OGH 26Os12/16h

OGH26Os12/16h28.11.2017

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 28. November 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, die Anwaltsrichterin Dr. Hausmann, den Anwaltsrichter Dr. Morent sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Pichler als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, wegen des Disziplinarvergehens der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes über die Berufung des Beschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien vom 15. Jänner 2016, AZ D 54/11, D 182/11, D 37/13, D 128/13, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Erster Generalanwalt Mag. Bauer, des Kammeranwalts Dr. Meyenburg und des Beschuldigten ***** sowie seines Verteidigers Dr. Nestl zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0260OS00012.16H.1128.000

 

Spruch:

 

1. Der Berufung wegen Schuld wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Erkenntnis im Schuldspruch I./a) bis d) und II./1./ und 2./ und demzufolge auch im Strafausspruch aufgehoben und in der Sache selbst zu Recht erkannt:

2. ***** wird vom Vorwurf freigesprochen, er habe

I./ zu D 54/11

a) mit Schriftsatz an das Handelsgericht Wien vom 29. Dezember 2010 zu AZ 29 Cg 248/10f behauptet, dass der Anzeiger fingierte Anträge stelle, und dadurch auch Rechtsanwalt Mag. Thomas F***** als dessen Vertreter unbegründet in den Streit gezogen,

b) mit Klage vom 29. Dezember 2010 zu AZ 29 Cg 248/10f des Handelsgerichts Wien ausgeführt, dass Rechtsanwalt Mag. Thomas F***** in den Raum gestellt hätte, dass der Beschuldigte weitere Rufschädigungen hinnehmen müsse, wenn er seine Unterlassungsklage nicht zurückzieht,

c) in der Klage vom 29. Dezember 2010 zu AZ 29 Cg 248/10f des Handelsgerichts Wien behauptet, er hätte sich über die gemeine und niederträchtige Vorgehensweise von Michael D***** erholen müssen und Michael D***** eine schädliche Gesinnung unterstellt,

d) in der Klage vom 29. Dezember 2010 zu AZ 29 Cg 248/10f des Handelsgerichts Wien festgehalten, dass das Verhalten von Michael D***** als kriminell zu bezeichnen ist;

III./ zu D 37/13 im Verfahren AZ 21 C 522/12t des Bezirksgerichts Linz

1./ das Klagebegehren nicht um den Betrag von 363,72 Euro eingeschränkt, obwohl im vorbereitenden Schriftsatz der beklagten Parteien vom 22. August 2012 auf diese Zahlung hingewiesen wurde;

2./ in seiner Replik vom 9. Oktober 2012 in Punkt 36 die Disziplinaranzeige als „willentlich inszenierte Repressalie“ und „Rechtsmissbrauch“ bezeichnet.

 

Im Übrigen wird der Berufung wegen Schuld nicht Folge gegeben.

 

3./ Über den Beschuldigten wird für das ihm weiterhin zur Last liegende Disziplinarvergehen der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes eine Zusatzgeldbuße von 1.000 Euro verhängt.

4./ Mit seiner Berufung wegen Strafe wird er auf die vorstehende Entscheidung verwiesen.

5./ Dem Beschuldigten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde Rechtsanwalt ***** mehrerer Disziplinarvergehen der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes (§ 1 Abs 1 zweiter Fall DSt) schuldig erkannt.

Demnach habe er

I./ zu D 54/11

a) mit Schriftsatz an das Handelsgericht Wien vom 29. Dezember 2010 zu AZ 29 Cg 248/10f behauptet, dass der Anzeiger fingierte Anträge stelle, und dadurch auch Rechtsanwalt Mag. Thomas F***** als dessen Vertreter unbegründet in den Streit gezogen,

b) mit Klage vom 29. Dezember 2010 zu AZ 29 Cg 248/10f des Handelsgerichts Wien ausgeführt, dass Rechtsanwalt Mag. Thomas F***** in den Raum gestellt hätte, dass der Disziplinarbeschuldigte weitere Rufschädigungen hinnehmen müsse, wenn er seine Unterlassungsklage nicht zurückzieht,

c) in der Klage vom 29. Dezember 2010 zu AZ 29 Cg 248/10f des Handelsgerichts Wien behauptet, er hätte sich über die gemeine und niederträchtige Vorgehensweise von Michael D***** erholen müssen und Michael D***** eine schädliche Gesinnung unterstellt,

d) in der Klage vom 29. Dezember 2010 zu AZ 29 Cg 248/10f des Handelsgerichts Wien festgehalten, dass das Verhalten von Michael D***** als kriminell zu bezeichnen ist;

