OGH 14Os114/17x

OGH14Os114/17x13.2.2018

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. Februar 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Zach, LL.M. (WU) als Schriftführerin in der Strafsache gegen Gerald S***** wegen Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 17 Hv 13/16m des Landesgerichts Klagenfurt, über den Antrag des Verurteilten auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0140OS00114.17X.0213.000

 

Spruch:

Der Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens wird zurückgewiesen.

 

Gründe:

Mit Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 19. Jänner 2017, GZ 17 Hv 13/16m-109, wurde Gerald S***** jeweils mehrerer Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB, des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und der pornographischen Darstellungen Minderjähriger nach § 207a Abs 2 erster Fall StGB, weiters jeweils mehrerer Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB sowie der pornographischen Darstellungen Minderjähriger nach § 207a Abs 1 Z 2 StGB und nach § 207a Abs 3 erster und zweiter Fall StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren verurteilt. Dabei wertete das Erstgericht unter anderem die – insbesondere aus Phasen behördlicher Inaktivität bis zur Beendigung des Ermittlungsverfahrens und Verzögerungen bei der Erstattung eines Gutachtens im Hauptverfahren resultierende – unverhältnismäßig lange Verfahrensdauer als mildernd (§ 34 Abs 2 StGB). Zum Ausgleich der solcherart anerkannten Grundrechtsverletzung (Art 6 Abs 1 MRK) reduzierte es die – ohne diesen Umstand für angemessen erachtete – Strafe um sechs Monate.

Das Oberlandesgericht Graz gab mit Urteil vom 23. August 2017, AZ 8 Bs 245/17s (ON 124 der Hv‑Akten) der Berufung der Staatsanwaltschaft (nicht aber jener des Angeklagten) Folge und erhöhte die Freiheitsstrafe auf fünf Jahre und drei Monate. Zum Milderungsgrund des § 34 Abs 2 StGB führte es aus, das Erstgericht habe bei der Annahme behördlicher Inaktivität vor Beendigung des Ermittlungsverfahrens „außer Acht“ gelassen, dass in dieser Verfahrensphase Sachverständigengutachten eingeholt und „kontradiktorische Zeugeneinvernahmen“ durchgeführt worden seien sowie der kriminalpolizeiliche Abschlussbericht mit umfangreichen Erkenntnissen über die Auswertung von Videodateien abgewartet worden sei. Verzögerungen im Stadium der Hauptverhandlung seien zum überwiegenden Teil vom Angeklagten (wegen von ihm aus gesundheitlichen Gründen gestellter Vertagungsanträge) zu verantworten. Zum Ausgleich der gleichwohl „im Ergebnis“ angenommenen unverhältnismäßig langen Verfahrensdauer erachtete das Berufungsgericht eine Reduktion der Strafe um drei Monate für angemessen.

Rechtliche Beurteilung

Mit dem auf § 363a Abs 1 StPO gestützten Antrag kritisiert der Verurteilte die „nicht ausreichende Berücksichtigung der überlangen Verfahrensdauer“ und „der vorliegenden Milderungsgründe“ und sieht sich dadurch in seinem Recht auf ein faires Verfahren (Art 6 Abs 1 MRK) verletzt.

Beim nicht auf ein Urteil des EGMR gestützten Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens handelt es sich nach ständiger Rechtsprechung um einen subsidiären Rechtsbehelf, auf den unter anderem die Zulässigkeitsvoraussetzungen des Art 35 Abs 1 MRK anzuwenden sind. Daraus folgt, dass der Oberste Gerichtshof nur nach Ausschöpfung des Rechtswegs angerufen werden kann. Diesem Erfordernis wird entsprochen, wenn von allen effektiven Rechtsbehelfen Gebrauch gemacht (vertikale Erschöpfung) und die geltend gemachte Konventionsverletzung zumindest der Sache nach in Übereinstimmung mit den innerstaatlichen Verfahrensvorschriften vorgebracht wurde (vertikale Erschöpfung).

Daher war der Antrag, soweit er sich inhaltlich auch gegen das erstinstanzliche Urteil wendet, als unzulässig zurückzuweisen, weil eine Entscheidung, die mit Rechtsmittel bekämpft werden kann, nicht Gegenstand eines Erneuerungsantrags ist (RIS-Justiz RS0124739 [T2 und T4]).

Das Argument „nicht ausreichender Berücksichtigung“ der „überlangen Verfahrensdauer“ (auch) durch das Berufungsgericht scheitert gleichfalls an fehlender Rechtswegerschöpfung. Denn der Antragsteller hat während des gesamten Verfahrens nicht von gegen unnötige Verfahrensverzögerungen (vgl § 9 Abs 1 StPO) offenstehenden Rechtsbehelfen, nämlich dem Fristsetzungsantrag nach § 91 GOG hinsichtlich des Hauptverfahrens und dem Einspruch wegen Rechtsverletzung (§ 106 Abs 1 Z 1 StPO) in Bezug auf Verletzungen des Beschleunigungsgebots durch die Staatsanwaltschaft (im Ermittlungsverfahren), Gebrauch gemacht (RIS-Justiz RS0122737 [T7, T18 und T28]).

Im Übrigen können die Sanktionsfrage betreffende Umstände, die wie hier – nach messbarer Berücksichtigung der unverhältnismäßig langen Verfahrensdauer bei der Straffestsetzung (vgl RIS-Justiz RS0125374) – nicht Gegenstand einer Sanktionsrüge sind (§ 281 Abs 1 Z 11 StPO), sondern ausschließlich in den Bereich der Berufung fallen (vgl Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 724), mit dem Erneuerungsantrag (ohne vorherige Anrufung des EGMR) nicht geltend gemacht werden (RIS‑Justiz RS0125371).

Gleiches gilt für das weitere Vorbringen, mit welchem die Nichtannahme oder nicht ausreichende Gewichtung von Milderungsgründen behauptet wird.

Der Antrag war daher als unzulässig zurückzuweisen.

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