OGH 8Ob139/17z

OGH8Ob139/17z23.3.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G* Z*, vertreten durch Dr. Ewald Wirleitner, Mag. Claudia Oberlindober und Mag. Harald Gursch, MBA, Rechtsanwälte in Steyr, gegen die beklagten Parteien 1. H* E* G*, 2. J* G*, ebendort, beide vertreten durch Dr. Josef Kattner, Rechtsanwalt in Amstetten, wegen Unterlassung (Interesse 7.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 5. Juli 2017, GZ 21 R 86/17f‑37, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Amstetten vom 21. März 2017, GZ 600 C 371/16h‑29, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E121433

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 688,92 EUR (darin 114,82 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin und die Beklagten (diese je zur Hälfte) sind Eigentümer aneinander grenzender, landwirtschaftlich genutzter Liegenschaften. Das verfahrensgegenständliche Grundstück der Beklagten wird überwiegend als Acker genutzt. Im Frühjahr 2015 setzten die Beklagten, teilweise im Bereich eines zuvor geschlägerten älteren Waldbestandes, parallel zur Grenze gegen das klägerische Grundstück Pappelstecklinge an. Der Abstand der Jungpflanzen zur Grundgrenze beträgt zwischen 2,33 m und 6,95 m.

Die Klägerin begehrte (nach Einschränkung ihres ursprünglichen Begehrens) zuletzt, die Beklagten zur Unterlassung einer Bepflanzung ihres Grundstücks mit nachwachsenden Rohstoffen, soweit sie einen Mindestabstand von 6 m von der Grundstücksgrenze unterschreitet, zu verpflichten. Ihr Anspruch auf die Einhaltung dieses Abstandes ergebe sich aus dem Nachbarrecht und insbesondere aus § 5 des Niederösterreichischen Kulturflächenschutzgesetzes (NÖ KFlSchG).

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Es bestehe keine zivilrechtliche Grundlage, den Beklagten die Pflanzung von Bäumen auf ihrem eigenen Grundstück zu untersagen. Der Klagsanspruch könne auch nicht auf die öffentlich-rechtlichen Bestimmungen des NÖ KFlSchG zur Sicherung und zum Schutz von landwirtschaftlichen Kulturflächen gestützt werden. Die Bestimmungen dieses Gesetzes seien nur im Verwaltungsweg durchzusetzen und eine Zuwiderhandlung als Verwaltungsübertretung zu ahnden, sie begründeten aber keinen privatrechtlichen Unterlassungsanspruch.

Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der Klägerin keine Folge und billigte die erstgerichtliche Entscheidung. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige und erklärte nachträglich über Antrag der Klägerin nach § 508 ZPO die ordentliche Revision für zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob das in § 364 Abs 1 Satz 2 ABGB normierte Rücksichtnahmegebot eine Grundlage für einen zivilrechtlichen Anspruch auf Einhaltung öffentlich-rechtlicher Verbotsnormen bieten könne.

Rechtliche Beurteilung

Die von den Beklagten beantwortete Revision der Klägerin ist aus den im Ausspruch des Berufungsgerichts dargelegten Gründen zulässig. Die Revision ist aber nicht berechtigt.

1. Nach § 2 NÖ KFlSchG gelten die Bestimmungen dieses Gesetzes für Neupflanzungen, Kulturumwandlungen auf landwirtschaftlichen Kulturflächen, sowie auf diesen benachbarten Grundflächen. Unter Neupflanzungen sind nach der Definition des § 3 Z 4 NÖ KFlSchG die Pflanzungen von Bäumen, Weingärten, Sträuchern oder ähnlichen Gewächsen zu verstehen, die hinsichtlich der Art und Anordnung der Pflanzung keine Kulturumwandlung darstellen. Kulturumwandlungen sind nach Z 5 leg cit Aufforstungen, die Anlage von Forstgärten und Forstsamenplantagen, die Anlage von Christbaumkulturen, die Anlage von Walnuss- oder Edelkastanienplantagen zur Gewinnung von Früchten, die Anlage von Kurzumtriebsflächen mit einer Umtriebszeit bis 30 Jahren sowie die Duldung des natürlichen Anfluges ab Erreichen einer Überschirmung von zwei Zehntel der Grundfläche.

Nach § 5 NÖ KFlSchG sind bei einer Neupflanzung Mindestabstände gegenüber benachbarten landwirtschaftlichen Kulturflächen einzuhalten. Diese betragen nach § 5 Z 8 leg cit bei einfacher Pflanzung von Bäumen maximal 3 m. Liegt nach der Art und Anordnung der Pflanzen eine Kulturumwandlung nach § 3 Z 5 NÖ KFlSchG vor, hat der Grenzabstand von Bäumen mindestens 6 m zu betragen.

Die Zuwiderhandlung gegen diese Bestimmungen begründet eine von der Bezirksverwaltungsbehörde zu ahndende Verwaltungsübertretung. Darüber hinaus ist dem Zuwiderhandelnden unter Setzung einer angemessenen Frist der Auftrag zu erteilen, den gesetzmäßigen Zustand herzustellen (§§ 6 f NÖ KFlSchG).