II./ zu D 182/11

a) in einer Replik zur Klagebeantwortung vom 12. Oktober 2009 zu AZ 8 C 852/09s an das Bezirksgericht für Handelssachen Wien das Vorbringen des Anzeigers Martin R***** als „gemein und niederträchtig“ und eine „offenkundige Sauerei“ bezeichnet und dass der Anzeiger „verdorben“ und eine „Person der übelsten Sorte“ sei,

b) in einem als „Vorbringen“ bezeichneten Schriftsatz vom 19. November 2009 an das Bezirksgericht für Handelssachen Wien zu AZ 8 C 1474/09m ausgeführt, dass die Impugnationsklage des Anzeigers Martin R***** eine „verlängerte, mutwillige Frotzelei“ sei,

c) im selben Schriftsatz vom 19. November 2009 im Verfahren AZ 8 C 1474/09m des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien behauptet, der Anzeiger sei ein „kranker Straftäter“ und „menschlich verkommen“;

III./ zu D 37/13 im Verfahren AZ 21 C 522/12t des Bezirksgerichts Linz

1./ das Klagebegehren nicht um den Betrag von 363,72 Euro eingeschränkt, obwohl im vorbereitenden Schriftsatz der beklagten Parteien vom 22. August 2012 auf diese Zahlung hingewiesen wurde;

2./ in seiner Replik vom 9. Oktober 2012 in Punkt 36 die Disziplinaranzeige als „willentlich inszenierte Repressalie“ und „Rechtsmissbrauch“ bezeichnet.

 

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die Berufung des Beschuldigten wegen Nichtigkeit, des Ausspruchs über die Schuld und die Strafe (vgl RIS‑Justiz RS0128656).

 

Zum Schuldspruch D 54/11:

Der Oberste Gerichtshof überzeugte sich aus Anlass der Berufung vom Vorliegen einer nicht geltend gemachten, von Amts wegen wahrzunehmenden Nichtigkeit (§§ 281 Abs 1 Z 9 lit a, 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO; § 77 Abs 3 DSt).

Die Ausführungen des Beschuldigten zu a) und b) in der Klage vom 29. Dezember 2010 wurden vom Disziplinarrat zu Unrecht § 18 RL‑BA subsumiert. Den Konstatierungen zufolge gingen der gegenständlichen Klagsführung massive und belastende Vorgänge voraus, die in zahlreichen rechtlichen Auseinandersetzungen mündeten, in deren Verlauf Mag. Thomas F***** einen Wiederaufnahmeantrag einbrachte, dessen Tatsachensubstrat der Beschuldigte mit der verkürzten, aber erkennbar seine Zweifel an der Tatsachengrundlage zum Ausdruck bringenden Wendung „fingierte Anträge“ bestritt. Da die zu b) angelastete Ausführung sich nach den Feststellungen tatsächlich sinngemäß auf eine Äußerung von Mag. F***** gründet, kann es dem Beschuldigten nicht verwehrt sein, diese zur Stützung seines Rechtsstandpunkts zu verwenden. Beide in eigener Sache getätigten Äußerungen waren im gegebenen Zusammenhang nicht geeignet, den Gegenvertreter in Streit zu ziehen.

Ebensowenig sind die Ausführungen c) und d) in der Klage vom 29. Dezember 2010 unter den gegebenen Umständen als solche mit beleidigendem Inhalt zu beurteilen. Nach den Konstatierungen gab es ausreichende Anhaltspunkte, dass Michael D***** den Disziplinarbeschuldigten schädigen wollte und ihn auch geschädigt hat. Demzufolge ist dem Beschuldigten die Darstellung seiner Befindlichkeit hinsichtlich dessen Vorgangsweise und erkennbar die Schädigungsabsicht zu Ausdruck bringen wollende Wendung nicht als unsachlich anzulasten. „Kriminell“ bedeutet letztlich nichts weiter als „strafbar“ oder „strafgesetzwidrig“ und hat nach den Feststellungen sogar ein Gericht strafgesetzwidriges Verhalten des Michael D***** unwidersprochen festgestellt.

