OGH 8Ob88/18a

OGH8Ob88/18a28.8.2018

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon,‑Prof. Dr.

 Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Tarmann‑Prentner, Mag. Korn, Dr. Stefula und Mag. Wessely‑Kristöfel als weitere Richter in der Insolvenzsache des Schuldners S*****, infolge Revisionsrekurses der Gläubigerin R*****, gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 3. Mai 2018, GZ 6 R 35/18k‑93, mit dem dem Rekurs des Schuldners gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Innsbruck vom 19. März 2018, GZ 23 S 62/10i‑89, Folge gegeben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0080OB00088.18A.0828.000

 

Spruch:

Aus Anlass des Revisionsrekurses wird der angefochtene Beschluss als nichtig aufgehoben und der Rekurs gegen den Beschluss des Erstgerichts zurückgewiesen.

 

Begründung:

Über das Vermögen des Schuldners wurde mit Beschluss des Erstgerichts vom 30. 11. 2010 das Schuldenregulierungsverfahren eröffnet und am 9. 2. 2011 nach Scheitern des Zahlungsplans das Abschöpfungsverfahren eingeleitet. Nach Ablauf der Abtretungserklärung teilte der Treuhänder am 15. 3. 2018 mit, dass die Gläubiger 0,27 % ihrer angemeldeten Forderungen erhalten hätten. Von der Treuhandvergütung hafteten 456 EUR aus. Am Treuhandkonto bestehe ein Negativsaldo von 46,80 EUR, für den Kontoabschluss würden noch einmal Spesen von 45 EUR anfallen.

Der Schuldner beantragte das Abschöpfungsverfahren nach § 280 IO für beendet zu erklären und ihm die Restschuldbefreiung zu erteilen.

Mit Beschluss vom 19. 3. 2018 erklärte das Erstgericht das Abschöpfungsverfahren für beendet. Weiters sprach es aus: „Die Entscheidung über die Restschuldbefreiung und den Antrag gemäß § 280 IO bleibt vorbehalten, bis die Kosten des Abschöpfungsverfahrens beglichen sind. Der Schuldner wird daher aufgefordert, binnen drei Wochen den offenen Betrag von 547,80 EUR auf das Konto beim Bezirksgericht Innsbruck (…) zu überweisen oder binnen dieser Frist ein begründetes Ratenansuchen an das Gericht zu stellen. Die Entscheidung hinsichtlich der Restschuldbefreiung erfolgt nach Ablauf obiger Frist, wobei angemerkt wird, dass keine neuerliche Aufforderung ergeht.“ Es führte aus, dass das Abschöpfungsverfahren für beendet zu erklären sei, wenn die Laufzeit der Abtretungserklärung abgelaufen sei und die Insolvenzgläubiger während des Insolvenz- und Abschöpfungsverfahrens zumindest 10 % der Forderung erhalten hätten. Mit 1. 8. 2017 sei allerdings § 280 IO in Kraft getreten. Aufgrund der neuen Gesetzeslage sei die Restschuldbefreiung grundsätzlich ohne das Erfordernis des Erreichens einer Mindestquote zu erteilen. Allerdings sei § 196 IO analog anzuwenden. Das bedeute, dass die Restschuldbefreiung die Bezahlung der Vergütung des Treuhänders voraussetze. Der Schuldner sei zur Erlangung der Restschuldbefreiung angehalten, die Masseforderungen in einer vom Gericht angemessen festzusetzenden Frist zu begleichen.

Dem gegen diesen Beschluss – mit Ausnahme des Ausspruchs über die Beendigung des Abschöpfungsverfahrens – gerichteten Rekurs des Schuldners gab das Rekursgericht Folge und änderte den Beschluss dahingehend ab, dass er insgesamt zu lauten habe: „Das Abschöpfungsverfahren wird eingestellt und der Schuldner von der im Verfahren nicht erfüllten Verbindlichkeit gegenüber den Insolvenzgläubigern befreit.“ Es führte aus, dass das Gesetz keinen ausdrücklichen Konnex zwischen Restschuldbefreiung und offenen Massekosten herstelle. Eine Analogie setzte eine Gesetzeslücke im Sinn einer planwidrigen Unvollständigkeit voraus. Nach der Gesetzessystematik nehme der Gesetzgeber eine fehlende Kostendeckung sowohl im Insolvenzeröffnungs‑ als auch im anschließenden Abschöpfungsverfahren in Kauf, wenn er in § 183 IO von „voraussichtlicher“ Kostendeckung spreche. Es bedürfte sonst auch keiner Regelung für eine vorläufige Tragung dieser Kosten aus Amtsgeldern. Die Restschuldbefreiung habe auf die Ersatzpflicht des Schuldners in Bezug auf die Verfahrenskosten keinen Einfluss. Sie wirke nur gegenüber den Insolvenzgläubigern. Daran habe sich durch das IRÄG 2017 nichts geändert. Geändert habe sich, dass der Schuldner, obwohl er im Extremfall gar nichts zurückbezahlt habe, nun in den Genuss der Restschuldbefreiung komme. Dass dies nicht gelten solle, wenn die Treuhänderkosten nicht bezahlt seien, sei nicht argumentierbar. Dies hätte im Gesetz ausdrücklich vorgesehen werden müssen. Es liege daher keine Lücke vor, die durch Analogie zu schließen sei. Die Restschuldbefreiung sei mit Ablauf der Abtretungserklärung zu erteilen.

Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs zu, da zur Frage der Restschuldbefreiung bei noch offenen Treuhänderkosten keine Rechtsprechung vorliege.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Revisionsrekurs der Insolvenzgläubigerin R***** mit dem Antrag, den erstgerichtlichen Beschluss wiederherzustellen.

Rechtliche Beurteilung

Aus Anlass des Revisionsrekurses war der Beschluss des Rekursgerichts für nichtig zu erklären und der Rekurs des Schuldners zurückzuweisen.

1. Hervorzuheben ist, dass der Schuldner in seinem Rekurs den erstgerichtlichen Beschluss zwar mit Ausnahme des Ausspruchs über die Beendigung des Abschöpfungsverfahrens formal bekämpft, er aber sowohl inhaltlich als auch im Rechtsmittelantrag die Erteilung der Restschuldbefreiung begehrt. In Entsprechung des Rekurses wurde vom Rekursgericht die Restschuldbefreiung ausgesprochen. Dabei wurde jedoch übersehen, dass das Erstgericht über die Restschuldbefreiung noch nicht entschieden hat, sondern den Schuldner nur in analoger Anwendung des § 196 Abs 2 IO zur Zahlung der Kosten des Treuhänders und der Schließung des Treuhandkontos aufgefordert hat.

2. § 196 IO sieht – im hier nicht vorliegenden Fall eines von den Gläubigern angenommen und vom Gericht bestätigten Zahlungsplans – vor, dass trotz Säumnis des Schuldners mit der Zahlung der Masseforderungen die Nichtigkeit des Zahlungsplans erst eintritt, wenn der Schuldner nach Aufforderung unter Einräumung einer mindestens vierwöchigen Nachfrist unter Hinweis auf die Säumnisfolgen die Massekosten nicht gezahlt hat.

Bei Einführung dieser Bestimmung orientierte sich der Gesetzgeber an der damaligen Regelung des § 156 IO, nach der die Verzugsfolgen im Ausgleich erst dann anzunehmen sind, wenn der Schuldner eine fällige Verbindlichkeit trotz einer vom Gläubiger unter Einräumung einer mindestens 14‑tägigen Nachfrist an ihn gerichteten schriftlichen Mahnung nicht gezahlt hat (ErlRV 988 BlgNR 21. GP  37). Dementsprechend wurde in der Literatur auch vertreten, dass die Mahnung als bloße Zahlungsaufforderung nach § 196 IO nicht in Beschlussform zu ergehen hat ( Fink , Der Privatkonkurs nach der Insolvenzrechts‑Novelle 2002, ÖJZ 2003/11; ihm folgend Feil , InsolvenzO 8 § 196 Rz 3), dementsprechend überhaupt nicht bekämpfbar wäre.

3. Ob die vom Erstgericht in Analogie zu § 196 IO erfolgte Aufforderung an den Schuldner zur Zahlung der Treuhänder‑ und Treuhandkontokosten unter Hinweis auf die sonst nicht erfolgende Restschuldbefreiung einen anfechtbaren Beschluss darstellt, kann aber letztlich dahingestellt bleiben.

Während sich das Erstgericht die Entscheidung über die Restschuldbefreiung ausdrücklich vorbehalten hat und in seinem Beschluss nur die Aufforderung zur Zahlung der Treuhandkosten aufgenommen hat, strebt der Schuldner mit seinem Rekurs eine Entscheidung über die Restschuldbefreiung an. Er will daher keine Aufhebung oder „Abänderung im Rahmen des Entscheidungsgegenstands des Erstgerichts – so wendet er sich nicht gegen seine grundsätzliche Zahlungspflicht für die Treuhänderkosten –, sondern eine Entscheidung über eine Sachfrage, über die das Erstgericht ausdrücklich noch nicht entschieden hat. Ein „Beschluss“, womit das Gericht wie hier die Entscheidung über einen gestellten Antrag vorbehält, hat nicht den Charakter einer gerichtlichen Entscheidung und ist deshalb mangels einer Beschwer des Anfechtenden unanfechtbar (RIS‑Justiz RS0006111; 1 Ob 2401/96m mwN).

Dabei handelt es sich auch nicht bloß um ein Versehen des Schuldners, sondern eindeutig um das von ihm angestellte Rechtsschutzziel, weshalb auch ein Verbesserungsverfahren nicht in Betracht käme.

Der Rekurs wäre daher von der zweiten Instanz als unzulässig zurückzuweisen gewesen. Statt dessen ist aber eine inhaltliche Entscheidung erfolgt.

Entscheidet des Gerichts zweiter Instanz über einen unzulässigen Rekurs meritorisch, so ist der Mangel der funktionellen Zuständigkeit für eine solche Erledigung vom Obersten Gerichtshof aus Anlass des gegen die unzulässige Sachentscheidung erhobenen Revisionsrekurs als Nichtigkeit, die eine erhebliche Rechtsfrage aufwirft, wahrzunehmen und der unzulässige Rekurs gegen den Beschluss erster Instanz zurückzuweisen (RIS‑Justiz RS0042059; RS0115201).

Über die Restschuldbefreiung wird nunmehr das Erstgericht (erstmalig) zu entscheiden haben.

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