European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0070OB00157.18S.0926.000
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben. Die angefochtenen Entscheidungen werden dahin abgeändert, dass das Urteil einschließlich des unbekämpft abgewiesenen Zinsenbegehrens zu lauten hat:
„Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 218.019 EUR samt 4 % Zinsen seit 20. September 2014 binnen 14 Tagen zu bezahlen, wird abgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig der beklagten Partei die mit 11.162,48 EUR (darin enthalten 199,08 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens bei sonstiger Exekution zu bezahlen.“
Die klagende Partei ist weiters schuldig, der beklagten Partei die mit 25.389,60 EUR (darin enthalten 20.039 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin ist Eigentümerin einer Kunstsammlung. Die Beklagte ist ein internationaler Spezialversicherer und bietet Kunstversicherungen für Privatpersonen und Institutionen an. Zwischen den Parteien besteht ein Kunstversicherungsvertrag. Der Versicherungsschein lautet auszugsweise:
„ Vertragsbestandteil sind der Antrag, die Deklarationen mit den dort genannten Bedingungen, Klauseln und – soweit beigefügt – Sonderbedingungen.
[...]
Für die folgenden versicherten Gegenstände gelten einheitlich die Bedingungen H ***** Haus & Kunst Allgefahren (Stand 5/2001), etwaige beigefügte Klauseln, Deklarationen und Sondervereinbarungen. Der vorliegende Versicherungsschein zusammen mit der beigefügten Versicherungspolice zeigt Ihnen den Umfang des Versicherungsschutzes auf. [...]
Besondere Vereinbarungen und Klauseln
Ergänzend zu den H ***** Haus & Kunst Bedingungen gilt folgende Sondervereinbarung:
- Witterungsniederschläge gelten mitversichert
- Beschädigungen durch Haustiere gelten mitversichert [...]
Gerichtsstand ist Österreich. Es gilt das österreichische Versicherungsgesetz.
[...]
In Abänderung der geltenden Versicherungsbedingungen gilt das H ***** Wording 'Art of business'.
Folgende Risikoorte gelten als versichert:
[...]
'Unnamed Locations ' sowie die An-/Rücktransporte gelten bis zu max. 30 Tagen als automatisch mitversichert (innerhalb Europas).“
Die allgemeinen Versicherungsbedingungen mit dem Titel „Versicherungspolice Haus & Kunst“ (Stand 5/2001) der Beklagten lauten auszugsweise:
„ Was Sie über diese Versicherung wissen sollten
[...]
Allgefahren-Versicherung
Diese Versicherung ist eine Allgefahren-Versicherung. Damit sind Sie grundsätzlich gegen alle denkbaren Gefahren versichert, mit Ausnahme der ausdrücklich ausgeschlossenen.
[...]
Abschnitt B
Hausrats-, Kunst- und Wertgegenstände
I. Die versicherten Sachen
[...]
- Ihre Kunstgegenstände.
[...]
II. Der Versicherungsschutz
[...]
2. Außerhalb des Versicherungsortes
Während einer vorübergehenden Entfernung der versicherten Sachen vom Versicherungsort von bis zu drei Monaten gilt folgender Versicherungsschutz:
[...]
- Ihre Kunstgegenstände sind weltweit gegen Beschädigung, Zerstörung oder Verlust als Folge aller Gefahren versichert, es sei denn, wir haben mit Ihnen im Versicherungsschein andere geografische Grenzen vereinbart; [...]
IV. Die Ausschlüsse
Diese Versicherung erstreckt sich nicht auf: Schäden infolge von:
[...]
4. Diebstahl, Raub, Vandalismus oder der Versuch hiervon, sofern die Gebäude ganz oder teilweise nicht für Wohnzwecke eingerichtet sind oder ganz oder teilweise an Dritte – ausgenommen Verwandte – vermietet oder überlassen worden sind;
[...].
Generelle Ausschlüsse
[...]
Soweit nicht im Versicherungsschein ausdrücklich eingeschlossen, deckt die Versicherung nicht:
[...]
2. Schäden durch:
- Um- oder Ausbauarbeiten, strukturelle Änderungen, Reparatur, Wartung, Renovierung, Restaurierung, Reinigung oder ähnliche Vorgänge, fehlerhafte oder mangelhafte Ausführung von Arbeiten oder Verwendung mangelhafter Materialien (z.B. Bau- und Konstruktionsmängel);
[...]
- Veruntreuung, Unterschlagung, Betrug oder Erpressung.
