European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E120213
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das Urteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts in der Hauptsache wiederhergestellt wird.
Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei jeweils binnen 14 Tagen die mit 1.751,32 EUR (darin 270,99 EUR an USt und 125,40 EUR an Barauslagen) bestimmten Kosten des erstgerichtlichen Verfahrens, die mit 603,49 EUR (darin 100,58 EUR an USt) bestimmten Kosten der Berufungsbeantwortung und die mit 650,39 EUR (darin 69,17 EUR an USt und 235,40 EUR an Barauslagen) bestimmten Kosten der Revision zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Der Kläger ist Eigentümer und Vermieter des Bestandobjekts Top 10. Der Rechtsvorgänger war sein Vater E* K* sen, der 2010 verstarb.
Die beiden Beklagten schlossen beginnend mit 1. 2. 1976 mit dem Vater des Klägers einen Mietvertrag für die Wohnung Top 10. Der Mietvertrag enthält (ua) folgende Bestimmungen:
„VII. Der Mieter verpflichtet sich, den Mietgegenstand nur zu benützen:
Erstens für eigene Wohnzwecke
(…)
X. Die Untervermietung der Bestandräume, die Verpachtung des darin betriebenen Unternehmens oder die Weitergabe jeder Art der Räume oder des Unternehmens an dritte Personen (ganz oder teilweise, entgeltlich oder unentgeltlich) ist nicht gestattet.
(…)
XV.
(…)
Den Mietern steht ab Vertragsunterfertigung zur ungeteilten Hand das Weitergaberecht der Mietrechte zu den Konditionen dieses Vertrages zu, wobei die Hausinhabung nur aus erheblichen Gründen den präsentierten Nachmieter ablehnen kann.
(…)
XXI. Neben diesem Vertrag bestehen keinerlei mündliche Abmachungen. Eine Abänderung des Vertrages kann nur schriftlich erfolgen.“
Die Beklagten wohnten zunächst selbst in der Wohnung. 1989 beschlossen sie, in ein Haus zu übersiedeln und teilten dies dem Vater des Klägers mit. Die Beklagten hatten damals vor, ihr Weitergaberecht auszuüben. Die Beklagten hatten drei Kinder im Alter von 6, 12 und 13 Jahren. Der Vater des Klägers, zu dem die Beklagten eine gute Beziehung hatten, meinte zu deren Umzugsplänen und dem Vorhaben, das Weitergaberecht auszuüben, dass es doch besser wäre, wenn die Wohnung vorerst untervermietet werde, sodass sie später an die Kinder weitergegeben werden könne, wenn diese alt genug seien. Er sagte „seid doch nicht dumm und gebt die Wohnung her, ihr habt drei Kinder, vielleicht braucht die noch einmal wer“. Die Beklagten setzten sich daraufhin mit dem Vater des Klägers zusammen und wollten die Idee des Untervermietrechts schriftlich festhalten. Sie kamen überein, dass die Beklagten die Möglichkeit haben sollten, die Wohnung unterzuvermieten, bis deren Kinder alt genug sind, um selbst in der Wohnung zu wohnen. Sie besprachen noch, dass in den nächsten 6 bis 8 Jahren sicherlich keines der Kinder in die Wohnung ziehen werde. Nach 6 bis 8 Jahren wären die Kinder etwa 18 bis 20 Jahre alt. Darüber, was passieren solle, falls die Kinder der Beklagten nach Ablauf des Untervermietrechts nicht in die Wohnung einziehen wollten, wurde nicht gesprochen. Die Beklagten waren damals aber bereits sicher, dass sie selbst nicht mehr in die Wohnung zurückkehren werden, was auch dem Vater des Klägers bewusst war. Die Beklagten und der Vater des Klägers fertigten dann zunächst eine handschriftliche, später ins Reine geschriebene, mit 13. 6. 1989 datierte und als Mietvertragsänderung bezeichnete Bestätigung an, in der (nur) stand, dass die Beklagten „bis auf weiteres (6 bis 8 Jahre) untervermieten“ dürfen. Diese Bestätigung unterschrieben der Vater des Klägers und der Erstbeklagte.
Die Beklagten zogen in weiterer Folge aus der Wohnung aus, es gab dann Untermieter, bisweilen stand die Wohnung auch leer und nach dem Leerstand wohnten zeitweilig Kinder der Beklagten während deren Schulausbildung darin. Letztlich beschlossen die Beklagten, dass ihre Tochter M* die Wohnung allein übernehmen solle. Der Umzug dieser Tochter passierte „schleichend“, die Miete wurde weiterhin vom Erstbeklagten an den Kläger überwiesen. Den entsprechenden Betrag bezahlte dann die Tochter an die Beklagten. Es steht nicht fest, ab wann genau die Tochter endgültig in der Wohnung wohnte, sie nützte sie jedenfalls bereits seit etwa 1997 bis zuletzt. Als sie dann endgültig in der Wohnung wohnte, teilten die Beklagten das bei einer zufälligen Begegnung dem Vater des Klägers beiläufig mit und dieser nahm das zur Kenntnis. Sie wollten damit nicht das Weitergaberecht ausüben und auch nicht eine Untervermietung bekannt geben, sondern nur mitteilen, wer aktuell die Wohnung benützt. Der genaue Zeitpunkt, Ort und Wortlaut des Gesprächs steht nicht fest; es erfolgte jedenfalls zu einem Zeitpunkt, als der Vater des Klägers nicht mehr Eigentümer des Hauses war, was den Beklagten damals aber nicht bekannt war. Der Vater des Klägers erzählte diesem nichts von der Mitteilung der Beklagten. Es steht nicht fest, ob der Kläger wusste, dass und seit wann die Tochter der Beklagten in der Wohnung wohnt.
