European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0260DS00004.18I.1213.000
Spruch:
Der Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Erkenntnis aufgehoben und die Beschuldigte vom Vorwurf freigesprochen, sie habe im Pflegschaftsverfahren betreffend den mj P***** zu AZ ***** des Bezirksgerichts ***** als Vertreterin des Kindesvaters mit Schriftsatz vom 10. Mai 2016 die Bestellung der ***** zur Sachverständigen vorgeschlagen, ohne offenzulegen, dass sie gleichzeitig die genannte Sachverständige im Rahmen eines Schadenersatzprozesses als Beklagte vertritt.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde die Beschuldigte des Disziplinarvergehens der Berufspflichtenverletzung nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt schuldig erkannt.
Danach habe sie im Pflegschaftsverfahren betreffend den mj P***** zu AZ ***** des Bezirksgerichts ***** als Vertreterin des Kindesvaters mit Schriftsatz vom 10. Mai 2016 die Bestellung der ***** zur Sachverständigen vorgeschlagen, ohne offenzulegen, dass sie gleichzeitig die genannte Sachverständige im Rahmen eines Schadenersatzprozesses als Beklagte vertritt.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die Berufung der Beschuldigten wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO; RIS‑Justiz RS0128656) sowie wegen der Aussprüche über die Schuld und (implizit: § 49 letzter Satz DSt) die Strafe.
Der Disziplinarrat führt in seiner rechtlichen Beurteilung aus, dass die Disziplinarbeschuldigte in zweierlei Hinsicht gegen die Treuepflicht des § 9 Abs 1 RAO verstoßen habe:
Sie habe bewusst billigend eine Interessenkollision in Kauf genommen, weil sie die Sachverständige ***** in einem Zivilverfahren als beklagte Partei auch dann vertreten müsse, wenn deren Gutachten dem von ihr (ebenfalls) vertretenen Kindesvater im Pflegschaftsverfahren zum Nachteil gereiche. Zudem widerstreite die Verschweigung des Vertretungsverhältnisses der Treuepflicht gegenüber der Sachverständigen. Ergänzend verweist der Disziplinarrat auf (richtig [vgl § 59 Abs 1 RL‑BA 2015]:) § 10 Abs 1 Z 3 RL‑BA 2015, der „gerade eine solche Interessenskollision“ zu vermeiden versuche.
Im Ergebnis zutreffend zeigt die Berufungswerberin auf (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO), dass die vom Disziplinarrat konkret genannten Berufspflichten (vgl Feil/Wennig , Anwaltsrecht 8 § 1 DSt S 857; Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek , RAO 9 § 1 DSt Rz 5) von ihr nicht verletzt wurden, weil sie in den in Rede stehenden Verfahren keine für ihre Klienten schädigende, benachteiligende oder treuwidrige Handlungen (§ 9 Abs 1 RAO) setzte:
1. Im Verfahren AZ ***** des Bezirksgerichts ***** hat die Beschuldigte eine ihr qualifiziert erscheinende Sachverständige genannt (ES 4). Soweit das Erkenntnis diesbezüglich problematisiert, dass die Sachverständige hierdurch einer „Interessenkollision“ (wegen Befangenheit) ausgesetzt worden sein könnte, ist zu entgegnen, dass es (ihrem Eid verpflichtet) bei dieser gelegen wäre, auch ohne konkrete Benennung des anhängigen Verfahrens – eine allfällige (tatsächlich jedoch ohnedies nicht bestehende [vgl neuerlich ES 4]) Befangenheit anzuzeigen und sie einer Bestellung hätte entgegentreten können. Die Abklärung einer allenfalls bestehenden Befangenheit eines Sachverständigen obliegt nicht dem diese Person vorschlagenden Rechtsanwalt.
2. Im Verfahren wegen Schadenersatz, in dem die Beschuldigte die Sachverständige als beklagte Partei vertrat, würde nur eine konkrete Gefährdung von Klienteninteressen die zur Last gelegte, im Erkenntnis als Interessenkollision bezeichnete Treuwidrigkeit begründen, nicht aber ein rein hypothetischer zukünftiger Geschehensablauf in anderen, mit dem in Rede stehenden in keinem Zusammenhang stehenden Verfahren. Allein wegen eines – wenn auch den Prozessstandpunkt ihres Klienten allenfalls nicht stützenden –Gutachtens im Pflegschaftsverfahren ist nicht auf einen (unsachlichen und negativen) Einfluss bei der zukünftigen Vertretungstätigkeit der Beschuldigten im Schadenersatzprozess zu schließen. Nicht tragfähig sind die diesbezüglichen Erwägungen des Disziplinarrats, wonach die Beschuldigte rechtmäßig gehandelt hätte, wenn sie den beabsichtigten Vorschlag gegenüber der Sachverständigen und dem Kindesvater sowie das Vertretungsverhältnis im Pflegschaftsverfahren offengelegt hätte (ES 6), ist doch nicht zu erkennen, wie die Offenlegung im Pflegschaftsverfahren die im Schadenersatzprozess befürchtete „Interessenkollision“ bei für den Kindesvater (hypothetischer) negativer Gutachtenserstattung beeinflusse oder verhindere.
3. Nach § 10 Abs 1 RL‑BA 2015 darf der Rechtsanwalt – in Wahrung seiner Treuepflicht – ein neues Mandat nicht übernehmen, wenn dies die Wahrnehmung der Interessen der jeweiligen Klienten in den jeweils anvertrauten Mandaten beeinträchtigt. Er muss ein bestehendes Mandat gegenüber allein betroffenen Klienten unverzüglich niederlegen, wenn und sobald es zu einem Interessenkonflikt zwischen diesen Klienten kommt (§ 10 Abs 1 Z 3 RL‑BA 2015). Voraussetzung dafür ist das tatsächliche Aufbrechen eines Interessenkonflikts, somit das Vorliegen einer ganz konkreten Konfliktsituation, mag sie auch den Parteien noch nicht bewusst sein ( Engelhart in Engelhart/ Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO 9 § 12a RL‑BA 1977 Rz 7). Ein solcher konkreter Interessenkonflikt lag zum Zeitpunkt der Benennung der von der Beschuldigten vorgeschlagenen Sachverständigen nicht vor. Erst bei Entwicklung eines der Verfahren in eine Richtung, die eine konkrete Interessenkollision ergäben hätte, wäre die Beschuldigte zur Niederlegung der Mandate verpflichtet gewesen.
4. Entgegen den Ausführungen des Kammeranwalts, wonach der Beschuldigten eine Verletzung der Treuepflicht nach § 9 Abs 1 RAO dahin vorzuwerfen sei, dass sie die Sachverständige ohne vorherige Kontaktaufnahme mit ihr namhaft gemacht habe, ist festzuhalten, dass dieser Vorwurf nicht vom Schuldspruch (und auch nicht vom Einleitungsbeschluss) umfasst ist und sich der Schuldspruch vielmehr auf die Namhaftmachung der Sachverständigen ohne Offenlegung des Vertretungsverhältnisses bezieht. Im Übrigen wäre es der Sachverständigen freigestanden, anlässlich ihrer Bestellung (zu der es ohnedies nicht gekommen ist) auf eine mögliche Befangenheit infolge des bestehenden Mandats hinzuweisen, ohne Details des Verfahrens (Haftungsprozess) offenzulegen.
Der Berufung war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – stattzugeben, das angefochtene Erkenntnis aufzuheben und die Beschuldigte freizusprechen.
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