[...]“
Das im Versicherungsschein genannte H***** Wording „Art of Business“ lautet auszugsweise:
„ Umfang der Versicherung
Versichert sind die im Zertifikat beschriebenen Kunstgegenstände gegen alle Gefahren (Verlust oder Beschädigung) während sie sich an dem/den in dem Versicherungsverzeichnis genannten Standort(en) und innerhalb der angegebenen Gebietsbeschränkungen befinden. Das Nähere regeln die nachfolgenden Ausschlüsse, die Wertevereinbarung, Deklarationen und weiteren vertraglichen Vereinbarungen (Vertragsbedingungen, Besondere Vereinbarungen, Klauseln und Sonderbestimmungen).
[...]
Ausschlüsse
Von dieser Versicherung ausgeschlossen sind Verlust oder Beschädigung verursacht durch oder als Folge von:
a) natürlicher Alterung, langsamem Verfall, inhärenten Schäden, Rost und Oxidation, Motten bzw. Ungeziefer, Verziehen oder Schwund; es sei denn, diese Schäden sind als Folgeschäden eines anderen Schadenereignisses eingetreten;
b) Reparatur, Restaurierung, Retusche oder ähnliche r Arbeiten;
c) Verlust, Schaden oder Haftung, direkt oder indirekt verursacht, entstanden durch oder als Folge von Krieg, Invasion, Handlungen feindlicher Mächte, Feindseeligkeiten (mit oder ohne Kriegserklärung), Bürgerkrieg, Rebellion, Revolution, Aufstand, Militär- oder widerrechtlich angeeigneter Herrschaft.
d) Verlust oder Schaden verursacht oder als Folge von Konfiszierung, Verstaatlichung, Beschlagnahme, Zerstörung oder Beschädigung von Eigentum durch oder auf Anweisung von jeglicher Regierung, staatlicher oder örtlicher Behörde.
e) ionisierende Strahlung oder Kontamination durch Radioaktivität von nuklearen Brennstoffen oder von jeglichem radioaktivem Abfall aus der Verbrennung von Kernbrennstoffen.
f) radioaktiven, toxischen, explosiven oder anderen gefährlichen Eigenschaften von explosiven Kerneinheiten oder Kernelementen.
g) Kernreaktion, Kernstrahlung oder radioaktive Kontamination.
[...] “
Anfang April 2007 übergab die Klägerin die Originalzeichnung von Picasso „Stierkampf“, die ab Beginn des Versicherungsverhältnisses zwischen den Streitparteien bei der Beklagten mit einer Versicherungssumme in Höhe des Klagsbetrags versichert war, einem befugten Gewerbsmann für das Rahmen von Bildern an dessen Geschäftsadresse, mit dem Auftrag, die Zeichnung neu zu rahmen. Wie sich später herausstellte, ersetzte dieser das Original durch eine Kopie. Der Gewerbsmann wurde wegen des Vergehens der Veruntreuung strafgerichtlich verurteilt.
Die Klägerin begehrt die Auszahlung der Versicherungssumme. Im Hinblick auf die Abänderung der Allgemeinen Bedingungen durch das H***** Wording „Art of Business“ sei kein Haftungsausschluss für den Straftatbestand der Veruntreuung vereinbart worden.
Die Beklagte hielt dem – soweit für das Revisionsverfahren von Belang – entgegen, dass Schäden durch Veruntreuung durch die allgemeinen Versicherungsbedingungen Haus & Kunst (Stand 5/2001) ausgeschlossen seien. Diese Bedingungen seien durch das H***** Wording „Art of Business“ nicht verdrängt oder ersetzt. Auch seien Schäden als Folge von Reparatur und Restaurierung vom Versicherungsschutz ausgenommen.
Das Erstgericht schloss sich der Argumentation der Klägerin an und gab dem Klagebegehen statt.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es liege eine Allgefahrenversicherung vor. Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen seien durch das in dessen Abänderung vereinbarte H***** Wording „Art of Business“ verdrängt. Die tatsächlich vereinbarten Ausschlüsse beträfen gerade keinen Schaden durch Veruntreuung.
Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil keine oberstgerichtliche Judikatur zur Veruntreuung eines versicherten Kunstwerks durch einen beauftragten Kunsthandwerker bestehe und der Auslegung von Versicherungsbedingungen in Kunstversicherungen eine über den Einzelfall hinausgehende erhebliche Bedeutung zukomme.
Die Beklagte strebt in ihrer Revision die Abweisung des Klagebegehrens an.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen; hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Beklagten ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig ; sie ist auch berechtigt .
1. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914 f ABGB) auszulegen, und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RIS-Justiz RS0050063 [T71], RS0112256 [T10], RS0017960). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen; dabei ist der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung zu berücksichtigen (RIS-Justiz RS0008901 [insb T5, T7, T8, T87]). Unklarheiten gehen zu Lasten der Partei, von der die Formulierungen stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RIS-Justiz RS0050063 [T3]).
