OGH 2Ds5/17h

OGH2Ds5/17h3.10.2017

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Richter und Staatsanwälte hat am 3. Oktober 2017 durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden und die Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek und Dr. Schwab sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Jensik und Dr. Höllwerth in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Wetter als Schriftführer, in der Disziplinarsache gegen *****, Richter des Landesgerichts *****, über den gegen die Versäumung der Frist zur Einbringung der Berufung gestellten Antrag des Beschuldigten auf Bewilligung der Wiedereinsetzung sowie über dessen Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld gegen das Erkenntnis des Oberlandesgerichts Linz als Disziplinargericht für Richter und Staatsanwälte vom 9. März 2017, GZ 113 Ds 1/17f‑54, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0020DS00005.17H.1003.000

 

Spruch:

Der gegen die Versäumung der Frist zur Einbringung der Berufung gestellte Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung wird abgewiesen.

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Der Beschuldigte hat die mit 100 Euro bestimmten Kosten des bisherigen Berufungsverfahrens zu ersetzen.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der Richter des Landesgerichts ***** ***** eines Dienstvergehens schuldig erkannt, weil er entgegen der Pflicht nach § 57 Abs 1 RStDG, die Amtsgeschäfte so rasch wie möglich zu erledigen,

a./ im Verfahren AZ ***** des Landesgerichts ***** von 28. September 2011 bis 28. März 2012 einen Verfahrensstillstand verursacht, sowie

b./ in acht im Erkenntnis angeführten Fällen in den Jahren 2014 bis 2016 gegen die vierwöchige Ausfertigungsfrist des § 415 ZPO verstoßen hat (Ausfertigungsdauer zwischen rund vier Monaten und einem Jahr).

Gemäß § 101 Abs 3 RStDG wurde vom Ausspruch über die Verhängung einer Disziplinarstrafe abgesehen.

Gemäß § 137 Abs 2 RStDG wurde der Beschuldigte zum Ersatz der mit 400 Euro bestimmten Kosten des Disziplinarverfahrens verpflichtet.

Nach Verkündung des Erkenntnisses wurde dem– durch einen Rechtsanwalt als Verteidiger vertretenen – Beschuldigten mündlich Rechtsmittelbelehrung iSd §§ 139, 164 RStDG erteilt (ON 53 S 8). Eine Ausfertigung des Erkenntnisses wurde dem Verteidiger am 18. April 2017 zugestellt (ON 54 S 7). Mit Schreiben vom selben Tag, das allerdings beim Disziplinargericht nicht einlangte, ersuchte der Verteidiger, ihm eine Rechtsmittelbelehrung zukommen zu lassen (ON 55). Mit Schreiben vom 25. April 2017 urgierte er dieses Anliegen und fügte hinzu, dass er darum bitte, ihm auch das „Protokoll der Disziplinarverhandlung möglichst umgehend“ zu übermitteln (ON 56). In der Folge „hatte er den Akt auf seinem Schreibtisch“ (ON 59 S 5), setzte aber in dieser Sache bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist am 2. Mai 2017 keine weiteren Aktivitäten.

Am 8. Mai 2017 wurden dem Verteidiger eine schriftliche Rechtsmittelbelehrung und die Niederschrift über die mündliche Verhandlung (ON 53) übermittelt (ON 58). Am selben Tag brachte er sodann einen Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einbringung eines Rechtsmittels und eine – als „Beschwerde“ bezeichnete – Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld ein (ON 59). Die Fristversäumung begründete er damit, dass ihm die Ausarbeitung eines „erschöpfenden und sinnvollen“ Rechtsmittels ohne Kenntnis des Protokollinhalts nicht möglich gewesen sei. Ihn treffe an der Versäumung kein Verschulden, weil er das Protokoll innerhalb der Rechtsmittelfrist angefordert, jedoch nicht erhalten habe.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 157 Abs 1 RStDG hat der Oberste Gerichtshof dem betroffenen Richter gegen die Versäumung der Frist zur Einbringung eines Rechtsmittels die Wiedereinsetzung zu bewilligen, wenn dieser nachzuweisen vermag, dass ihm die Einhaltung der Frist ohne sein oder seines Vertreters Verschulden durch unabwendbare Umstände unmöglich gemacht worden ist. Für den Verteidiger gilt der Sorgfaltsmaßstab eines gewissenhaften und umsichtigen Rechtsanwalts (vgl Lewisch, WK-StPO § 364 Rz 25 mwN), wobei ein der Bewilligung der Wiedereinsetzung entgegenstehendes Verschulden schon bei leichter Fahrlässigkeit vorliegt (Fellner/Nogratnig, RStDG-GOG4 § 157 RStDG Anm 5).

