European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E125782
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Begründung:
Victoria ist die eheliche Tochter von Dr. S* und Mag. M*. Die Ehe der Eltern wurde mit Beschluss des Bezirksgerichts St. Pölten vom 14. 8. 2009 gemäß § 55a EheG geschieden. Aufgrund der im Scheidungsfolgenvergleich vom selben Tag getroffenen Vereinbarung kommt die Obsorge für Victoria der Mutter alleine zu.
Zuletzt beantragte der Vater am 25. 8. 2015 die Regelung seines Kontakt- und Ferienbesuchsrechts zu Victoria dergestalt, dass er Victoria an jedem ungeraden Wochenende von Freitag, 18:00 Uhr, bis Sonntag, 18:00 Uhr, und an einem Tag in der Woche nach der Schule bis 18:00 Uhr den Tag nur oder nach dem Geburtstag, sowie in den Weihnachtsferien am 25. 12. und vom 2. 1. bis 6. 1., jedes zweite Jahr in den Semesterferien, die ersten fünf Tage der Osterferien und eine Woche im Juli und drei Tage im August zu sich nehmen kann.
Die Mutter beantragte am 29. 9. 2015 die Aussetzung des Kontaktrechts, nachdem der Vater am 22. 9. 2015 (wiederholt erfolglos) beantragt hatte, ihm die alleinige Obsorge für Victoria zu übertragen. Victoria lehne ihren Vater – zumindest temporär – ab. Zwischen den Eltern bestehe seit der Geburt von Victoria keine Gesprächsbasis.
Am 12. 5. 2016 trafen die Eltern vor dem Erstgericht eine Vereinbarung, wonach dem Vater ein Kontaktrecht in der Form eingeräumt wurde, dass er berechtigt ist, Victoria an jedem Dienstag in den ungeraden Wochen in der Einrichtung „P*“ in der Zeit von 17:00 bis 19:00 Uhr zu treffen.
Nach dieser Einigung fand am 24. 5. 2016 von 17:00 Uhr bis 19:00 Uhr ein begleitetes Kontaktrecht in dieser Einrichtung statt. Danach gab es dort am 31. 5. 2016 und 21. 6. 2016 noch zwei weitere Treffen zur selben Uhrzeit. Der vereinbarte Termin am 5. 7. 2016 fand aufgrund einer Erkrankung von Victoria nicht statt.
Der für den 23. 8. 2016 vom Vater der Mutter bekanntgegebene begleitete Kontakttermin wurde vom Vater nie mit der Einrichtung „P*“ vereinbart. Stattdessen plante der Vater ohne entsprechende Zustimmung der Mutter den Nachmittag mit seiner Tochter ohne Begleitung des Besuchscafés zu verbringen. Unter dem Vorwand, dass die Einrichtung „P*“ geschlossen sei und er mit seiner Tochter in ein nahegelegenes Spielwarengeschäft fahre, um ihr Spielwaren zu kaufen, nahm der Vater Victoria einem Bekannten der Mutter ab, der das Kind zu den Besuchskontakten brachte. Unmittelbar darauf rief der Vater diesen Bekannten der Mutter an und teilte ihm mit, dass er es sich anders überlegt habe und nach Wien fahren werde. Tatsächlich rief der Vater die Halbschwester von Victoria an und ersuchte diese, mit ihm und Victoria durch die Innenstadt Wiens zu spazieren. Um 19:00 Uhr übernahm der Bekannte der Mutter Victoria beim Café Landtmann. Die Mutter war sowohl bei der Übergabe als auch bei Übernahme des Kindes dabei, hielt sich jedoch im Hintergrund. Sie selbst war über das Verhalten des Vaters schwer enttäuscht. Diese Enttäuschung bemerkte auch Victoria.
Nach diesem Vorfall äußerte Victoria den Wunsch, den Vater nicht mehr zu sehen, insbesondere bei diesem zu wohnen oder zu übernachten. Zu einem späteren Zeitpunkt (zB in fünf Jahren) kann sich Victoria die Aufnahme des Kontakts zum Vater vorstellen. Dieser von Victoria kundgetane Wunsch wird von Zielorientiertheit, Stabilität und Intensität getragen und ist nicht auf eine direkte Beeinflussung der Mutter zurückzuführen.
