OGH 1Ob133/18t

OGH1Ob133/18t29.8.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verein für Konsumenteninformation, *****, vertreten durch Dr. Gerhard

Deinhofer und Dr. Friedrich Petri, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei A***** AG, *****, vertreten durch Dr. Martin Klemm, LL.M, Rechtsanwalt in Wien, wegen 463,90 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse 213,90 EUR) gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Berufungsgericht vom 24. April 2018, GZ 21 R 119/18z‑18, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Schwechat vom 13. Februar 2018, GZ 20 C 103/17y‑11, teilweise abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0010OB00133.18T.0829.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 501,91 EUR (darin enthalten 83,65 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

 

Entscheidungsgründe:

***** (nachfolgend kurz „Passagierin“ genannt) hatte bei der Beklagten einen (Rück‑)Flug von Düsseldorf nach Wien am 28. 8. 2016 mit Abflug um 20:05 Uhr und Ankunft um 21:45 Uhr gebucht. Der Flug wurde (um 17:20 Uhr) annulliert, weil es am Flughafen Wien zu technischen Problemen bei der Flugkontrolle durch die Austro Control kam. Die Passagierin, die lange vor der planmäßigen Abflugzeit am Flughafen eingetroffen war, wurde dort von einer Mitarbeiterin der Beklagten darüber informiert, dass am selben Tag kein Flug mehr möglich sei; der Frühflug am nächsten Tag sei ausgebucht, ein Rückflug daher erst am Nachmittag oder Abend möglich. Da die Passagierin mitteilte, spätestens zu Mittag des nächsten Tages in Wien sein zu müssen, wurde ihr von der Mitarbeiterin der Beklagten eine Zugverbindung (Nachtzug mit Umsteigen) vorgeschlagen. Im Übrigen wurde sie an den Schalter einer anderen Fluglinie verwiesen, weil diese noch am selben Abend zwei Flüge nach Österreich durchführe. Die Kosten einer alternativen Beförderung mit dem Zug einer anderen Fluglinie würden ihr alles refundiert werden. Die Passagierin verblieb mit der Mitarbeiterin so, dass sie zum Schalter der Beklagten zurückkommen und sich einen von der Beklagten angebotenen Übernachtungsgutschein abholen werde, falls sie keine alternative Rückreisemöglichkeit fände. Aufgrund der Information der Beklagten über die von einer anderen Fluglinie durchgeführten Flüge buchte die Passagierin bei dieser noch für den gleichen Abend einen Flug nach Salzburg (mit Abflugzeit 18:45 Uhr), von wo sie mit dem Zug weiter nach Wien fuhr. Die Beklagte buchte die Passagierin auf einen alternativen Flug am nächsten Tag nach Wien über Graz (Abflug dort 11:30 Uhr) um, informierte sie davon aber – mit automatischer E‑Mail über eine „No‑Reply‑Adresse“ – erst zu einem Zeitpunkt, zu dem sich bereits im Zug nach Wien befand.

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur noch der Anspruch auf Ersatz der Kosten der von der Passagierin selbst organisierten Ersatzbeförderung von Düsseldorf nach Wien abzüglich der zurückerstatteten Kosten des annullierten Flugs.

Das Erstgericht wies (auch) das Klagebegehren über 213,90 Eur ab, weil die Passagierin auf die nächste verfügbare Verbindung nach Wien umgebucht und ihr außerdem eine alternative Beförderung mit dem Nachtzug angeboten worden sei. Eine Umbuchung auf den von der Passagierin selbst gebuchten Flug mit einer anderen Fluglinie nach Salzburg sei dieser nicht vorgeschlagen worden, weil auch bei diesem die Gefahr einer Verspätung oder Annullierung bestanden habe und fraglich gewesen sei, ob sie diesen Flug überhaupt erreichen würde.

