OGH 9ObA11/18k

OGH9ObA11/18k27.2.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Helmut Purker und Werner Krachler in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M***** T*****, vertreten durch Dr. Gustav Teicht, Dr. Gerhard Jöchl Kommandit‑Partnerschaft in Wien, gegen die beklagte Partei K***** GmbH, *****, vertreten durch SRG Stock Rafaseder Gruszkiewicz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 8.377,33 EUR brutto abzüglich 814,80 EUR netto sA (Rekursstreitwert: 3.884,93 EUR), über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 25. Oktober 2017, GZ 8 Ra 11/17x‑17, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Teilurteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 1. Dezember 2016, GZ 23 Cga 149/16y‑9, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 10. Jänner 2017, GZ 23 Cga 149/16y‑11, Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:009OBA00011.18K.0227.000

 

Spruch:

Dem Rekurs wird keine Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

Der Kläger begehrte von der Beklagten die Zahlung von 8.377,33 EUR brutto, nämlich

Urlaubszuschuss 1.907,01 EUR brutto

Weihnachtsremuneration 1.907,01 EUR brutto

Urlaubsersatzleistung 3.911,41 EUR brutto

SZ zur Urlaubsersatzleistung

                                       651,90 EUR brutto,

abzüglich 814 EUR netto (für ein dem Kläger überlassenes Mobiltelefon und eine Jacke) „im Ausmaß des unpfändbaren Anteils zu Handen der Klagevertreter und im Ausmaß des pfändbaren Anteils zu Handen der betreibenden Gläubiger“.

Die Beklagte bestritt und beantragte Klagsabweisung. Die Endabrechnung ergebe sich aus der vom Kläger vorgelegten Beil ./Z. Die (Brutto‑)Beträge stimmten mit den geltend gemachten Beträgen überein. Die Beklagte habe gegen den Nettobetrag (3.677,60 EUR) Gegenforderungen, die kompensando eingewandt würden. Die übrigen Beträge (Lohnsteuer, Sozialversicherungsbeiträge etc) seien ordnungsgemäß abgeliefert worden. Sie schulde daher grundsätzlich nur den Netto- und nicht den Bruttobetrag.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit Teilurteil über die Klagsforderung zur Gänze statt. Da unstrittig sei, dass die Beklagte dem Kläger den Klagsbetrag nicht ausbezahlt habe, erübrige sich dazu die Durchführung eines Beweisverfahrens.

Das Berufungsgericht hob infolge der Berufung der Beklagten das Teilurteil im Umfang des über 3.677,60 EUR netto sA hinausgehenden Betrags auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Der Dienstnehmer sei nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich berechtigt, den Bruttolohn einzuklagen. Die Frage, welcher (dem Arbeitnehmer auszuzahlende) Nettobetrag dem Bruttobetrag entspreche, werde grundsätzlich in das Exekutionsverfahren verlagert. Führe der Arbeitnehmer, dem im Exekutionstitel der Bruttobetrag zugesprochen worden sei, auf den Bruttobetrag Exekution, dann sei der Arbeitgeber als Titelschuldner hinsichtlich der von ihm einzubehaltenden und abzuführenden Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge auf die Oppositionsklage nach § 35 EO verwiesen. Diese setze den gänzlichen oder teilweisen Wegfall des betriebenen Anspruchs wegen nach Entstehung des Titels eingetretener Tatsachen voraus. Hier könnte sich die Beklagte in einem nachfolgenden Exekutionsverfahren nicht darauf berufen, die Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge bereits abgeführt zu haben, wenn die den Differenzanspruch aufhebenden Tatsachen bereits vor Schluss der Verhandlung im Titelprozess eingetreten seien. Die Behauptung des Arbeitgebers, die Lohnsteuer und die Sozialversicherungsbeiträge bereits abgeführt zu haben, sei daher im Titelprozess zu prüfen.

Aus Beil ./Z ergebe sich ein Auszahlungsbetrag von 3.677,60 EUR netto:

Sonderzahlungen brutto 4.476,40 EUR

Urlaubsersatzleistung brutto 3.911,41 EUR

SV‑Beitrag        - 1.475,11 EUR

Lohnsteuer           - 873,97 EUR

Lohnpfändungen       - 2.361,12 EUR

Auszahlung 3.677,60 EUR

Die Beklagte habe behauptet, lediglich gegen den Nettobetrag Gegenforderungen eingewandt zu haben. Ihr werde Gelegenheit zu geben sein, die Ablieferung der übrigen Beträge unter Beweis zu stellen.