Der Kläger kündigte den Beklagten – soweit noch wesentlich – gestützt auf § 30 Abs 2 Z 4 sowie Z 6 MRG.
Das Erstgericht erkannte die Aufkündigung für rechtswirksam. Die Beklagten nutzten die Wohnung nicht mehr für sich selbst oder eintrittsberechtigte Personen. Dies sei dem damaligen Vermieter allerdings bekannt gegeben worden und dieser sei damit einverstanden gewesen, womit er auf den Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 6 MRG verzichtet habe. Der Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 4 1. Fall MRG sei aber verwirklicht. Nach der vom Vater des Klägers und den Beklagten im Jahre 1989 getroffenen Vereinbarung, sollte das Weitergaberecht der Mieter noch nicht ausgeübt, sondern „aufgehoben“ und quasi als „Überbrückung“ ein befristetes Untervermietrecht eingeräumt werden. Eine weitergehende Begünstigung der Beklagten könne nicht angenommen werden.
Das Berufungsgericht gab der von den Beklagten erhobenen Berufung Folge und hob die Kündigung als rechtsunwirksam auf. Die im Jahre 1989 getroffene Vereinbarung sei im Zweifel dahin zu verstehen, dass der Vermieter damit einverstanden gewesen sei, dass eines der Kinder der Beklagten nach sechs bis acht Jahren wieder in die Wohnung einzieht und diese bewohnt. Die Vereinbarung habe von den Beklagten nicht so verstanden werden müssen, dass der Vermieter mit dem Wiedereinzug eines ihrer Kinder nur unter der Voraussetzung der Ausübung des Weitergaberechts einverstanden sei, was in der Vereinbarung auch mit keinem Wort erwähnt werde. Dazu komme, dass man nach allgemeinem Sprachgebrauch beim Wort „Weitergaberecht“ generell an die Übertragung der Mietrechte an außenstehende Dritte und nicht an die eigenen Kinder denke. Ein redlicher Erklärungsempfänger habe die Erklärung des Vermieters dahin verstehen dürfen, dass der Vermieter nach einem Zeitraum von sechs bis acht Jahren mit dem Wiedereinzug eines der Kinder der Beklagten auch ohne Ausübung des Weitergaberechts einverstanden sei. Da es sich dabei nicht um eine Nebenabrede ungewöhnlichen Inhalts handle, sei daran auch der Kläger als Rechtsnachfolger gebunden. Der Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 4 1. Fall MRG sei daher nicht verwirklicht.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision im Hinblick auf den Einzelfallcharakter seiner Entscheidung nicht zulässig sei.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn der Wiederherstellung des Ersturteils. Hilfsweise stellt der Kläger auch einen Aufhebungsantrag.
Die Beklagten erstatteten eine ihnen freigestellte Revisionsbeantwortung mit dem Antrag, der Revision des Klägers nicht stattzugeben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig und auch berechtigt.
1. Der Oberste Gerichtshof hat die vom Kläger behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens geprüft; sie liegt nicht vor:
1.1. Die Ansicht des Berufungsgerichts, die vom Vater des Klägers mit den Beklagten im Jahre 1989 getroffene Vereinbarung sei keine Nebenabrede ungewöhnlichen Inhalts ist (insoweit ausreichende) rechtliche Beurteilung und ein damit in Zusammenhang stehender Begründungsmangel ist nicht zu erkennen.
1.2. Die vom Kläger in seiner Berufungsbeantwortung gerügte Nichteinholung eines Sachverständigengutachtens durch das Erstgericht (zu einem anderen Kündigungsgrund) wäre gegebenenfalls ein Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens, den das Berufungsgericht geprüft und verneint hat, weshalb er in der Revision nicht mehr mit Erfolg neuerlich aufgegriffen werden kann (RIS‑Justiz RS0042963).
2. In seiner Rechtsrüge macht der Kläger zutreffend geltend, dass das Berufungsgericht die im Jahr 1989 getroffene Vereinbarung nicht vertretbar ausgelegt hat:
2.1. Vorweg ist klarzustellen, dass die Tochter der Beklagten im Zeitpunkt ihres Wiedereinzugs in die Wohnung – unstrittig – nicht eintrittsberechtigt war, ihre Wohnungsnutzung daher den Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 4 1. Fall MRG nicht auszuschließen vermag. Die Beklagten haben auch nicht erkennbar geltend gemacht, ihr Weitergaberecht zugunsten ihrer Tochter ausgeübt zu haben.