In der mündlichen Verhandlung am 14. 12. 2016 wiederholte die Mutter ihren Antrag auf Aussetzung des Kontaktrechts.
Mit Beschluss vom 15. 11. 2018 setzte das Erstgericht im zweiten Rechtsgang das Kontaktrecht des Vaters zu Victoria bis auf weiteres aus und wies den Antrag des Vaters auf Regelung des Kontakt- und Ferienbesuchsrecht vom 25. 8. 2015 ab. Das grob vereinbarungswidrige Handeln des Vaters am 23. 8. 2016, mit dem er einen (unangekündigten) unbegleiteten Kontakt zu Victoria herbeigeführt habe, sei der Mutter nicht zuzumuten und entspreche darüber hinaus auch nicht dem Kindeswohl. Zu berücksichtigen sei vor dem Hintergrund des Vorfalls auch, dass Victoria erklärt habe, ihren Vater (zumindest derzeit) nicht sehen zu wollen.
Das Rekursgericht gab dem gegen die Aussetzung des Kontaktrechts vom Vater erhobenen Rekurs nicht Folge und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.
Eine Besuchsrechtsversagung sei erst zulässig, wenn davor alle gelinderen Mittel, die unter Wahrung des Kindeswohls eine Besuchsrechtsausübung ermöglichen würden, ausgeschöpft worden seien. Das im Interesse des Kindes gelegene Besuchsrecht dürfe nur aus besonderen triftigen Gründen vorübergehend eingestellt werden. Das eigenmächtige Abgehen des Vaters von den vereinbarten begleiteten Kontakten und die einseitige Herbeiführung eines unbegleiteten Kontakts zu Victoria im Jahr 2016 hätten gezeigt, dass aufgrund beim Vater gelegener Umstände die Ausübung des Kontakts in begleiteter Form als gelinderes Mittel nicht mehr möglich gewesen bzw vom Vater nicht mehr angenommen worden sei. Der Vater habe in keiner Weise dargelegt, dass ihm an der Ausübung eines begleiteten Besuchskontakts gelegen sei. Wenn das Erstgericht mit seiner Aussetzung des Kontaktrechts „bis auf weiteres“ im Ergebnis zum Schluss komme, dass damit auch die Beibehaltung des zuletzt im Mai 2016 vereinbarten begleiteten Kontaktrechts dem Wohl des Kindes widerspreche, sei darin kein Rechtsirrtum zu erkennen.
Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs des Vaters mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Mutter beantragte in der ihr freigestellten Revisionsrekursbeantwortung, das Rechtsmittel des Vaters zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Rekursgerichts zulässig und im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt.
1. Das Recht auf persönliche Kontakte stellt als „Grundrecht der Eltern-Kind-Beziehung“ ein allgemein anerkanntes, unter dem Schutz des Art 8 MRK stehendes Menschenrecht dar (RIS-Justiz RS0047754; Hopf in KBB5 §§ 187–188 Rz 1; Nademleinsky in Schwimann/Kodek, ABGB5 Bd 1 § 187 Rz 1). Sein Zweck ist es, die Bindung zwischen Eltern und Kind aufrecht zu erhalten, eine gegenseitige Entfremdung zu verhindern und dem nicht betreuenden Elternteil die Möglichkeit zu geben, sich von der Erziehung und dem Gesundheitszustand des Kindes zu überzeugen (RS0049070; Fischer-Czermak in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.05 § 187 Rz 1). Auch eine bereits eingetretene Entfremdung ist kein Grund, dem Kind oder dem nicht im gemeinsamen Haushalt lebenden Elternteil die Ausübung des Besuchsrechts zu versagen. Der Zweck des Besuchsrechts liegt dann darin, die eingetretene Entfremdung behutsam und durch eine dem Kindeswohl entsprechende Ausgestaltung wieder abzubauen (RS0049070 [T17]).
Einem Elternteil steht das Kontaktrecht nur insoweit nicht zu, als das Wohl des Kindes durch dessen Ausübung massiv gefährdet werden würde. Nur bei einer derartigen schwerwiegenden Gefährdung hat in einem – selbst unverschuldeten – Konfliktfall der Kontaktrechtsanspruch eines Elternteils gegenüber dem Kindeswohl zurückzutreten (RS0047955, RS0048068).