Das Berufungsgericht änderte das erstinstanzliche Urteil insoweit im klagestattgebenden Sinn ab. Die Beklagte hätte der Passagierin eine Umbuchung auf den Flug mit einer anderen Fluglinie nach Salzburg samt anschließender Bahnfahrt nach Wien vorschlagen müssen, weil dies die gewünschte frühestmögliche Beförderung unter vergleichbaren Reisebedingungen nach Wien gewesen wäre. Da die Beklagte dies unterließ, müsse sie der Passagierin die Kosten dieser selbst gebuchten Ersatzbeförderung ersetzen.

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil – mit Ausnahme der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 7 Ob 65/13d – keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zu Ansprüchen nach der Verordnung (EG) Nr 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs‑ und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr 295/91 (nachfolgend kurz „VO“) bestehe.

Rechtliche Beurteilung

Die gemäß § 502 Abs 5 Z 3 ZPO nicht jedenfalls unzulässige Revision ist zulässig, weil keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage besteht, unter welchen Voraussetzungen bei einer Flugannullierung ein Anspruch auf Ersatz der Kosten der vom Fluggast (hier: über Anraten des Luftfahrtunternehmens) selbst gebuchten Ersatzbeförderung besteht. Sie ist aber nicht berechtigt.

Die europarechtlichen Grundlagen des Ersatzanspruchs wurden von den Vorinstanzen zutreffend dargestellt. Gemäß Art 5 Abs 1 lit a der VO sind den Fluggästen bei Annullierung ihres Flugs vom ausführenden Luftfahrtunternehmen Unterstützungsleistungen gemäß Art 8 der VO anzubieten. Nach dessen Abs 1 können Fluggäste zwischen mehreren Varianten wählen. Gemäß lit a steht dem Fluggast eine vollständige Erstattung der Flugscheinkosten für nicht zurückgelegte Reiseabschnitte und für bereits zurückgelegte Reiseabschnitte zu, wenn der Flug im Hinblick auf den ursprünglichen Reiseplan des Fluggastes zwecklos geworden ist, gegebenenfalls in Verbindung mit einem Rückflug zum ersten Abflugort zum frühestmöglichen Zeitpunkt; lit b berechtigt zu einer anderweitigen Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt und lit c zu einer anderweitigen Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen zu einem späteren Zeitpunkt nach Wunsch des Fluggastes, vorbehaltlich verfügbarer Plätze. Die Unterstützungsleistungen nach Art 8 der VO stehen – im Unterschied zur Ausgleichszahlung nach Art 7 – unabhängig davon zu, ob sich das Luftfahrtunternehmen nach Art 5 Abs 3 der VO auf außergewöhnliche unvermeidbare Umstände berufen kann (7 Ob 65/13d mwN).

Nach den erstinstanzlichen Feststellungen erklärte die Passagierin gegenüber einer Mitarbeiterin der Beklagten, spätestens zu Mittag des nächsten Tages in Wien sein zu müssen. Sie war auch ersichtlich bestrebt, noch für den gleichen Abend einen Flug zu bekommen. Damit musste der Beklagten klar sein, dass die Passagierin eine Unterstützungsleistung nach Art 8 Abs 1 lit b der VO, nämlich eine anderweitige Beförderung nach Wien zum frühestmöglichen Zeitpunkt unter vergleichbaren Reisebedingungen wünschte.