Der Rekurs sei zur Frage zulässig, ob im Titelprozess, in dem der Arbeitnehmer Bruttoentgeltansprüche einklage, der Einwand des Arbeitgebers, er habe die vom Bruttoentgelt einzubehaltenden Abgaben bereits abgeführt, zu prüfen sei und dem Arbeitnehmer in diesem Fall nur das Nettoentgelt zuzusprechen sei.

In seinem dagegen gerichteten Rekurs beantragt der Kläger die Abänderung des Aufhebungsbeschlusses im Sinne einer gänzlichen Bestätigung des Teilurteils des Erstgerichts; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt; eventualiter wird eine Abänderung dahin begehrt, dass das Teilurteil nur im Umfang der über 6.038,72 EUR netto abzüglich 814,80 EUR netto sA hinausgehenden Klagsstattgebung aufgehoben und die Rechtssache in diesem Umfang zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen werde.

Die Beklagte beantragt, den Rekurs zurückzuweisen, in eventu, ihm keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig , jedoch nicht berechtigt .

1.  Der Kläger verweist auf die ständige Rechtsprechung, dass der Arbeitnehmer berechtigt ist, den Bruttobetrag einzufordern.

Das ist grundsätzlich richtig. Der Dienstnehmer ist berechtigt, den Bruttolohn einzuklagen. Das auf den Bruttolohn gerichtete Klagebegehren ist bestimmt und exequierbar (RIS‑Justiz RS0000636). Im Falle des Zuspruchs eines Bruttobetrags wird die von der Rechtskraftwirkung des Urteils nicht berührte Einbehaltungspflicht und Abführungspflicht des Arbeitgebers erst bei Zahlung des geschuldeten Betrags existent. Daraus folgt, dass die beklagte Partei zur Zahlung eines bestimmten Bruttobetrags abzüglich eines bestimmten Nettobetrags (oder umgekehrt) verurteilt werden kann (RIS‑Justiz RS0000636 [T3] = 4 Ob 115/81). Der Arbeitgeber muss aber von diesem Bruttobetrag, den er dem Arbeitnehmer schuldet, noch vor der Auszahlung die von ihm für den Arbeitnehmer abzuführenden Lohnsteuerbeträge und Sozialversicherungsbeträge einbehalten (RIS‑Justiz RS0000636 [T8]). Dementsprechend kommt erst bei der Zahlung oder der exekutiven Hereinbringung das Recht des Arbeitgebers auf Abzug der Lohnsteuer und der Sozialversicherungsbeiträge zum Tragen und es ergibt sich ein entsprechender, dem Arbeitnehmer tatsächlich auszuzahlender Nettobetrag (RIS‑Justiz RS0000636 [T22]). Die Exekution ist daher auf Antrag hinsichtlich des ganzen Betrags zu bewilligen, wenn es auch klar ist, dass Lohnsteuer, Sozialversicherungsbeiträge usw einzubehalten sind. Der Verpflichtete kann jedoch sein Abzugsrecht mit Klage nach § 35 EO geltend machen (RIS‑Justiz RS0000636 [T17]).

2.  Dieser Rechtsprechung liegt zugrunde, dass der Arbeitgeber eine (Brutto‑)Lohnforderung des Arbeitnehmers nicht beglichen und seiner Abführungspflicht bezüglich der entsprechenden Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge (§§ 58 Abs 2, 60 Abs 1 ASVG; § 82 EStG 1988) nicht entsprochen hat. Sie kann aber nicht zum Tragen kommen, wenn der Arbeitgeber im Titelverfahren vorbringt, die Lohnsteuer und die Sozialversicherungsbeiträge bereits bezahlt zu haben, weil er damit materiell‑rechtlich den Einwand erhebt, dass die mit einem Bruttobetrag geltend gemachte Klagsforderung im Ausmaß und infolge Zahlung der darin enthaltenen Steuer- und Abgabenschulden bereits getilgt ist. Die Prüfung eines solchen Einwands hat daher nach allgemeinen Regeln darüber zu erfolgen, ob ein gegen den Klagsanspruch erhobener Einwand des Anspruchsgegners berechtigt ist und der Anspruch deshalb gehemmt oder erloschen ist. Diese Prüfung hat folglich Gegenstand des Titelverfahrens zu sein.

