OGH 8Ob161/18m

OGH8Ob161/18m25.1.2019

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely‑Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** S*****, vertreten durch Brand Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei H***** Republik, *****, vertreten durch Weber Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 58.201,99 EUR sA, über den Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 16. März 2017, GZ 4 R 25/17h‑27, mit dem der Beschluss des Landesgerichts Feldkirch vom 24. Jänner 2017, GZ 57 Cg 28/16d‑22, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0080OB00161.18M.0125.000

 

Spruch:

1. Das mit Beschluss vom 30. Mai 2017 unterbrochene Revisionsrekursverfahren wird fortgesetzt.

2. Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.880,82 EUR (darin enthalten 313,47 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung und die mit 2.256,84 EUR (darin enthalten 376,14 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Der Kläger erwarb über eine österreichische Depotbank mit Buchungsdatum 21. 7. 2011 Staatsanleihen der Beklagten als Emittentin im Nominale von 62.000 EUR. In der Folge wurden die Anleihen des Klägers auf Grundlage des Gesetzes Nr 4050/2012 der Beklagten zwangskonvertiert und gegen neue Staatsanleihen mit einem niedrigeren Nominalwert umgetauscht. Der Kläger verkaufte die konvertierten Anleihen am 6. 6. 2012 um 12.947,01 EUR und begehrt von der Beklagten den Ersatz der Differenz zum Nominalwert.

Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens ist (nur mehr) die Frage der internationalen Zuständigkeit österreichischer Gerichte.

Das Erstgericht verneinte eine solche und wies die Klage zurück.

Das Rekursgericht änderte diese Entscheidung (soweit noch relevant) dahin ab, dass es die Einrede der internationalen Unzuständigkeit verwarf und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens auftrug. Der Kläger könne den Gerichtsstand des Erfüllungsorts nach Art 7 Nr 1 EuGVVO 2012 in Anspruch nehmen.

Mit Beschluss vom 30. 5. 2017 (8 Ob 47/17w) hat der Oberste Gerichtshof den außerordentlichen Revisionsrekurs der Beklagten teilweise zurückgewiesen und im Übrigen das Revisionsrekursverfahren bis zur Entscheidung über das präjudizielle, zu 10 Ob 34/16x gestellte Vorabentscheidungsersuchen unterbrochen.

I. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat mit Urteil vom 15. 11. 2018, C‑308/17, Hellenische Republik/Kuhn, über die ihm vom Obersten Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen zur Auslegung des Art 7 Nr 1 lit a der Verordnung (EU) Nr 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. 12. 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO 2012), denen auch für das vorliegende Verfahren Bedeutung zukommt, entschieden. Das unterbrochene Revisionsverfahren war daher mit Beschluss von Amts wegen fortzusetzen.

Der Kläger hat die ihm nach § 528 Abs 2a ZPO freigestellte Revisionsrekursbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

II. Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt, weil die Entscheidung des Rekursgerichts im Lichte des Ergebnisses des Vorabentscheidungsverfahrens keinen Bestand haben kann.

Der EuGH kam in seinem Urteil vom 15. 11. 2018 unter ausdrücklichem Hinweis auf den „außergewöhnlichen Kontext“ und die „außergewöhnlichen Umstände einer schweren Finanzkrise“, die eine „außergewöhnliche Lösung“ erfordere (C‑308/17 Rn 40) – zum Ergebnis, dass der Rechtsstreit nicht unter den Begriff der „Zivil‑ und Handelssachen“ iSd EuGVVO 2012 und damit nicht in den Anwendungsbereich der EuGVVO 2012 falle (C‑308/17 Rn 28 ff). Er führte zusammengefasst aus:

„36 In Bezug auf den Ausgangsrechtsstreit ist daher zu ermitteln, ob er auf Handlungen der Hellenischen Republik zurückgeht, die einer Ausübung hoheitlicher Rechte entspringen.

37 Wie der Generalanwalt in den Nrn. 62 ff seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ergibt sich die Ausübung solcher Rechte im vorliegenden Fall sowohl aus der Natur und den Modalitäten der Änderungen der Vertragsbeziehung zwischen der Hellenischen Republik und den Inhabern der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Staatsanleihen als auch aus den außergewöhnlichen Umständen, unter denen diese Änderungen eingetreten sind.