Die vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen zum Verhalten der Passagierin am Flugtag enthalten keinen Hinweis darauf, dass diese ihr Wahlrecht im Sinne des in Art 8 Abs 1 lit a der VO vorgesehenen Erstattungsanspruchs ausüben wollte. Dies hätte vorausgesetzt, dass die Passagierin ihren Rücktritt vom Beförderungsvertrag erklärt (vgl va Erwägungsgrund 10 [ähnlich 11 und 17], wonach es Fluggästen möglich sein soll, den Flug unter Rückerstattung des Flugpreises zu „stornieren“; sieht auch Hausmann , Europäische Fluggastrechte im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung und grober Verspätung von Flügen [2012] 382; Marti , Fluggastrechte gemäß der Verordnung [EG] Nr. 261/2004 [2017] 320, Degott in Schmid , Fluggastrechte‑Verordnung 7 [BeckOK 2018] Art 8 Rz 4; Führich , Die Fluggastrechte der VO (EG) Nr 261/2004 in der Praxis, MDR 7/2007, Sonderbeilage S 9; vgl zum erforderlichen Rücktritt auch S. Spitzer , Passagierrechte nach der Fluggastrechte‑VO [2012] 26). Auch wenn man davon ausginge, dass das Wahlrecht konkludent ausgeübt werden kann (so etwa Keiler in Staudinger/Keiler , Fluggastrechteverordnung [2016] Artikel 8 Rz 4; aA Degott aaO, der eine ausdrückliche Rücktrittserklärung fordert), kann dem festgestellten Sachverhalt keine stillschweigende Erklärung der Passagierin entnommen werden, wonach sie vom Beförderungsvertrag zurücktreten wolle und (nur) den Ersatz der Ticketkosten begehre. Dass die Passagierin mit der Buchung eines Ersatzflugs mit einer anderen Fluglinie nach Salzburg (und mit dem Antreten dieses Flugs und Nichtantritt des Ersatzflugs der Beklagten am nächsten Morgen) ihr Wahlrecht nach Art 8 Abs 1 der VO im Sinn eines Vertragsrücktritts samt Erstattung der Flugscheinkosten ausgeübt hätte, ist unzutreffend. Die Passagierin buchte diesen Flug nämlich nur deshalb, weil ihr dieser – obwohl er gemeinsam mit der anschließenden Zugfahrt eine ehestmögliche Beförderung nach Wien ermöglicht hätte – von der Beklagten nicht angeboten wurde; andererseits war ihr gerade von der Mitarbeiterin der Beklagten geraten worden, sich bei der betreffenden Fluglinie um die Beförderung zu bemühen, wobei ihr eine Kostenrefundierung in Aussicht gestellt wurde und man übereinkam, die Passagierin solle sich wieder melden, wenn die Bemühungen erfolglos bleiben sollten. Entgegen den Revisionsausführungen durfte die Beklagte daher auch aus der unterlassenen Information darüber, dass die Passagierin diesen Flug gebucht hatte, keineswegs darauf schließen, dass nur mehr ein Ersatz der Ticketkosten iSd Art 8 Abs 1 lit a der VO begehrt und von der Reise nach Wien Abstand genommen werde. Die Beklagte ging davon auch ersichtlich selbst nicht aus, buchte sie die Passagierin doch noch auf einen (eigenen) Flug nach Wien am nächsten Tag um.

Entgegen der Ansicht der Revisionswerberin erfordert Art 8 Abs 1 lit b der VO das Angebot einer konkreten Ersatzbeförderung. Dies ergibt sich daraus, dass diese Bestimmung bestimmte Eigenschaften (vergleichbare Reisebedingungen; frühestmöglicher Zeitpunkt) der anderweitigen Beförderung normiert und nur bei Angebot einer konkreten Ersatzbeförderung beurteilt werden kann, ob diese gegeben sind. Auch der Normzweck der Sicherstellung eines hohen Schutzniveaus für Fluggäste und Stärkung der Fluggastrechte (vgl Erwägungsgründe 1 und 4) spricht für das Erfordernis des Vorschlags einer konkreten Ersatzbeförderung. Dass die Beklagte die Passagierin darüber informierte, dass der Frühflug ausgebucht sei und die Möglichkeit bestehe, dass ihr Flug am Nachmittag oder Abend des nächstens Tages erfolge, stellte kein solches Angebot einer konkreten anderweitigen Beförderung iSd Art 8 Abs 1 lit b der VO dar.

Die anzubietende anderweitige Beförderung hat unter vergleichbaren Reisebedingungen zu erfolgen. Die Beklagte bestreitet auch gar nicht, zur Umbuchung auf einen Flug einer anderen Fluglinie verpflichtet zu sein (vgl etwa Keiler in Staudinger/Keiler aaO Rz 28 und 31; Marti aaO 325 f; Degott aaO Rz 9 ff; Hausmann aaO 390 ff). Ob die dennoch unterlassene Umbuchung auf den Flug einer anderen Fluglinie nach Salzburg auf „internen Vorgaben“ der Beklagten beruhte, wie das Berufungsgericht meint, spielt für die Beurteilung der Pflichten nach Art 8 Abs 1 lit b der VO keine Rolle, sodass auf den dazu behaupteten zweitinstanzlichen Verfahrensmangel bzw die behauptete Aktenwidrigkeit (Abweichen des Berufungsgerichts von erstinstanzlichen Feststellungen) nicht eingegangen werden mus; festgestellt wurde jedenfalls, dass (gemeint offenbar: von der Beklagten) Ersatzbeförderungen „immer nur“ für einen Zeitpunkt nach „dem ursprünglichen Abflug“ angeboten werden.