2. Die Revisionswerberin macht zusammengefasst geltend, dass ein Zuwiderhandeln gegen die öffentlich-rechtlichen Vorschriften für die Bepflanzung von Kulturflächen insofern privatrechtliche Ansprüche begründe, als es gleichzeitig einen Verstoß gegen das allgemeine nachbarrechtliche Rücksichtnahmegebot gemäß § 364 Abs 1 Satz 2 ABGB darstelle. Es liege eine ähnliche Interessenlage vor wie bei § 101 TKG (idF des BG I 100/1997) über das Verbot von Anrufen zu Werbezwecken ohne vorherige Einwilligung des Teilnehmers. Auch dabei handle es sich um eine verwaltungsrechtliche Strafbestimmung, dennoch leite die Rechtsprechung daraus auch individualrechtliche Unterlassungsansprüche ab.

3. Die Regelung des § 101 TKG aF (nunmehr § 107 Abs 1 TKG 2003) dient vorrangig dem Schutz der Grundrechte und -freiheiten natürlicher Personen, insbesondere ihres Rechts auf Achtung der Privatsphäre. Diese Zielsetzung ist die Grundlage dafür, dass es von der Rechtsprechung als Schutzgesetz beurteilt wurde, aus dem ein subjektives Recht des Teilnehmers auf Untersagung unzulässiger Anrufe und Telefaxe abgeleitet werden könne (RIS‑Justiz RS0111965).

Mit den Bestimmungen des NÖ KFlSchG verfolgt der Landesgesetzgeber das Ziel der Sicherung und des Schutzes von landwirtschaftlichen Kulturflächen zur Erhaltung einer gesunden und leistungsfähigen Landwirtschaft, unter ausdrücklichem Ausschluss von in die Zuständigkeiten des Bundes fallenden Angelegenheiten (§§ 1 und 2 Abs 3 NÖ KFlSchG; vgl VfGH 15. 12. 1970, G 22/70). Dabei handelt es sich um ein öffentliches Interesse, das die Einschränkung der Rechte und Befugnisse von Eigentümern landwirtschaftlicher Grundstücke rechtfertigt.

Allerdings liegt der Zweck der in § 5 NÖ KFlSchG normierten Mindestpflanzabstände offenkundig (zumindest auch) in der Verhinderung einer Beeinträchtigung der Bewirtschaftung der benachbarten Kulturflächen; insofern kann auch bei diesen Bestimmungen die Eigenschaft als Schutzgesetz im Sinne des § 1311 ABGB bejaht werden, das als abstraktes Gefährdungsverbot dazu bestimmt ist, die Mitglieder eines Personenkreises gegen die Verletzung von Rechtsgütern zu schützen (RIS‑Justiz RS0027710).

4. Um aus der Übertretung eines Schutzgesetzes Unterlassungsansprüche ableiten zu können, bedarf es allerdings nicht nur des Nachweises der Rechtswidrigkeit des Verhaltens des Nachbarn infolge Zuwiderhandelns gegen eine einschlägige Norm, sondern auch des Nachweises einer beim Kläger entweder bereits eingetretenen Rechtsverletzung bzw Schädigung oder zumindest der unmittelbar drohenden Gefahr einer solchen (RIS‑Justiz RS0010710; RS0037530 [T2]). Der individualrechtliche Abwehranspruch dient zur Wahrung eigener Rechte. Er legitimiert nicht dazu, unabhängig von einer individuellen Beeinträchtigung an Stelle der zuständigen Behörde die Einhaltung öffentlich-rechtlicher Vorschriften oder Strafbestimmungen durchzusetzen.

Eine eingetretene oder wenigstens unmittelbar drohende Beeinträchtigung ihres Grundstücks durch den teilweisen Verstoß der Beklagten gegen § 5 NÖ KFlSchG hat die Klägerin in erster Instanz aber, wie schon das Berufungsgericht ausgeführt hat, gar nicht behauptet.

5. Entgegen den Revisionsausführungen begründet die vorliegende Entscheidung des Berufungsgerichts kein Rechtsschutzdefizit zu Lasten benachbarter Kulturflächen.

Die Bestimmungen der §§ 6 und 7 NÖ KFlSchG sind zwingend konzipiert und räumen der Bezirksverwaltungsbehörde im Fall der Feststellung eines Verstoßes gegen die Mindestpflanzabstände kein Ermessen zur Verhängung von Strafen und Erteilung von Beseitigungsaufträgen ein. Mit der jederzeit möglichen Anzeige eines Verstoßes steht einem Grundstücksnachbarn daher ein effizienter, im Vergleich zur Klage einfacherer und kostengünstiger Behelf zur Wahrung der durch das NÖ KFlSchG geschützten Interessen zur Verfügung.

6. Der Revision war daher nicht Folge zu geben. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41 und 50 ZPO.

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