38 Nachdem der griechische Gesetzgeber das Gesetz Nr. 4050/2012 erlassen und dadurch rückwirkend eine CAC eingeführt hatte, wurden die Anleihen nämlich durch neue Anleihen mit einem erheblich niedrigeren Nennwert ersetzt. Eine derartige Ersetzung von Anleihen war weder in den ursprünglichen Anleihebedingungen vorgesehen noch in den griechischen Rechtsvorschriften, die zum Zeitpunkt der Emission der nach diesen Bedingungen begebenen Anleihen galten.

39 Die rückwirkende Einführung einer CAC ermöglichte es der Hellenischen Republik somit, allen Anleiheinhabern eine wesentliche Änderung der finanziellen Bedingungen dieser Anleihen aufzuerlegen, und zwar auch jenen, die mit dieser Änderung nicht einverstanden waren.

40 Außerdem erfolgte der erstmalige Rückgriff auf die rückwirkende Einführung einer CAC und die daraus resultierende Änderung der erwähnten finanziellen Bedingungen im außergewöhnlichen Kontext und unter den außergewöhnlichen Umständen einer schweren Finanzkrise. Die Maßnahmen gingen insbesondere auf die im Rahmen eines zwischenstaatlichen Unterstützungsmechanismus bestehende Notwendigkeit zurück, die griechische Staatsschuld umzustrukturieren und die Gefahr des Scheiterns des entsprechenden Umstrukturierungsplans auszuschließen, um den Zahlungsausfall Griechenlands zu verhindern und die Finanzstabilität des Euro‑Währungsgebiets sicherzustellen. In Erklärungen vom 21. Juli und vom 26. Oktober 2011 bekräftigten die Staats‑ und Regierungschefs des Euro‑Währungsgebiets daher, dass in Bezug auf die Beteiligung des privaten Sektors die Situation der Hellenischen Republik eine außergewöhnliche Lösung erfordere.

41 Der außergewöhnliche Charakter dieser Situation ergibt sich auch daraus, dass gemäß Art. 12 Abs. 3 des ESM‑Vertrags ab dem 1. Januar 2013 alle neuen Staatsschuldtitel des Euro‑Währungsgebiets mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr Umschuldungsklauseln enthalten, die so ausgestaltet sind, dass gewährleistet wird, dass ihre rechtliche Wirkung in allen Rechtsordnungen des Euro‑Währungsgebiets gleich ist.

42 Somit ist angesichts des außergewöhnlichen Charakters der Bedingungen und der Umstände, unter denen das Gesetz Nr. 4050/2012 erlassen wurde, mit dem die ursprünglichen Anleihebedingungen der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Staatsanleihen durch Einführung einer CAC einseitig und rückwirkend geändert wurden, sowie des mit diesem Gesetz verfolgten im Allgemeininteresse liegenden Ziels festzustellen, dass der Ausgangsrechtsstreit auf eine Wahrnehmung hoheitlicher Rechte zurückgeht und aus Handlungen des griechischen Staates in Ausübung dieser hoheitlichen Rechte resultiert, so dass er nicht unter den Begriff 'Zivil‑ und Handelssachen' im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 fällt.

43 Nach alledem ist auf die gestellte Frage zu antworten, dass Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 dahin auszulegen ist, dass ein Rechtsstreit wie der des Ausgangsverfahrens, den eine natürliche Person, die von einem Mitgliedstaat begebene Anleihen erworben hatte, gegen diesen führt, wobei sich ihre Klage gegen den Austausch der genannten Anleihen gegen Anleihen mit einem niedrigeren Wert richtet, der ihr durch ein vom nationalen Gesetzgeber unter außergewöhnlichen Umständen erlassenes Gesetz auferlegt wurde, mit dem die Anleihebedingungen einseitig und rückwirkend geändert wurden, indem eine CAC eingeführt wurde, die es der Mehrheit der Inhaber der betreffenden Anleihen ermöglicht, der Minderheit diesen Austausch aufzuzwingen, nicht unter den Begriff 'Zivil‑ und Handelssachen' im Sinne dieser Bestimmung fällt.“

Nach diesem Ergebnis ist die EuGVVO im vorliegenden Fall nicht anwendbar, sodass es keiner Auseinandersetzung mit den einzelnen vom Kläger geltend gemachten Zuständigkeitstatbeständen nach dieser Verordnung bedarf (vgl 10 Ob 104/18v). Daran vermag auch die in der Revisionsrekursbeantwortung geäußerte inhaltliche Kritik an der Begründung der Entscheidung des EuGH nichts zu ändern.

Dem Revisionsrekurs war daher Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

Stichworte