Soweit Ersatzbeförderungen mit anderen Verkehrsmitteln in Betracht zu ziehen sind (so etwa Keiler in Staudinger/Keiler aaO Rz 28; Marti aaO 325; Degott aaO Rz 11; Tonner ; Aktuelle Entwicklungen im Flug‑ und Fahrgastrecht, VuR 2010, 209 [211]; Woitkewitsch , Rechte des Fluggastes bei Flugannullierung und ‑verspätung, MDR 2012, 193 [196]), setzt auch dies eine Beförderung unter vergleichbaren Reisebedingungen voraus. Die von der Beklagten vorgeschlagene Nachtfahrt mit dem Zug von Düsseldorf nach Wien mit Umsteigen und ohne Sitzplatzreservierung entspricht keiner solchen Beförderung unter vergleichbaren Reisebedingungen. Da sich die Passagierin die Zugfahrt im Übrigen auch selbst organisieren und (zumindest vorerst) selbst bezahlen hätte müssen, kam die Beklagte auch aus diesem Grund ihrer Pflicht nach Art 8 Abs 1 lit b der VO nicht nach.

Auch mit ihrem bloßen Hinweis auf die von einer anderen Fluglinie noch am selben Abend durchgeführten Flüge nach Österreich erfüllte die Beklagte ihre Unterstützungspflicht nach Art 8 der VO nicht, verwies sie die Passagierin doch darauf, dass sie sich selbst – und jedenfalls vorerst auf eigene Kosten – um den gewünschten Flug kümmern müsse. Damit bot die Beklagte der Passagierin aber gerade keine anderweitige Beförderung zum frühestmöglichen Zeitpunkt und unter vergleichbaren Reisebedingungen iSd Art 8 Abs 1 lit b der VO an, vielmehr kommt ihr Verweis darauf, dass sich die Passagierin selbst um die gewünschte Flugverbindung kümmern müsse, der Verweigerung der Bereitstellung einer solchen Ersatzbeförderung gleich. Dass die Revisionswerberin ihrer (Unterstützungs‑)Pflicht durch die Umbuchung der Passagierin auf den Flug über Graz (Abflug dort erst um 11:30 Uhr) nach Wien am nächsten Tag nachgekommen sei, trifft ebenfalls nicht zu. Auch diese Umbuchung entsprach nämlich nicht den Anforderungen des Art 8 Abs 1 lit b der VO, weil der Flug – unter Berücksichtigung der Kapazitäten anderer Luftfahrtunternehmen – nicht zum frühestmöglichen Zeitpunkt im Sinne dieser Bestimmung erfolgte. Primäre Bedeutung kommt ja stets dem Bestreben zu, das Endziel möglichst schnell zu erreichen (vgl nur Keiler aaO Rz 29 unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission über die Anwendung der VO).