In Hinblick darauf, dass für die Berufung gegen Disziplinarerkenntnisse die Obliegenheit gilt, die Umstände, durch die der Berufungspunkt begründet werden soll, bestimmt anzugeben (§ 139 Abs 2 RStDG), weshalb Bindung des Obersten Gerichtshofs an das Berufungsvorbringen besteht (RIS-Justiz RS0128657), mag eine zweckentsprechende Ausführung der Berufung zwar in der Regel die Kenntnis des Protokollinhalts bedingen.

Anders als im Strafverfahren (§ 271 Abs 6 letzter Satz StPO; vgl dazu Ratz, WK-StPO § 285 Rz 4) besteht im Disziplinarverfahren nach dem RStDG aber keine Verpflichtung des Disziplinargerichts, den Beteiligten des Verfahrens von Amts wegen spätestens zugleich mit der Ausfertigung des Erkenntnisses eine Kopie der Niederschrift über die mündliche Verhandlung (§ 138 RStDG) zuzustellen. Diese haben (lediglich) einen aus § 129 Abs 1 RStDG iVm § 89i GOG ableitbaren Anspruch, über ihren Antrag Akteneinsicht und eine Aktenabschrift (damit auch eine Kopie der Niederschrift) zu erhalten.

Vorliegend hat der Verteidiger innerhalb der zur Verfügung stehenden (zweiwöchigen) Rechtsmittelfrist die Zusendung einer Protokollabschrift nicht ehestmöglich, sondern erst eine Woche nach Erhalt des Erkenntnisses beantragt, somit bereits die Hälfte der Frist verstreichen lassen. In seinem Antrag vom 25. April 2017 hat er– ungeachtet des knappen Zeitraums – nicht auf die für ihn bestehende Notwendigkeit des Erhalts bis zu einem bestimmten Zeitpunkt (2. Mai 2017) hingewiesen. Obwohl sein Begehren in der Folge bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist unerledigt blieb, hat er es nicht – etwa telefonisch – urgiert und im Übrigen auch nicht versucht, sich alternativ durch Akteneinsicht (gegebenenfalls im Wege eines Substituten) Kenntnis vom Protokollinhalt zu verschaffen.

Da der Verteidiger bei unmittelbarem Bevorstehen des Fristablaufs verpflichtet gewesen wäre, alles für die Rechtzeitigkeit seiner Prozesshandlung Erforderliche zu tun (vgl Gitschthaler in Rechberger ZPO4 § 146 Rz 16), wären ihm solche Handlungen zuzumuten gewesen. Dass ihm diese nicht möglich oder solche Bemühungen von vornherein aussichtslos gewesen wären, hat er im Wiedereinsetzungsantrag nicht einmal behauptet.

Die Nichterlangung des Protokolls bis zum Fristablauf war daher im vorliegenden Fall vom Verteidiger (mit‑)verschuldet, weshalb der Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung abzuweisen und die verspätet erhobene Berufung ohne mündliche Verhandlung zurückzuweisen war (Fellner/Nogratnig, RStDG-GOG4 § 140 RStDG Anm 1).

Die Entscheidung über die

Kosten des bisherigen Berufungsverfahrens gründet sich auf § 137 Abs 2 zweiter Satz iVm § 140 Abs 3 letzter Satz RStDG, wobei deren Höhe dem Aufwand des Berufungsverfahrens und den Vermögensverhältnissen des Beschuldigten entspricht.

Über die vom Disziplinaranwalt erhobene Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe wird nach Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung entschieden werden.

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