3.  Eine solche Erwägung liegt offenbar auch der – eine Oppositionsklage zu einem Bruttotitel betreffenden – Entscheidung 9 ObA 18/00p zugrunde, die Ausführungen zur Nachweispflicht bezüglich der tatsächlichen Abfuhr der auf die Nettobeträge entfallenden Sozialversicherungsabgaben und Lohnsteuerbeträge enthält. Für diese Pflicht wurde danach differenziert, ob dem Arbeitnehmer die ihm zustehende Nettoforderung zur Gänze gezahlt wurde oder nicht. Im ersten Fall genüge ein Hinweis auf das gesetzliche Abzugsrecht des Arbeitgebers. Im zweiten Fall sei, abgeleitet aus dem Recht des Arbeitnehmers, eine noch nicht befriedigte Nettoforderung als Bruttobetrag einzuklagen und in Exekution zu ziehen, der Nachweis der Abfuhr zu verlangen. Nur dann, wenn der seltene Fall eingetreten sein sollte, dass der Arbeitnehmer Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuer vor der Zahlung an den Arbeitnehmer abgeführt haben sollte, werde dies zu einer Einschränkung der Exekution auf den noch offenen Nettobetrag führen können.

Trifft der Einwand der Beklagten zu, läge hier aber der vergleichbare Fall einer Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge und der Lohnsteuer vor, der damit eine Einschränkung des Begehrens auf den offenen Nettobetrag erfordern könnte.

4.  Die exekutionsrechtlichen Erwägungen des Berufungsgerichts zu den Grenzen der Oppositionsklage nach § 35 Abs 1 EO untermauern dieses Ergebnis. Denn bliebe der Einwand der abgeführten Lohnsteuer und der Sozialversicherungsbeiträge im Titelverfahren ungeprüft, hätte die Beklagte im Oppositionsverfahren keine Möglichkeit mehr, diesen Einwand zu erheben, weil bereits bis zum Schluss der Verhandlung erster Instanz von dieser Tatsache wirksam Gebrauch gemacht werden konnte. Den Erwägungen des Klägers, dass dem Arbeitgeber dennoch die Oppositionsklage offenstehe, weil die Frage der Abfuhr der Lohnsteuer und der Sozialversicherungsbeträge von der zeitlichen Grenze und Präklusionswirkung der materiellen Rechtskraft nicht erfasst werde, kann insofern nicht gefolgt werden. Sie lassen sich auch nicht aus der Entscheidung 4 Ob 115/81 ableiten: Mit der Ausführung, dass die Einbehaltungs- und Abführungspflicht des Arbeitgebers von der Rechtskraftwirkung des Urteils nicht berührt wird, wird noch keine Aussage über die Wirkung einer schon dem Titelverfahren vorausgegangene Erfüllung dieser Pflichten getroffen.

5.  Im Ergebnis ist das Berufungsgericht damit zutreffend davon ausgegangen, dass der von der Beklagten erhobene Einwand, ihrer Abfuhrpflicht bereits entsprochen zu haben, bereits im Titelverfahren zu prüfen ist.

6.  Nichts anderes kann für den Einwand der Beklagten gelten, soweit er sich auf die infolge Pfändung abgeführten Beträge bezieht.

7.  Die vom Kläger geltend gemachte Mangelhaftigkeit bzw Aktenwidrigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor: Die Beklagte hat den Nettobetrag von 3.677,60 EUR, gegen den sie mit ihrer Gegenforderung aufrechnen möchte, unter Verweis auf die Beil ./Z beziffert. Aus ihr geht hervor, dass sich der dem Kläger geschuldete Auszahlungsbetrag nicht nur aus dem Abzug von Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträgen, sondern auch aus den dort genannten Pfändungen ergibt.

8.  Da sich der Rekurs des Klägers danach als nicht berechtigt erweist, war ihm keine Folge zu geben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten (RIS‑Justiz RS0035976).

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