Da somit keine der von der Beklagten „angebotenen“ bzw in Aussicht gestellten Alternativbeförderungen den Anforderungen des Art 8 Abs 1 lit b der VO entsprach, ließ deren Ablehnung den Anspruch der Passagierin auf die nach dieser Bestimmung geschuldete Unterstützungsleistung unberührt. Die im Zusammenhang mit den alternativen Beförderungsvorschlägen und deren Ablehnung behaupteten rechtlichen Feststellungsmängel liegen nicht vor. Die Bezugnahme der Revisionswerberin auf die Leitlinien der Europäischen Kommission für die Auslegung der Fluggast‑VO vom 10. 6. 2016 (auf deren Rechtsqualität nicht eingegangen werden muss) ist nicht zielführend, weil das dort angesprochene Bemühen, die in Art 8 Abs 1 der VO vorgesehenen Unterstützungsleistungen zu erbringen (was von der Pflicht zur Tragung etwaiger Zusatzkosten des Flugastes befreien soll, wenn dieser eigene Vorkehrungen für seine Alternativbeförderung trifft) zumindest ein gesetzmäßiges Angebot der Unterstützungsleistung voraussetzt. An diesem fehlt es hier aber gerade. Dass die Beklagte aufgrund technischer Probleme bei der Austro Control keine verlässliche Abendverbindung für den selben Tag anbieten konnte, mag für eine Flug nach Wien zutreffen, nicht jedoch für den Flug nach Salzburg samt anschließender Zugfahrt nach Wien. Dass die Passagierin eine solche Ersatzbeförderung nicht ausdrücklich verlangte, ändert nichts an der sich aus Art 5 Abs 1 lit a der VO ergebenden Pflicht, ihre diese Art 8 Abs 1 lit b der VO entsprechende Beförderung anzubieten (zur Initiative des Luftfahrtunternehmens vgl Keiler , Mut zur Lücke – die Fluggastrechte‑VO zur Auslegung und Überprüfung vor dem EuGH, ZVR 2011/138, 235; die dort zu Art 9 der VO angestellten Erwägungen können auch auf Art 8 umgelegt werden; nach Hausmann aaO 291 sind die Informationen zur alternativen Beförderung unaufgefordert zu erteilen). Dass – wie die Revisionswerberin einwendet – die Passagierin einer Umbuchung auf den Abendflug einer anderen Fluglinie nach Salzburg nicht ausdrücklich zustimmte, liegt allein am fehlenden Angebot zu dieser Beförderung. Dass sie diesem nicht zugestimmt hätte (was aus der Ablehnung einer Beförderung mit dem Nachtzug nicht geschlossen werden kann), steht weder fest, noch würde dies die Beklagte davon befreien, die Ersatzbeförderung im Interesse der Passagierin zumindest anzubieten; gleiches gilt für die behauptete Befürchtung, sie würde den Flug nach Salzburg nicht mehr erreichen. Tatsächlich erreichte die Passagierin diesen Flug, obwohl sie ihn selbst buchen und zuvor zum Schalter der anderen Fluglinie gehen musste.

Nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Rodriguez gegen Air France (13. 10. 2011, C‑83/10, Rn 38) ermöglicht Art 12 Fluggast‑VO dem nationalen Gericht, das Luftfahrtunternehmen zum Ersatz des dem Fluggast wegen der Nichterfüllung des Luftbeförderungsvertrags entstandenen Schadens auf einer anderen Rechtsgrundlage als der VO zu verurteilen. Der aus der Nichterfüllung der Pflicht zum Angebot einer in Art 8 Abs 1 lit b der VO spezifizierten Ersatzbeförderung resultierende Ersatzanspruch ergibt sich somit aus der jeweiligen nationalen (hier unstrittig österreichischen) Rechtsordnung (vgl etwa Keiler in Staudinger/Keiler aaO Rz 34; Hausmann aaO 476 f; Degott aaO Rz 17; Woitkewitsch , MDR 2012, 193 [196]; BGH Xa ZR 96/09, Rn 24; Marti aaO 329 sieht Art 8 der VO als unmittelbare Rechtsgrundlage an und beruft sich dabei auf die genannte Entscheidung des EuGH zu Rodriguez/Air France ). Im vorliegenden Fall ist der Ersatzanspruch somit nach den allgemeinen Regeln des österreichischen Schadenersatzrechts zu prüfen. Ausgehend von einer Verletzung der Pflicht, der Passagierin die in Art 8 Abs 1 lit b der VO vorgesehene Ersatzbeförderung anzubieten, wodurch die geltend gemachten Kosten verursacht wurden, hängt die Haftung der Beklagten letztlich von deren Verschulden ab.