2.2. Nach § 914 ABGB ist bei der Auslegung von Verträgen nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften, sondern die Absicht der Parteien zu erforschen und der Vertrag so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht. Es ist also nicht das, was schriftlich geäußert wurde, allein entscheidend (RIS-Justiz RS0017797; RS0017915). Die Auslegung, die immer nur anhand der Umstände des konkreten Einzelfalls erfolgen kann, hat sich nicht auf den bloßen Wortlaut zu beschränken, sondern muss den Gesamtzusammenhang der Vereinbarung, aber auch die Umstände, unter denen die Erklärungen abgegeben wurden (das Erklärungsverhalten), berücksichtigen (RIS-Justiz RS0017902; RS0017817 [T3]). Die maßgeblichen Auslegungskriterien müssen immer dem Vertrag selbst oder den ihn begleitenden maßgeblichen Umständen zu entnehmen sein (objektiv Erklärungswert; RIS-Justiz RS0113932 [T2, T5]; RS0014160). Es ist dabei das gesamte Verhalten der Vertragsteile, das sich aus Äußerungen in Wort und Schrift sowie aus sonstigem Tun oder Nichttun zusammensetzen kann, zu berücksichtigen (RIS-Justiz RS0017915 [T29]).
2.3. Die vormaligen Mietvertragsparteien haben zunächst in Punkt XV. ein Weitergaberecht vereinbart. Unter einem solchen Weitergaberecht ist die Vorwegzustimmung zur Vertragsübernahme zu verstehen. Der Übergang der Rechte und Pflichten aus dem Bestandvertrag ist mit der Mitteilung an den Bestandgeber vollzogen (RIS-Justiz RS0032700; RS0032747). Ein im Mietvertrag vom Vermieter zugesichertes Weitergaberecht geht im Zweifel nicht auf den Nachmann über, sondern wird durch einmalige Ausnützung konsumiert (RIS-Justiz RS0111168).
2.4. Im Jahr 1989 haben die Vertragsparteien eine schriftliche Zusatzvereinbarung getroffen, mit der die Beklagten – abweichend von Punkt X. des Mietvertrags – befugt sein sollten, die Wohnung „bis auf weiteres (6 bis 8 Jahre)“ unterzuvermieten. Nach den vom Erstgericht dazu getroffenen Feststellungen ging dieser Vereinbarung das Ansinnen der Beklagten voraus, bereits im Rahmen ihrer damaligen Umzugspläne das Weitergaberecht auszuüben. Davon riet ihnen der Vater des Klägers ab und schlug ein befristetes Recht zur Untervermietung vor, sodass die Wohnung erst später an ein gegebenenfalls interessiertes Kind „weitergegeben“ werden könne.
2.5. Das Erstgericht hat diese Vereinbarung zutreffend der damaligen Sachlage entsprechend dahin verstanden, dass den Beklagten für die Zeit ihres Untermietrechts die Möglichkeit des Zuwartens mit der Ausübung ihres Weitergaberechts eröffnet werden sollte, weil sich bis dahin die Interessenlage der Kinder an der Nutzung der Wohnung erwartungsgemäß geklärt haben sollte.
2.6. Für das vom Berufungsgericht angenommene weitergehende Zugeständnis des Vermieters dahin, dass nach dem vereinbarten Ende des Untermietrechts ein Kind der Beklagten die Wohnung – ohne Inanspruchnahme des Weitergaberechts – nutzen können sollte, fehlt ein überzeugender Anhaltspunkt. Insbesondere existiert auch keine Erklärungssitte dahin, „dass man nach dem allgemeinen Sprachgebrauch bei dem Wort 'Weitergaberecht' generell an die Übertragung der Mietrechte an außenstehende Dritte und nicht an die eigenen Kinder denkt“ (vgl etwa die zu 3 Ob 541/91 beurteilte Weitergabe an den Sohn). Schließlich war der Vater des Klägers nach den erstgerichtlichen Feststellungen offenbar penibel um eine genaue Regelung der Rechtsverhältnisse bemüht, was ebenfalls gegen – im Vereinbarungstext nicht angelegte – weitergehende Zugeständnisse spricht.
2.7. Zusammengefasst ist daher die Vereinbarung aus dem Jahr 1989 nur als ein „Aufheben“ des Weitergaberechts für die Zeit nach Ablauf des Untermietrechts zu verstehen und nicht als genereller Verzicht auf den Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 4 1. Fall MRG im Fall einer Überlassung der Wohnung an nicht eintrittsberechtigte Personen ohne Ausübung des vertraglichen Weitergaberechts. In Stattgebung der Revision ist daher das die Kündigung für rechtswirksam erkennende Ersturteil wiederherzustellen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO. Die Kostenbemessungsgrundlage beträgt 1.500 EUR (§ 10 Z 2 lit b) RATG).
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