OGH 13Ns4/18v

OGH13Ns4/18v14.3.2018

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. März 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Pichler als Schriftführerin in der Finanzstrafsache gegen Josef L*****, andere Angeklagte und belangte Verbände wegen Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach §§ 11 dritter Fall, 33 Abs 1 FinStrG sowie weiterer strafbarer Handlungen, AZ 52 Hv 89/17a des Landesgerichts Salzburg, über Vorlage gemäß §§ 213 Abs 6 zweiter und dritter Satz, 215 Abs 4 StPO durch das Oberlandesgericht Linz, AZ 9 Bs 349/17p, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0130NS00004.18V.0314.000

 

Spruch:

Die Sache wird dem Oberlandesgericht Wien zur Zuweisung an das zuständige Gericht übermittelt.

 

Gründe:

Mit Anklageschrift vom 10. Juli 2017 (ON 30) legte die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt Josef L*****, Ulrich H***** und Heinrich H***** jeweils mehrere Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach §§ 11 dritter Fall, 33 Abs 1 FinStrG sowie nach §§ 11 dritter Fall, 33 Abs 2 lit a FinStrG zur Last.

Danach sind sie verdächtig, zu Finanzvergehen anderer beigetragen (§ 11 dritter Fall FinStrG) zu haben, indem sie den unmittelbaren Tätern (§ 11 erster Fall FinStrG) zur Reduktion erfasster Umsätze geeignete Software für das Kassensystem G***** verkauften, sie schulten sowie bei der Programmierung unterstützten und durch Wartungsarbeiten, Erstellung von Updates, den Betrieb einer Beratungshotline und die Schaffung persönlicher Kontaktmöglichkeiten die Funktionsfähigkeit der Manipulationssoftware gewährleisteten, nämlich

(A) in den Jahren 2004 bis 2011 in Salzburg zu den Finanzvergehen des Alexander S*****, der

I) unter Verletzung abgabenrechtlicher Anzeige‑, Offenlegungs‑ oder Wahrheitspflichten Verkürzungen an Umsatzsteuer bewirkte, nämlich für die Jahre 2004 um 6.062,84 Euro, 2005 um 6.833,87 Euro, 2006 um 7.089,09 Euro, 2007 um 7.791,81 Euro, 2008 um 7.460,41 Euro und 2009 um 6.713,59 Euro, wobei es insoweit beim Versuch (§ 13 FinStrG) blieb,

II) unter Verletzung abgabenrechtlicher Anzeige‑, Offenlegungs‑ oder Wahrheitspflichten Verkürzungen an Kapitalertragsteuer bewirkte, nämlich für die Jahre 2004 um 3.215,62 Euro, 2005 um 4.142,04 Euro, 2006 um 4.508,06 Euro, 2007 um 4.706,45 Euro, 2008 um 4.329,80 Euro, 2009 um 3.772,41 Euro, 2010 um 2.692,17 Euro und 2011 um 3.313,53 Euro, sowie

III) unter Verletzung der Verpflichtung zur Abgabe von § 21 UStG entsprechenden Voranmeldungen Verkürzungen an Umsatzsteuer bewirkte „und dies nicht nur für möglich, sondern für gewiss hielt“, nämlich für die Monate Jänner bis Dezember 2010 um 8.556,82 Euro sowie Jänner und Februar 2011 um 1.303,64 Euro,

(B) in den Jahren 2008 bis 2012 in Ramingstein zu den Finanvergehen des Karl St*****, der

I) unter Verletzung abgabenrechtlicher Anzeige‑, Offenlegungs‑ oder Wahrheitspflichten Verkürzungen an Umsatzsteuer bewirkte, nämlich für die Jahre 2008 und 2009 um jeweils 2.550 Euro sowie 2010 bis 2012 um jeweils 2.380 Euro, und

II) unter Verletzung abgabenrechtlicher Anzeige‑, Offenlegungs‑ oder Wahrheitspflichten Verkürzungen an Einkommensteuer bewirkte, nämlich für die Jahre 2010 um 272 Euro und 2011 um 1.000 Euro,

(C) in den Jahren 2008 bis 2014 in Linz zu den Finanzvergehen des Richard Go***** und der Karin Go*****, die

I) unter Verletzung abgabenrechtlicher Anzeige‑, Offenlegungs‑ oder Wahrheitspflichten Verkürzungen an Umsatzsteuer bewirkten, nämlich für die Zeiträume Oktober 2006 bis September 2007 um 7.733,33 Euro, Oktober 2007 bis September 2008 um 10.666,67 Euro, Oktober 2008 bis September 2009 um 11.466,67 Euro, Oktober 2009 bis September 2010 um 28.000 Euro und Oktober 2010 bis September 2011 um 33.333,33 Euro,