Aufgrund der zwischen den Parteien bestehenden vertraglichen Beziehung und da Art 3 Abs 2 lit a der VO für deren Anwendbarkeit und damit für die darin geregelten Fluggastrechte generell eine bestätigte Buchung (lit b leg cit regelt nur den Sonderfall, dass ein gebuchter Flug auf einen anderen Flug verlegt wird) voraussetzt, trifft die Beklagte die Beweislast für ihr mangelndes Verschulden an der Nichterfüllung ihrer Verpflichtung nach Art 8 Abs 1 lit b der VO (zum vertraglichen Charakter dieser Pflicht vgl etwa BGH 28. 11. 2017, X ZR 76/16, Rn 9; zuvor bereits 12. 11. 2009, Xa ZR/76/07, Rn 18; Hausmann aaO 478 f; vgl auch Woitkewitsch , MDR 2012, 193 [197]); dass auf den Schadenersatzanspruch österreichisches Recht – und damit etwa auch § 1298 ABGB – anzuwenden ist, wird von der Revisionswerberin (zutreffend) nicht in Zweifel gezogen. Sie kann aber nicht aufzeigen, dass ihr dieser Freibeweis gelungen wäre.

Dass eine Umbuchung eine gewisse Zeit in Anspruch genommen hätte, entschuldigt das unterlassene Angebot einer den Anforderungen des Art 8 Abs 1 lit b der VO entsprechenden Ersatzbeförderung nicht. Es liegt an der Beklagten, ihre Organisation so einzurichten, dass sie Ansprüche nach dieser Bestimmung zeitgerecht erfüllen kann.

Selbst der Passagierin gelang die Buchung einer Art 8 Abs 1 lit b der VO entsprechenden Ersatzbeförderung. Dass sie sich vom Schalter der Beklagten entfernte und den Schalter einer anderen Fluglinie aufsuchte, beseitigt das Verschulden der Beklagten nicht, zumal dies der Beklagten nicht die Möglichkeit nahm, die Passagierin schon vorher auf diesen Art 8 Abs 1 lit b der VO entsprechenden Flug (nämlich den Flug dieser anderen Fluglinie nach Salzburg) hinzuweisen und selbst entsprechend zu buchen; vor allem aber begab sich die Passagierin nur deshalb zum Schalter dieser Fluglinie, weil sie von der Mitarbeiterin der Beklagten an diesen verwiesen worden war. Dass die Passagierin die Beklagte nicht erfolgreich von der selbst organisierten Ersatzbeförderung verständigte, hat mit mangelndem Verschulden der Beklagten an der Nichterfüllung ihrer Verpflichtung nach Art 8 Abs 1 lit b der VO nichts zu tun. Auch eine erfolgreiche Information der Beklagten über den (von der Passagierin gebuchten) Flug nach Salzburg hätte nichts daran geändert, dass die Beklagte ihre nach Art 8 Abs 1 lit b der VO bestehende Verpflichtung zum Angebot des frühestmöglichen Ersatzflugs bereits verletzt hatte. Dass die Passagierin auf die No‑Reply‑Adresse der Beklagten in deren E‑Mail über die Verständigung über die Umbuchung gar nicht antworten konnte und die Mitarbeiterin der Beklagten mit der Passagierin außerdem übereingekommen war, dass letztere (nur dann) zurückkommen werde, wenn sie keine alternative Reisemöglichkeit findet, sei der Vollständigkeit halber erwähnt. Dass die Ressourcen der Beklagten zur Beförderung der Passagierin nach Wien eingeschränkt waren, ändert nichts daran, dass – was die Beklagte grundsätzlich nicht bestreitet – auch Sitzplatzkontingente anderer Fluglinien zu berücksichtigen waren. Unverständlich ist schließlich der Einwand, die Beklagte habe nicht von einer rechtzeitigen Anwesenheit der Passagierin am Flughafen für das Erreichen des Flugs nach Salzburg ausgehen können; dass sie sich sogar schon am Flughafen befand, konnte in Anbetracht des dort geführten Gesprächs mit der Mitarbeiterin der Beklagten in keiner Weise zweifelhaft sein.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 50 Abs 1 ZPO iVm § 41 Abs 1 ZPO.

 

Stichworte