European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0100NC00023.19T.0723.000
Spruch:
Die mit Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 2. Mai 2019, GZ 2 Ps 159/11y‑175, gemäß § 111 JN verfügte Übertragung der Zuständigkeit zur Besorgung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Innsbruck wird genehmigt.
Begründung:
Nachdem die Mutter die Familie im Dezember 2006 verlassen hatte (S***** war damals gut ein halbes Jahr alt), wuchs S***** bei ihrem Vater in Innsbruck auf. Im März 2008 wurde die Ehe der Eltern aus dem alleinigen Verschulden der Mutter geschieden (ON S 40). Mit Beschluss vom 21. 11. 2007 (ON S 47) sprach das Bezirksgericht Innsbruck dem Vater die alleinige Obsorge für S***** zu. Als der Vater 2011 mit S***** von Innsbruck nach Wien übersiedelte, übertrug das Bezirksgericht Innsbruck mit Beschluss vom 17. August 2011 die Zuständigkeit zur Besorgung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Innere Stadt Wien (ON 86).
Nachdem S***** den Wunsch geäußert hatte, zur Mutter zu ziehen, die in Innsbruck geblieben war, sprach das Bezirksgericht Innere Stadt Wien mit Beschluss vom 14. Juni 2018 (ON 145) die Obsorge vorläufig der Mutter allein zu; S***** lebte schon seit 14. Mai 2018 bei der Mutter. Im November 2018 übersiedelte S***** mit Zustimmung der Mutter in ein Kinderzentrum in Innsbruck.
Mit – unangefochten gebliebenem – Beschluss vom 2. Mai 2019 (der entgegen der elektronischen Unterfertigungsstampiglie der Ausfertigung von der Richterin gefasst wurde) übertrug das Bezirksgericht Innere Stadt Wien die Pflegschaftssache gemäß § 111 JN dem Bezirksgericht Innsbruck (ON 175). Als Begründung wurde ausgeführt, dass sich S***** seit geraumer Zeit in Innsbruck aufhalte und ihre Anhörung erforderlich sein werde. Auch die in Wien bestellte Kinderbeiständin sei aufgrund der Entfernung nicht mehr in der Lage, guten Kontakt zu S***** zu halten.
Das Bezirksgericht Innsbruck verweigerte die Übernahme unter Hinweis darauf, dass ein von der Mutter gestellter Antrag auf Übertragung der alleinigen Obsorge seit 2017 offen sei. Es sei derzeit nicht geklärt, ob S***** dauerhaft in Innsbruck verbleiben oder doch wieder nach Wien zum Vater zurückkehren werde.
Eine am 23. Mai 2019 vom Bezirksgericht Innere Stadt Wien vorgenommene telefonische Erhebung beim Kinderzentrum brachte hervor, dass für S***** eine Rückkehr nach Wien „kein Thema sei“. Sie habe sich gut eingelebt und auch wieder regelmäßigen Kontakt zur Mutter, wolle aber in der Wohngemeinschaft bleiben.
Das Bezirksgericht Innere Stadt Wien legte den Akt – nach Rechtskraft des Übertragungsbeschlusses – dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung gemäß § 111 Abs 2 JN vor.
Rechtliche Beurteilung
Die Zuständigkeitsübertragung ist zu genehmigen.
Gemäß § 111 Abs 1 JN kann das Pflegschaftsgericht die Zuständigkeit einem anderen Gericht übertragen, wenn dies im Interesse des Minderjährigen oder sonstiger Pflegebefohlener gelegen erscheint, insbesondere, wenn dadurch die wirksame Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird. Ausschlaggebendes Kriterium einer Zuständigkeitsübertragung nach dieser Gesetzesstelle sind stets die Interessen des Kindes (RS0047074). Dabei ist in der Regel das Naheverhältnis zwischen Pflegebefohlenem und Gericht von wesentlicher Bedeutung, sodass im Allgemeinen jenes Gericht am besten geeignet ist, in dessen Sprengel der/die Minderjährige seinen/ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat und der Mittelpunkt der Lebensführung liegt (RS0047300). Offene Anträge sprechen im Allgemeinen nicht gegen eine Zuständigkeitsübertragung, sofern nicht dem übertragenden Gericht für die ausstehende Entscheidung besondere Sachkenntnis zukommt (RS0047032).
Bei einem unerledigten Obsorgeantrag kann eine Zuständigkeitsübertragung zwar unzweckmäßig sein, weil noch nicht feststeht, ob das Kind überhaupt im Sprengel des Gerichts bleiben wird, an das die Zuständigkeit übertragen werden soll (RS0047027 [T2]). Eine Entscheidung durch das bisher zuständige Gericht ist aber auch in diesen Fällen nur dann sinnvoll, wenn dieses bereits über entsprechende Sachkenntnisse verfügt oder jedenfalls in der Lage ist, sich diese Kenntnisse leichter zu verschaffen als das andere Gericht. Nur dann ist es für den Pflegebefohlenen von Vorteil, dass das bisher zuständige Gericht über den Obsorgeantrag entscheidet.
Im vorliegenden Fall sind Gründe, warum eine Entscheidung durch das Bezirksgericht Innere Stadt Wien zweckmäßiger sein sollte, nicht ersichtlich. Im Vordergrund der gerichtlichen Ermittlungen werden die Klärung der Zukunftspläne der mittlerweile 13‑jährigen S***** und die Erhebung der aktuellen Lebensverhältnisse der Mutter stehen. Diese für die Obsorgeentscheidung bedeutsamen Umstände können am effizientesten vom Bezirksgericht Innsbruck ermittelt werden.
Aus diesen Erwägungen liegen ausreichende Gründe dafür vor, dass als Pflegschaftsgericht das Bezirksgericht Innsbruck (als Gericht des nunmehrigen Aufenthaltsorts des Kindes und der die alleinige Obsorge beantragenden Mutter) tätig wird.
Die Übertragung ist daher zu genehmigen.
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