessen Sprengel sich ihre ständige Vertretung für das Inland oder ein mit der Besorgung der Geschäfte solcher Anstalten und Gesellschaften betrautes Organ befindet. Der Gerichtsstand der inländischen Vertretung ausländischer juristischer Personen, die keinen allgemeinen Gerichtsstand im Inland haben (1 Ob 579/95), besteht unabhängig vom Umfang der inländischen Vertretung; unmaßgeblich ist auch, ob die Vertretungsmacht ausdrücklich oder durch schlüssiges Verhalten eingeräumt wurde (RS0057113; Simotta in Fasching/Konecny ³ § 99 JN Rz 84).

Wenn die Kläger selbst die beklagte Aktiengesellschaft mit dem Beisatz „Direktion für Österreich“ und einer Anschrift in Wien bezeichnet, liegen ausreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beklagte als international tätige Fluggesellschaft an der angegebenen Anschrift in Wien ein Geschäftslokal betreibt, das als ständige Vertretung in Österreich fungiert, an die auch Zustellungen für die Beklagte möglich sind und – wie der Akt ohnehin zeigt – auch angenommen werden.

Da ein inländischer Gerichtsstand für diese Rechtssache vorliegt, ist der Ordinationsantrag unberechtigt.

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