Die gänzliche Unterbindung des persönlichen Kontakts zwischen einem Elternteil und seinem Kind hat die Ausnahme zu sein; jede sich ohne Gefährdung des Kindeswohls bietende Möglichkeit einer Kontaktaufnahme muss genutzt werden (RS0047754 [T15]).
2. Die Vorinstanzen haben hier das Kontaktrecht des Vaters zu Victoria ausgesetzt, obgleich keine Feststellungen getroffen wurden, die den Schluss zuließen, dass die (weitere) Ausübung eines (begleiteten) Kontaktrechts durch den Vater das Kindeswohl gefährden würde.
Vielmehr wurde festgestellt, dass Victoria im Laufe der begleiteten Besuchskontakte Interesse und Freude an der Interaktion mit ihrem Vater zeigte, dieser sichtlich bemüht war, eine Beziehung zu seiner Tochter herzustellen und die Besuchszeit mit adäquaten Spielangeboten kurzweilig zu gestalten. In den Kontakten zwischen Victoria und ihrem Vater gab es überwiegend stimmige und gegenseitige interessierte Begegnungen zu beobachten.
Die Ansicht des Erstgerichts, das eigenmächtige Vorgehen des Vaters am 23. 8. 2016 habe dem Kindeswohl nicht entsprochen, trifft zwar insoweit zu, als Victoria, auch wenn sie – wie das Rekursgericht festhält – während des Treffens selbst nicht belastet war, anschließend die Enttäuschung ihrer Mutter über das vereinbarungswidrige Verhalten des Vaters bemerkt hat. Daraus ergibt sich aber noch nicht, dass weitere – begleitete – Kontakte zum Vater dem Kindeswohl massiv widerstreiten würden.
3. Nur mit dem nach diesem Vorfall von der mittlerweile zehnjährigen Victoria geäußerten Wunsch, ihren Vater nicht mehr zu sehen, lässt sich die Aussetzung des Kontaktrechts nicht begründen.
Der Wille des Kindes stellt ein wichtiges, jedoch nicht allein maßgebliches Kriterium dar, da dieser nicht selten von außen beeinflusst ist und Schwankungen unterliegen kann. Je älter ein bereits einsichts- und urteilsfähiges Kind ist, desto eher wird seinem Wunsch zu entsprechen sein (RS0047937 [T6], 2 Ob 19/11z mwN). Ein unmündiges Kind ist aber typischerweise nicht in der Lage, rational zu beurteilen, welche konkrete Ausgestaltung seiner zukünftigen Beziehungen zu den beiden Elternteilen für seine Entwicklung am Günstigsten ist (RS0047937 [T8]).
Auch wenn hier eine direkte Beeinflussung Victorias durch die Mutter nicht vorliegt, steht eine von der Gerichtssachverständigen in ihrem Gutachten beschriebene mittelbare Beeinflussung im Raum (ON 229, Seite 53). Deren Bedeutung für Victorias Entschluss, keinen Kontakt mehr zu ihrem Vater haben zu wollen, ist bislang ebenso unklar, wie die längerfristigen Konsequenzen dieser Einstellung auf das Kindeswohl. Immerhin steht die ablehnende Haltung Victorias in einem gewissen – bisher nicht auflösbaren – Widerspruch dazu, dass sich nach den Feststellungen das begleitete Kontaktrecht bis zum Vorfall am 23. 8. 2016 durchwegs positiv gestaltet hat.
Aufgrund des derzeit festgestellten Sachverhalts kann daher nicht abschließend beurteilt werden, ob die vollständige Aussetzung der Kontakte zum Vater dem Kindeswohl tatsächlich besser gerecht wird, als ein begleitetes Kontaktrecht.
Nur wenn ein erzwungener Kontakt das Kindeswohl gefährden würde, wäre ein Kontaktrecht nicht zu bewilligen (vgl 5 Ob 59/08z).
Das Erstgericht wird dazu ergänzende Feststellungen zu treffen haben.
4. Entgegen der Meinung des Rekursgerichts hat der Vater mit seinem eigenmächtigen Vorgehen am 23. 8. 2016 nicht zu erkennen gegeben, nicht wenigstens die vereinbarten begleiteten Kontakte zu Victoria wahrnehmen zu wollen, sollte er mit seinen darüber hinausgehenden Kontaktrechtsanträgen nicht durchdringen.
5. Die Beschlüsse der Vorinstanzen waren daher aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückzuverweisen.
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