OGH 5Nc15/18b

OGH5Nc15/18b25.9.2018

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj L*****, geboren am *****, AZ 8 Ps 24/18b des Bezirksgerichts Dornbirn, infolge Vorlage zur Genehmigung der Übertragung gemäß § 111 JN an das Bezirksgericht Innere Stadt Wien den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0050NC00015.18B.0925.000

 

Spruch:

Die mit Beschluss des Bezirksgerichts Dornbirn vom 25. Juli 2018, GZ 8 Ps 24/18b‑25, gemäß § 111 Abs 1 JN verfügte Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Innere Stadt Wien wird genehmigt.

 

Begründung:

Die Eltern des Minderjährigen waren Lebensgefährten. Sie lebten in D*****.

Am 27. Februar 2018 beantragte der Vater, ihm die alleinige Obsorge für den Minderjährigen zu übertragen und den Aufenthaltsort des Kindes bei ihm in D***** bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Obsorgeantrag festzulegen. Die Mutter sei vor etwa einer Woche unmittelbar nach Erreichen ihrer Volljährigkeit mit dem Kind nach Wien zu ihren Eltern gezogen.

Das angerufene Bezirksgericht Innere Stadt Wien erklärte sich zur weiteren Verfahrensführung nicht zuständig und überwies das Verfahren an das Bezirksgericht Dornbirn, wo der Minderjährige seinen gewöhnlichen Aufenthalt habe und aufrecht gemeldet sei.

Das Bezirksgericht Dornbirn veranlasste im Hinblick auf die im Antrag in den Raum gestellte Kindeswohlgefährdung bei der Mutter bzw deren Eltern eine Stellungnahme des für den 11. Wiener Gemeindebezirks zuständigen Kinder‑ und Jugendhilfeträgers (ON 13). Aus dessen Sicht ergaben sich im Rahmen der Gefährdungsabklärung keine Gründe für eine Übertragung der Obsorge, eine Festsetzung von Besuchskontakten sei wünschenswert.

Am 23. April 2018 modifizierte der Vater seinen Antrag dahin, dass er nicht mehr auf die alleinige Obsorge bestehe, allerdings die gemeinsame Obsorge mit der Mutter beantrage und der Hauptaufenthaltsort des Kindes bei ihm und seinen Eltern in D***** festgelegt werden möge. Überdies beantragte er bis zur rechtskräftigen Entscheidung über seinen Obsorgeantrag ein vorläufiges Besuchsrecht (ON 14).

Das Bezirksgericht Dornbirn übermittelte den Pflegschaftsakt der Familiengerichtshilfe mit dem Auftrag um Durchführung eines Clearings mit den Eltern im Hinblick auf den geänderten Obsorgeantrag (ON 15). Den Antrag des Vaters, den Hauptaufenthaltsort bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Obsorgeantrag vorläufig bei ihm festzulegen, wies es mit Beschluss vom 14. Mai 2018 ab, räumte in diesem Beschluss dem Vater aber ein vorläufiges Kontaktrecht zum Minderjährigen an jedem Wochenende von Samstag 10:00 Uhr bis Sonntag 12:00 Uhr ein (ON 16). Dieser Beschluss ist in Rechtskraft erwachsen.

Die Mutter wies in ihrer – durch ihren Verfahrenshelfer eingebrachten – Einrede der Unzuständigkeit darauf hin (ON 22), dass der gewöhnliche Aufenthaltsort des Minderjährigen mittlerweile in Wien sei, die Zuständigkeit des vom Antragsteller angerufenen Bezirksgerichts Dornbirn sei nicht gegeben. Auch aus den Eingaben der Mutter selbst (Verfahrenshilfeantrag ON 17, Schreiben ON 21) ergibt sich, dass sie beabsichtigt in Wien zu bleiben und dort eine Arbeitsstelle anzunehmen. Sowohl die Mutter als auch der Minderjährige sind seit 12. 3. 2018 unter der Adresse G***** Wien (ON 23, 24) gemeldet.

Das Bezirksgericht Dornbirn übertrug mit seinem (rechtskräftigen) Beschluss vom 25. Juli 2018 die Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Innere Stadt Wien und verwies auf den nunmehr ständigen Aufenthaltsort des Kindes in Wien.

Das Bezirksgericht Innere Stadt Wien verweigerte die Übernahme der Zuständigkeit (ON 30). Das Bezirksgericht Dornbirn habe bereits vorläufig über Obsorge und Kontaktrecht entschieden und sich daher eingehend mit dem offenen Antrag befasst.

Das übertragende Gericht legte aufgrund dieser Weigerung den Akt dem Obersten Gerichtshof als gemeinsam übergeordnetem Gericht zur Entscheidung gemäß § 111 Abs 2 JN vor.

Rechtliche Beurteilung

Die Übertragung ist berechtigt.