2. Die allgemeine Umschreibung des versicherten Risikos erfolgt durch die primäre Risikobegrenzung. Durch sie wird in grundsätzlicher Weise festgelegt, welche Interessen gegen welche Gefahren und für welchen Bedarf versichert sind. Auf der zweiten Ebene (sekundäre Risikobegrenzung) kann durch einen Risikoausschluss ein Stück des von der primären Risikobegrenzung erfassten Deckungsumfangs ausgenommen und für nicht versichert erklärt werden. Mit dem Risikoausschluss begrenzt also der Versicherer von vornherein den Versicherungsschutz, ein bestimmter Gefahrenumstand wird von Anfang an von der versicherten Gefahr ausgenommen (RIS-Justiz RS0080166 [T10]; vgl RS0080068).
3. Besondere Bedingungen haben grundsätzlich Vorrang vor Allgemeinen Versicherungsbedingungen (RIS‑Justiz RS0050063 [T11]). Laufen die in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen enthaltenen Ausschlüsse den in den Besonderen Bedingungen enthaltenen Bestimmungen zuwider, kommt den Allgemeinen Bedingungen keine rechtliche Bedeutung mehr zu (vgl 7 Ob 192/99g).
4. In den Allgemeinen Bedingungen ist ein „genereller Risikoausschluss“ für Veruntreuung vorgesehen, im laut Versicherungsschein „abändernden“ H***** Wording „Art of Business“ hingegen nicht. Zu prüfen ist daher hier, was ein durchschnittlich verständiger Versicherungsnehmer (RIS-Justiz RS0050063 [T71], RS0112256 [T10], RS0017960) im Gesamtzusammenhang unter „Abänderung“ versteht, ob also die Veruntreuung vom Versicherungsschutz (weiterhin) ausgeschlossen ist oder – wie die Vorinstanzen meinen – der Risikoausschluss Veruntreuung weggefallen ist.
4.1. Das H***** Wording „Art of Business“ bezieht sich nicht auf die gleichen Risikoausschlüsse wie in den Allgemeinen Bedingungen. Es finden sich darin keine sekundären Risikoeinschlüsse im Verhältnis zu den Allgemeinen Bedingungen. Das H***** Wording „Art of Business“ umfasst vielmehr eine Reihe von zusätzlichen Risikoausschlüssen. Es ist aus der Bedingungslage selbst kein sachlicher Grund erkennbar, warum die generellen Risikoausschlüsse in den Allgemeinen Bedingungen durch die Risikoausschlüsse im H***** Wording „Art of Business“ ersetzt werden und nicht nebeneinander bestehen sollten.
4.2. Das H***** Wording „Art of Business“ selbst verweist zum Umfang der Versicherung ausdrücklich darauf, dass „Näheres“ nicht nur die nachfolgenden Ausschlüsse regeln, sondern auch die „weiteren vertraglichen Vereinbarungen“ (Vertragsbedingungen, Besondere Vereinbarungen, Klauseln und Sonderbestimmungen) gelten. Das kann ein verständiger Versicherungsnehmer im Gesamtzusammenhang nur so auffassen, dass die in den Allgemeinen Bedingungen genannten Risikoausschlüsse durch jene im H***** Wording „Art of Business“ bloß ergänzt werden. Gerade der Verweis auf die (Weiter-)Geltung der anderen „vertraglichen Vereinbarungen“ spricht klar dafür, dass die generellen Risikoausschlüsse nicht durch jene im H***** Wording „Art of Business“ ersetzt werden sollen.
5. Der Schaden ist unstrittig durch Veruntreuung eingetreten und die Klage im Hinblick auf den vereinbarten Risikoausschluss daher abzuweisen. Auf die Auslegung des weiteren Risikoausschlusses zu Punkt b) im H***** Wording „Art of Business“ (Reparatur) kommt es nicht mehr an.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1, für das Rechtsmittelverfahren iVm § 50 Abs 1 ZPO. Die Vertagungsbitte war nicht zu honorieren (vgl Obermaier Kostenhandbuch Rz 1.273), hingegen erfolgte der Schriftsatz ON 7 in Reaktion auf den Schriftsatz der Klägerin ON 6. Der ERV-Zuschlag ist kein Barauslagenersatz ( Obermaier Kostenhandbuch Rz 3.30 mwN). Leistungen eines österreichischen Rechtsanwalts für einen ausländischen Unternehmer unterliegen nicht der österreichischen Umsatzsteuer. Verzeichnet der österreichische Anwalt im Prozess – kommentarlos – 20 % Umsatzsteuer, so wird im Zweifel nur die österreichische Umsatzsteuer angesprochen. Hier ist die Beklagte die deutsche Niederlassung einer Gesellschaft, deren Sitz ebenso unbekannt ist wie die Tatsache, wo sie umsatzsteuerpflichtig ist. Die zu entrichtende ausländische Umsatzsteuer konnte daher mangels entsprechender Behauptungen und Bescheinigungen nicht zugesprochen werden (vgl RIS-Justiz RS0114955).
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)