European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:E119673
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie zu lauten haben:
„Die mit Beschluss des Bezirksgerichts St. Johann im Pongau, GZ 36 Pu 95/15k‑38, vom 26. 5. 2015 gewährten und mit Beschluss vom 15. 12. 2015 herabgesetzten Unterhaltsvorschüsse in Höhe von zuletzt 84 EUR monatlich werden mit Ablauf des Dezember 2016 eingestellt.“
Begründung:
Y* wurden Unterhaltsvorschüsse nach § 4 Z 2 UVG gewährt, zuletzt aufgrund des Beschlusses des Erstgerichts vom 15. 12. 2015 (ON 44) in Höhe von 84 EUR monatlich.
Das Erstgericht stellte mit Beschluss vom 30. 12. 2016, GZ 36 Pu 95/15k‑47, die Unterhaltsvorschüsse mit Ablauf des Monats November 2016 ein. Als Begründung wurde ausgeführt, dass Y* mit Beginn des zweiten Lehrjahres ab 1. 12. 2016 ein monatliches anrechenbares Eigeneinkommen von 798,25 EUR (inklusive anteiliger Sonderzahlungen) habe. In Anwendung der „Restunterhaltsformel“ für Richtsatzvorschüsse sei die Einstellung der Unterhaltsvorschusszahlung mit Beginn des zweiten Lehrjahres anzuordnen gewesen.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Kindes, den Beschluss dahingehend abzuändern, dass die Einstellung der Unterhaltsvorschüsse erst mit Ablauf des Dezember 2016 wirksam werde, nicht Folge. Verfüge das Kind bereits seit 1. 11. 2016 über den Anspruch auf die erhöhte Lehrlingsentschädigung des zweiten Lehrjahres, habe es auch bereits mit Beginn dieses Monats zu einer Einstellung der Unterhaltsvorschüsse zu kommen. Dass das Kind – nach dem Rekursvorbringen – über die (erste) erhöhte monatliche Lehrlingsentschädigung des zweiten Lehrjahres erst ab dem darauffolgenden Monatsersten – somit erst ab dem 1. 1. 2017 – verfügen könne, sei für den Eintritt des Unterhaltseinstellungsgrundes nicht maßgeblich.
Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs in Folge Zulassungsvorstellung im Hinblick auf die Entscheidung 10 Ob 23/14a nachträglich zu.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil die Entscheidung des Rekursgerichts mit der jüngeren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht im Einklang steht; er ist auch im Sinn des Abänderungsantrags berechtigt.
1.1 Nach § 20 Abs 2 UVG ist die Einstellung gegebenenfalls rückwirkend mit Ablauf des Monats anzuordnen, in dem der Einstellungsgrund eingetreten ist. In der – die Einstellung von Unterhaltsvorschüssen nach § 20 Abs 1 Z 4 lit b UVG betreffenden – Entscheidung 10 Ob 23/14a = RIS‑Justiz RS0129679 hat sich der Oberste Gerichtshof bereits mit der Frage der Auswirkungen eines am Ersten eines Monats angetretenen Lehrverhältnisses auf den Anspruch auf Unterhaltsvorschuss befasst. Es wurde ausgeführt, dass das materielle Erlöschen der Unterhaltspflicht sowohl bei Titelvorschüssen als auch bei Richtsatzvorschüssen zur Einstellung der Unterhaltsvorschüsse führe. Sei daher der Unterhaltsberechtigte aufgrund eines entsprechenden Eigeneinkommens als selbsterhaltungsfähig anzusehen und falle die im Titel festgesetzte Unterhaltspflicht materiell weg, liege ein Einstellungsgrund im Sinne des § 20 Abs 1 Z 4 lit b UVG vor. Die Formulierung, die Einstellung sei rückwirkend mit Ablauf des Monats anzuordnen, in dem der Einstellungsgrund eingetreten sei, werde so interpretiert, dass bei Eintritt des Einstellungsgrundes sozusagen spätestens mit 0 Uhr des Monatsersten bereits zu diesem Monatsersten die Einstellung zu verfügen sei. Lagen etwa die Voraussetzungen für eine Vorschussgewährung materiell von vornherein nicht vor, sei demnach die Einstellung bereits ab dem ersten Tag der Vorschussgewährung anzuordnen. Werde aber ein Lehrverhältnis mit dem Monatsersten angetreten, die Lehrlingsentschädigung jedoch erstmals am 30. dieses Monats ausgezahlt, sei der Eintritt der Selbsterhaltungsfähigkeit erst mit Ablauf des Monats anzunehmen, weil die Selbsterhaltungsfähigkeit in der Regel erst dann eintrete, wenn das Kind über die für eine Deckung des angemessenen Lebensbedarfs erforderlichen Mittel verfüge. Eine Einstellung der Vorschüsse wegen Eigeneinkommens habe daher erst mit Ablauf desjenigen Monats zu erfolgen, in dem die erste Lohnauszahlung getätigt werde. Eine ungerechtfertigte Doppelversorgung des Kindes sei nicht vorgelegen.
1.2 Gegenstand der – zum Unterhaltsrecht ergangenen – Entscheidung 10 Ob 30/15g = RIS‑Justiz RS0111944 [T2] war die Frage der Anrechnung einer vom Unterhaltsberechtigten tatsächlich bezogenenen Lehrlingsentschädigung auf seinen Geldunterhaltsanspruch. Die Aussagen dieser Entscheidung lassen sich dahin zusammenfassen, dass das Datum der Auszahlung der Lehrlingsentschädigung an den Unterhaltsberechtigten relevant sei, weil im Unterhaltsrecht die tatsächliche Verfügbarkeit der Mittel zur Deckung der Bedürfnisse des Unterhaltsberechtigten im Vordergrund stehe; der Unterhaltsberechtigte solle „keinen Mangel leiden“. Als weiteres Argument wurde die Parallelität des Unterhaltsrechts mit dem Unterhaltsvorschussrecht ins Treffen geführt (vgl ErläutRV 5 BlgNR 14. GP 18) und unter Hinweis auf § 19 Abs 2 UVG davon ausgegangen, dass sich ein Änderungsgrund (etwa das Zurverfügungstellen der Mittel), der nicht am Monatsersten eintritt, erst ab dem folgenden Monatsersten auswirke.
1.3 In der jüngst ergangenen Entscheidung 10 Ob 38/17m wurde an der in der Entscheidung 10 Ob 23/14a enthaltenen Aussage, eine Einstellung der Unterhaltsvorschüsse wegen Eigeneinkommens habe erst mit Ablauf desjenigen Monats zu erfolgen, in dem die erste Lohnauszahlung erfolgt, festgehalten und dieser Grundsatz sinngemäß auf die Herabsetzung von Unterhaltsvorschüssen (§ 19 UVG) übertragen.
2.1 Im Hinblick auf diese neuere Rechtsprechung war auch im vorliegenden Fall eine Einstellung der Unterhaltsvorschüsse nach § 20 UVG monatsbezogen ab Eintritt des Einstellungsgrundes – somit mit Ablauf des Monats Dezember – auszusprechen, weil für die Minderjährige erst am Ende dieses Monats Dezember die höhere Lehrlingsentschädigung zur Bestreitung der mit dem Lebensunterhalt verbundenen notwendigen Auslagen verfügbar war.
2.2 Die bis dahin zur Auszahlung gelangten Vorschüsse gelten als rechtmäßig bezogen und können keinen Anlass für einen Einbehalt oder Rückersatz nach § 22 UVG bilden.
Dem Revisionsrekurs war daher Folge zu geben und die Entscheidung der Vorinstanzen in diesem Sinn abzuändern.
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