II) unter Verletzung abgabenrechtlicher Anzeige‑, Offenlegungs‑ oder Wahrheitspflichten Verkürzungen an Kapitalertragsteuer bewirkten, nämlich für die Zeiträume Oktober 2006 bis September 2007 um 4.355,12 Euro, Oktober 2007 bis September 2008 um 11.110 Euro, Oktober 2008 bis September 2009 um 13.154,24 Euro, Oktober 2009 bis September 2010 um 34.129,92 Euro, Oktober 2010 bis September 2011 um 42.395,76 Euro, Oktober 2011 bis September 2012 um 41.595,84 Euro, Oktober 2012 bis September 2013 um 44.440 Euro und Oktober 2013 bis September 2014 um 19.998 Euro, sowie

III) unter Verletzung der Verpflichtung zur Abgabe von § 21 UStG entsprechenden Voranmeldungen für die Monate Oktober 2011 bis September 2013 Verkürzungen an Umsatzsteuer um 45.354,97 Euro bewirkten „und dies nicht nur für möglich, sondern für gewiss hielten“,

(D) in den Jahren 2009 bis 2014 in Mödling zu den Finanzvergehen des Ronald W*****, der

I) unter Verletzung abgabenrechtlicher Anzeige‑, Offenlegungs‑ oder Wahrheitspflichten Verkürzungen an Umsatzsteuer bewirkte, nämlich für die Jahre 2009 um 20.301,08 Euro, 2010 um 21.224,71 Euro, 2011 um 24.506,81 Euro, 2012 um 28.501,06 Euro und 2013 um 6.194,53 Euro,

II) unter Verletzung abgabenrechtlicher Anzeige‑, Offenlegungs‑ oder Wahrheitspflichten Verkürzungen an Kapitalertragsteuer bewirkte, nämlich für die Zeiträume Jänner 2012 bis Dezember 2012 um 7.937,73 Euro und Jänner 2013 bis Juni 2013 um 9.290,62 Euro, sowie

III) unter Verletzung der Verpflichtung zur Abgabe von § 21 UStG entsprechenden Voranmeldungen Verkürzungen an Umsatzsteuer bewirkte „und dies nicht nur für möglich, sondern für gewiss hielt“, nämlich für die Monate Dezember 2012 um 28.501,06 Euro und Jänner bis Juni 2013 um 6.154,52 Euro,

(E) in den Jahren 2009 bis 2015 in Salzburg und an anderen Orten zu den Finanzvergehen des Dobrica K*****, der

I) unter Verletzung abgabenrechtlicher Anzeige‑, Offenlegungs‑ oder Wahrheitspflichten Verkürzungen an Umsatzsteuer bewirkte, nämlich für die Jahre 2008 um 38.775 Euro, 2009 um 45.504,84 Euro, 2010 um 44.930,45 Euro, 2011 um 80.811,66 Euro, 2012 um 94.517,58 Euro und 2013 um 98.698,89 Euro, wobei es hinsichtlich der Jahre 2012 und 2013 beim Versuch (§ 13 FinStrG) blieb, sowie

II) unter Verletzung abgabenrechtlicher Anzeige‑, Offenlegungs‑ oder Wahrheitspflichten Verkürzungen an Einkommensteuer bewirkte, nämlich für die Jahre 2008 um 32.347,34 Euro, 2009 um 79.812,09 Euro, 2010 um 73.241,31 Euro, 2011 um 129.893 Euro, 2012 um 156.782 Euro und 2013 um 248.553 Euro, weiters

(F) in den Jahren 2006 bis 2013 in Wartmannstetten zu den Finanzvergehen des Karl P*****, der

I) unter Verletzung abgabenrechtlicher Anzeige‑, Offenlegungs‑ oder Wahrheitspflichten Verkürzungen an Umsatzsteuer bewirkte, nämlich für die Jahre 2006 um 1.481 Euro, 2007 um 2.276 Euro, 2008 um 2.395 Euro, 2009 um 3.098 Euro und 2010 um 2.805 Euro,

II) unter Verletzung abgabenrechtlicher Anzeige‑, Offenlegungs‑ oder Wahrheitspflichten Verkürzungen an Einkommensteuer bewirkte, nämlich für die Jahre 2006 um 4.317 Euro, 2007 um 5.998 Euro, 2008 um 2.377 Euro, 2009 um 8.874 Euro und 2010 um 2.405 Euro, sowie

III) unter Verletzung der Verpflichtung zur Abgabe von § 21 UStG entsprechenden Voranmeldungen Verkürzungen an Umsatzsteuer bewirkte „und dies nicht nur für möglich, sondern für gewiss hielt“, nämlich für die Monate Jänner bis Dezember 2012 um 2.915 Euro und Jänner bis März 2013 um 669 Euro.