Gemäß § 111 Abs 1 JN kann das Pflegschaftsgericht seine Zuständigkeit einem anderen Gericht übertragen, wenn dies im Interesse des Minderjährigen gelegen erscheint, insbesondere wenn dadurch die wirksame Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird. Nach Abs 2 dieser Bestimmung ist diese Übertragung nur dann wirksam, wenn das andere Gericht die Zuständigkeit übernimmt oder im Fall der Weigerung des anderen Gerichts eine Genehmigung durch das den beiden Gerichten zunächst übergeordnete gemeinsame höhere Gericht – hier der Oberste Gerichtshof – erfolgt.

Ausschlaggebendes Kriterium für die Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache für Minderjährige ist immer das Kindeswohl, ersparte Zeit und Mühe des gesetzlichen Vertreters kommt letztlich auch dem Kind zugute (RIS‑Justiz RS0047074). Zwar muss der Aufenthalt des Pflegebefohlenen mit der erziehungsberechtigten Mutter in einem anderen Gerichtssprengel nicht in allen Fällen die Übertragung der Zuständigkeit nach § 111 Abs 1 JN zur Folge haben, doch wird es nach ständiger Rechtsprechung (RIS‑Justiz RS0047300) in der Regel den Interessen des pflegebefohlenen Kindes entsprechen, wenn als Pflegschaftsgericht jenes Gericht tätig wird, in dessen Sprengel sein gewöhnlicher Aufenthalt und der Mittelpunkt seiner Lebensführung liegt. Offene Anträge sprechen im Allgemeinen nicht gegen eine Zuständigkeitsübertragung, es sei denn, dem übertragenden Gericht käme zur Entscheidung eine besondere Sachkenntnis zu (RIS‑Justiz RS0047032). Eine besondere Sachkenntnis wird dabei insbesondere aus eingehender Befassung mit dem offenen Antrag und unmittelbar dazu durchgeführten Vernehmungen abgeleitet (RIS‑Justiz RS0047032 [T5a, T7, T12, T16, T32]). Ist über den Antrag eines Elternteils, ihm allein die Obsorge über das Kind zuzuweisen, noch nicht entschieden, wird zwar im Allgemeinen die Übertragung der Zuständigkeit an ein anderes Gericht als unzweckmäßig betrachtet, sofern das Gericht bereits über entsprechende Sachkenntnisse verfügt oder jedenfalls in der Lage ist, sich diese Kenntnisse leichter zu verschaffen als das andere Gericht (RIS‑Justiz RS0047027 [T3]). Auch die Prüfung der Zweckmäßigkeit der Zuständigkeitsübertragung während eines aufrechten Obsorgestreits hat sich allerdings daran zu orientieren, welches Gericht die für die Entscheidung maßgeblichen Umstände sachgerecht und umfassender beurteilen kann, dabei ist von der aktuellen Lage auszugehen und eine Zukunftsprognose mit einzubeziehen (RIS‑Justiz RS0047027 [T5]). Es kommt daher nicht entscheidend darauf an, ob und wie lange sich das bisher zuständige Gericht um die Ermittlung von Sachverhaltsgrundlagen bemüht hat, sondern darauf, welches Gericht eher in der Lage ist, die aktuelle Lebenssituation aller Beteiligten zu erforschen (RIS‑Justiz RS0047027 [T7]; 5 Nc 22/11x).

Im hier zu beurteilenden Fall sprechen ungeachtet des Umstands, dass der Antrag auf gemeinsame Obsorge des Vaters mit primärem Aufenthalt des Minderjährigen bei ihm und sein endgültiger Kontaktrechtsantrag noch offen sind, die dargestellten Umstände für eine Zuständigkeitsübertragung an das Gericht, in dessen Sprengel die Mutter mit dem Minderjährigen seit einem halben Jahr wohnt. Unmittelbare Beweisaufnahmen führte das übertragende Gericht bislang nicht durch, diesem lag vielmehr nur eine Stellungnahme des für Wien zuständigen Kinder‑ und Jugendhilfeträgers vor, die allein noch nicht eine eingehende Vertrautheit mit den Problemen dieser Pflegschaftssache begründet. Aus dem erst nach dem Übertragungsbeschluss eingelangten Clearingbericht der Familiengerichtshilfe ergibt sich die Notwendigkeit weiterer Erhebungen, um eine ausreichende Entscheidungsgrundlage zur Frage der Obsorge und des Hauptaufenthalts des Minderjährigen zu schaffen, die zweckmäßigerweise von demjenigen Gericht zu veranlassen sind, in dessen Sprengel der erst 16 Monate alte Minderjährige mit seiner Mutter nun seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.

Die Zuständigkeitsübertragung war daher ungeachtet der offenen Anträge zu genehmigen.

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