Daher war mit Aufhebung des Erkenntnisses im Schuldspruch zu D 54/11 und Freispruch vom betreffenden Vorwurf vorzugehen.

 

Zum Schuldspruch D 182/11:

Die Berufung macht in Ansehung dieses Schuldspruchs Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 5 iVm § 260 Abs 1 Z 1 und 2 StPO geltend. Inwiefern es im Spruch des angefochtenen Disziplinarerkenntnisses an einem Referat entscheidender Tatsachen fehlen soll (vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 282 ff), lässt sie jedoch offen. Der persönlich herabsetzenden Wortwahl des Beschuldigten kann kein wie immer gearteter sachlicher Ansatz zugeordnet werden. Selbst im den Konstatierungen zu entnehmenden Ärgernis über den Verrat eines ehemaligen Schulfreundes darf sich der Rechtsanwalt nicht zu einer solchen Ausdrucksweise hinreißen lassen.

Durch die an das Gericht gerichteten Eingaben hat der Beschuldigte auch jene Öffentlichkeit erreicht, durch die Ehre und Ansehen des Standes beeinträchtigt sind. Ins Leere geht der Einwand der Verfolgungsverjährung, da die zwischen 12. Oktober 2009 und 19. November 2009 begangenen Disziplinarvergehen gemäß § 2 Abs 4 DSt nicht vor Ablauf der Verjährungsfrist der danach verwirklichten (gleichartigen) Disziplinarvergehen verjähren. Der Beschuldigte hat am 10. Dezember 2012 ein gleichartiges Disziplinarvergehen gesetzt, wofür er zu AZ 26 Os 2/14k wegen Verletzung von Ehre und Ansehen des Standes verurteilt wurde.

 

Zum Schuldspruch D 37/13:

Die Berufung macht in Ansehung dieses Schuldspruchs Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 5 und 9 iVm § 260 Abs 1 Z 1 und 2 StPO geltend. Inwiefern es dem angefochtenen Erkenntnis an einem Referat entscheidender Tatsachen mangeln soll, ist nicht ersichtlich.

Die Rechtsrüge ist jedoch im Ergebnis berechtigt. Ein Versehen bei der Berechnung der Klagsforderung, welches zugunsten des Beschuldigten anzunehmen ist, auch wenn es trotz Hinweises nicht korrigiert wird, beeinträchtigt Ehre und Ansehen des Standes nicht, wenn nicht andere Momente, die auf Mutwilligkeiten schließen lassen, hinzukommen. Solche wurden nicht festgestellt. Der Schadenersatzanspruch infolge unberechtigter Disziplinaranzeigen setzt rechts-missbräuchliches Verhalten voraus; Rechtsmissbrauch wiederum ist ohne willentliches Handeln nicht denkbar. Das Wort Repressalie hat unter anderem die Bedeutung „Vergeltungsmaßnahme“. Die Ausführungen waren daher sachlich gerechtfertigt und verletzten nicht Ehre und Ansehen des Standes.

Es war daher zu D 37/13 mit Aufhebung des Erkenntnisses und Freispruch vom betreffenden Vorwurf vorzugehen.

 

Zur Strafneubemessung:

Im Hinblick auf die Freisprüche war die Strafe für das verbliebene Disziplinarvergehen neu zu bemessen. Dabei war zu berücksichtigen, dass der Eindruck, den der Beschuldigte bei den beteiligten Verkehrskreisen hinterlassen hat, für das Ansehen der Rechtsanwaltschaft gravierend nachteilig war, aber auch, dass der Beschuldigte vom Verrat eines früheren Schulfreundes massiv betroffen war. Im Einzelnen waren zwei einschlägige Vorstrafen erschwerend, mildernd hingegen, dass sich der Beschuldigte durch die besonderen Umstände zu den herabwürdigenden Äußerungen hat hinreißen lassen. Nur unwesentlich mildernd kann die objektiv lange Verfahrensdauer angesehen werden, da diese erheblich darauf zurückzuführen war, dass der Beschuldigte wiederholt nicht im Gesetz vorgesehene Rechtsmittel eingebracht hat. Bedacht zu nehmen war auf das Urteil vom 29. April 2015, AZ 26 Os2/ 14k, sodass eine Zusatzgeldbuße zu verhängen war.

Mit seiner Strafberufung war der Beschuldigte auf diese Entscheidung zu verweisen.

 

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 54 Abs 5 DSt.

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