Gegen die Anklageschrift wurde kein Einspruch erhoben.

Mit Verfügung vom 11. September 2017 (ON 1 S 19 bis 21) teilte das Landesgericht Salzburg dem Oberlandesgericht Linz gemäß § 213 Abs 6 zweiter Satz StPO unter Angabe von Gründen Bedenken gegen seine Zuständigkeit mit.

Mit Beschluss vom 15. Jänner 2018, AZ 9 Bs 349/17p, legte das Oberlandesgericht Linz – nach Einstellung (§ 210 Abs 1 FinStrG) des Verfahrens hinsichtlich der Anklagefakten B und F sowie Verneinen des Bestehens eines der in § 212 Z 1 bis 4 und 7 StPO genannten Gründe bezüglich der übrigen Fakten – die Akten gemäß §§ 213 Abs 6 letzter Satz, 215 Abs 4 zweiter Satz StPO dem Obersten Gerichtshof vor, weil es für möglich hielt, dass ein im Sprengel eines anderen Oberlandesgerichts liegendes Gericht zuständig sei.

 

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 195 Abs 1 FinStrG gelten für das Verfahren wegen gerichtlich strafbarer Finanzvergehen die Bestimmungen der StPO, soweit in §§ 195 bis 247 FinStrG nicht etwas Besonderes vorgeschrieben ist. Da diese Gesetzesstellen keine Sondernormen hinsichtlich der örtlichen Gerichtszuständigkeit enthalten, sind daher insoweit die Bestimmungen der StPO maßgebend.

Primärer Anknüpfungspunkt für die Zuständigkeit im Hauptverfahren ist nach § 36 Abs 3 erster Satz StPO jener Ort, an dem die Straftat ausgeführt wurde oder ausgeführt werden sollte.

Im Fall gleichzeitiger Anklage mehrerer beteiligter Personen oder einer Person wegen mehrerer Straftaten ist das Hauptverfahren gemäß § 37 Abs 1 erster Satz StPO vom selben Gericht gemeinsam zu führen. Dabei ist unter Gerichten verschiedener Ordnung das höhere, unter Gerichten gleicher Ordnung jenes mit Sonderzuständigkeit für alle Verfahren zuständig, wobei das Gericht, das für einen unmittelbaren Täter zuständig ist, das Verfahren gegen Beteiligte an sich zieht (§ 37 Abs 2 erster Satz StPO). Im Übrigen kommt das Verfahren im Fall mehrerer Straftaten dem Gericht zu, in dessen Zuständigkeit die frühere Straftat fällt (§ 37 Abs 2 zweiter Satz StPO). Wenn jedoch für das Ermittlungsverfahren eine Staatsanwaltschaft bei einem Gericht zuständig war, in dessen Sprengel auch nur eine der angeklagten strafbaren Handlungen begangen worden sein soll, so ist dieses Gericht zuständig (§ 37 Abs 2 dritter Satz StPO).

Aus dem Aufbau des § 37 Abs 2 StPO folgt somit, dass bei mehreren Ausführungsorten hinsichtlich der Zuständigkeitsbegründung der erste Satz dieser Norm den beiden übrigen und der dritte dem zweiten Satz vorgeht ( Oshidari , WK‑StPO § 37 Rz 5 mwN).

Da fallbezogen der erste Satz des § 37 Abs 2 StPO nicht Platz greift und die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt, in deren Kompetenzbereich die vom Anklagevorwurf D umfassten Finanzvergehen fallen, für das Ermittlungsverfahren zuständig war, hat somit – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – das Oberlandesgericht Wien die Zuweisung an das zuständige Gericht vorzunehmen.

 

Mit Blick auf die Formulierung des Anklagetenors zu den Fakten A/III, C/III und D/III sei hinzugefügt, dass auch der Beitragstäter (§ 11 dritter Fall FinStrG) mit einer besonderen Art des Vorsatzes handeln muss, wenn das Gesetz – wie hier § 33 Abs 2 lit a FinStrG – dies vorsieht ( Fabrizy in WK 2 StGB § 12 Rz 104).

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